Tischtennisprofi Timo Boll:Ein Hauch von Rocky

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Karriereende aufgeschoben: Timo Boll greift mit 42 Jahren noch einmal an. (Foto: Tom Weller/dpa)

Timo Boll, bald 43, bangte im vergangenen Jahr wochenlang um seine Karriere. Zum Start der Team-Weltmeisterschaft ist er wieder da - und träumt sogar von seinen siebten Olympischen Spielen.

Von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

Wenn Timo Boll dem schwierigen vergangenen Jahr, das hinter ihm liegt, etwas Gutes abgewinnen kann, dann ist es wohl das: Deutschlands bekanntester Tischtennisspieler, der in rund drei Wochen 43 Jahre alt wird, ist emotional nun aufs Karriereende vorbereitet - irgendwann demnächst einmal, vielleicht auch etwas später. Als er vor Kurzem im Bistro des Deutschen Tischtennis-Zentrums in Düsseldorf sitzt, lächelt er und sagt dann: "Ich glaube, mir wäre niemand böse, wenn ich in meinem Alter sagen müsste: Sorry, Leute, aber es geht leider nicht mehr."

Vergangenes Jahr hat Boll wegen schlimmer Schulterschmerzen häufiger daran gedacht, dass es vorbei sein könnte. Doch er hat in seiner Karriere schon manche Verletzung überwunden - und er spielt einfach immer noch viel zu gerne Tischtennis. Also hat er sich zurückgekämpft, den Frieden mit dem nahenden Karriereende schon mal geschlossen und nun festgestellt: Es geht ihm schon wieder viel besser. Wie praktisch.

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Am Montag ist der Odenwälder mit Wahlheimat Düsseldorf mit der Nationalmannschaft nach Busan, Südkorea, geflogen. Ab Freitag treten sie dort bei der Team-Weltmeisterschaft auf und wollen eine Medaille gewinnen. Im Sommer würde Boll in Paris außerdem gerne seine siebten Olympischen Spiele erleben. Doch selbst wenn Boll fit genug sein sollte, wäre nicht garantiert, dass der Bundestrainer ihn nominiert. Jörg Roßkopf kann für die Sommerspiele von seinen fünf WM-Spielern Dang Qiu, Dimitrij Ovtcharov, Patrick Franziska, Benedikt Duda und Timo Boll nur vier mit nach Paris mitnehmen - und sagt: "Keiner ist gesetzt."

"Ich konnte kaum noch Auto fahren oder mir einen Pullover anziehen."

Boll hat freilich schon größere Herausforderungen gemeistert, vor allem das Jahr 2023 bezeichnet er als große "Challenge". Denn: "Ich musste mich fordern und sehen, ob ich es noch mal hinbekomme." Er hatte in seiner Laufbahn auch schon massive Probleme mit Knie und Rücken, aber die Schmerzen in der Schulter waren außergewöhnlich. "Ich konnte kaum noch Auto fahren oder mir einen Pullover anziehen", erzählt er, "ich konnte kaum noch schlafen." Es ging bei dieser Geschichte folglich nicht nur ums Tischtennis, sondern auch ums alltägliche Leben. "Ich hatte zwei Gründe, wieder gesund zu werden."

Eine Fehlstellung in der Schulter des linken Schlagarms zwang ihn in der ersten Jahreshälfte 2023 zu vielen Wochen Pause. "Das war ein funktionelles Problem und resultierte aus vorherigen Verletzungen", sagt er und zählt auf: "Ein Bauchmuskelriss, eine Rippenfellentzündung, zwei Rippenbrüche." Dadurch stand er nicht mehr richtig gerade, sondern ein bisschen schief. Es dauerte, das zu korrigieren. Mittlerweile kann er wieder fast normal spielen, allerdings nur mit entsprechender Vorbereitung: "Ich muss jedes Mal ein umfangreiches Aufwärmprogramm machen, ehe ich überhaupt spielfähig bin."

"Ich habe Timo schon im November verraten, dass er bei der WM dabei ist", sagt Bundestrainer Jörg Roßkopf. (Foto: Swen Pförtner/dpa)

Sein Bundestrainer weiß ungefähr, wie Boll sich fühlt. Roßkopf, 54, hat selbst mit 39 Jahren noch international gespielt und danach noch zwei Jahre in der Bundesliga. "Im Herbst", bestätigt Roßkopf, "hat Timo ein bisschen gezweifelt, seine Verletzung war hartnäckig, und er ist in der Weltrangliste abgerutscht." Roßkopf und Boll kennen sich schon ewig, sie haben noch zusammen gespielt. "Ich habe Timo schon im November verraten, dass er bei der WM dabei ist", sagt Roßkopf. Da war die Nominierung eigentlich noch weit weg, aber er wollte Boll einen Grund geben, zu kämpfen. Der Plan ging auf.

Bis 2025 will Boll auf jeden Fall noch spielen

In jenem November war Boll bei einem hoch dotierten Turnier in Frankfurt gerade in der ersten Runde ausgeschieden. Zwei Tage später stürzte er in der Weltrangliste auf Platz 200 ab, weil er 2023 kaum hatte spielen können, und weil ältere Ergebnisse aus der Wertung gelöscht wurden. Boll war in seinem Leben insgesamt viermal Weltranglistenerster, in den Jahren 2003, 2011 und 2018. Auf einen dreistelligen Rang war er in dieser Zeit nie gerutscht. Aber Boll entschied sich selbst dort, im Ranglistennirwana, fürs Kämpfen. Sollte sein Leben jemals verfilmt werden, dann würde durch den Streifen vielleicht ein Hauch eines Rocky-Films wehen.

Mittlerweile ist er wieder auf Platz 44 der Weltrangliste geklettert. Im Januar hat er überraschend ein hochkarätig besetztes Turnier in Doha gewonnen. Im Endspiel besiegte er den 20 Jahre jungen Tomokazu Harimoto, einen Ausnahmekönner aus Japan. Das war ein Adrenalinstoß! Aus jenem Sport, der seinen Körper so abnutzt, schöpft Boll zugleich immer wieder seine Motivation. Jörg Roßkopf glaubt gar: "Bis zu Timos Karriereende wird es noch ein, zwei, drei oder auch vier Jahre dauern. Solange er noch so gut spielt, muss er weitermachen, und die Jungs werden sich noch lange mit ihm duellieren müssen."

Bolls Vertrag beim Bundesligisten Borussia Düsseldorf läuft noch bis 2025. "Den möchte ich erfüllen", sagt er, "aber viel weiter nach vorne kann und will ich nicht schauen." Auch Olympia in Paris war und ist eine wichtige Motivation in seiner Rekonvaleszenz. "Früh aufstehen, jeden Morgen in den Kraftraum, allein mit dem Trainer, sich kaputt quälen, immer ans Schmerzlimit - da hat mir Olympia als Ziel sehr geholfen."

Dass er seit einem Vierteljahrhundert das Zugpferd des deutschen Tischtennis ist, dass er sechsmal bei Olympia antrat, 2016 in Rio gar die deutsche Fahne getragen hat - das will er alles nicht als Kriterium für eine Nominierung gelten lassen. "Ich möchte nicht nominiert werden, nur weil ich Timo Boll heiße", sagt er, "an erster Stelle muss die Leistung stehen, dafür kämpfen die anderen auch zu hart." Boll braucht ein gutes Gefühl, ein reines Gewissen. "Wenn ich dabei bin, dann will ich es auch verdient haben und auch keine Gefahr für die Mannschaft sein." Und dann, klar, wolle er "auch was reißen".

Genau das erwartet Roßkopf von ihm aber auch. In Paris dürfen zwei im Einzel spielen, ein Dritter mit in der Mannschaft, ein Vierter fährt als Ersatzmann für die Mannschaft mit - letztgenannte Rolle würde Boll lieber einem jüngeren Spieler überlassen. Von den aktuell fünf besten deutschen Spielern wird jedenfalls einer nicht der olympischen Reisegruppe angehören. "Das wird eine harte Entscheidung", sagt Roßkopf. Eine, an deren Ende der Unglückliche auch Timo Boll heißen könnte.

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