Bundesliga:Schon wieder Halligalli "anne Castroper Straße"

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Alle aus dem Häuschen: Nach dem 66-Meter-Tor von Milos Pantovic (links) fällt bei Bochums Trainer Thomas Reis und den Mitspieler der ganze Druck ab. (Foto: Uwe Kraft/imago)

Aus elf Metern verschossen, aus 66 Metern voll rein: Der VfL Bochum zelebriert mit seinen euphorischen Fans im Stadion den nächsten erinnerungswürdigen Heimsieg. Der Aufsteiger steht auch insgesamt besser da, als vor der Saison manche dachten.

Von Ulrich Hartmann, Bochum/München

Der Fußballtrainer Thomas Reis ist eher ein lakonischer Mensch. "Warum einfach, wenn's auch schwierig geht", witzelte der 48-Jährige nach dem 2:0-Sieg seines VfL Bochum am Samstag gegen die TSG Hoffenheim. In der 76. Minute hatte Bochum das ersehnte zweite Tor vom Elfmeterpunkt noch verpasst, weil der eigene Torhüter Manuel Riemann zur Ausführung antrat - und übers Tor schoss. Doch so gab es noch einen emotionalen Schlusspunkt, als der Mittelfeldspieler Milos Pantovic in der siebten Minute der Nachspielzeit aus 66 Metern ins leere TSG-Tor traf und das ganze Stadion aus dem Häuschen war. Der umjubelte Treffer sicherte den bereits dritten Sieg des Aufsteigers Bochum im fünften Heimspiel.

Sekunden zuvor hatten Reis und seine Kollegen vor der VfL-Bank noch wild gestikuliert und den überfälligen Abpfiff eingefordert. Als nach einer letzten Hoffenheimer Ecke dann der aufgerückte TSG-Torwart Oliver Baumann nicht schnell genug zurück sprintete, zeigte Reis seinem ballführenden Spieler Pantovic an, er möge um Himmels willen aufs leere Tor schießen. Pantovic näherte sich bereits der Mittellinie, verzögerte aber plötzlich sein Tempo, als wolle er den Ball lieber nur kontrollieren. Doch er verlangsamte seinen Lauf bloß, um besser zielen zu können. Und so schoss er aus gewaltiger Entfernung - und sah wie alle im Stadion den Ball nur ein paar Zentimeter neben dem linken Pfosten ins Hoffenheimer Tor hineinkullern.

Der Rest war überschäumende Euphorie im Stadion "anne Castroper Straße", wo sie Fußball so gerne als folkloristisches Retro-Festival zelebrieren. Das gelingt den Bochumern in ihrer ersten Bundesliga-Saison seit elf Jahren tatsächlich erstaunlich oft. Im ersten Heimspiel, beim 2:0 gegen Mainz, hatte Flügelstürmer Gerrit Holtmann ein Solo über den halben Platz, das Lionel Messi die Tränen in die Augen getrieben hätte, mit dem wegweisenden Tor zum 1:0 abgeschlossen. Beim 2:0 gegen Frankfurt hatte sich Sebastian Polter das finale Tor ebenfalls für die Nachspielzeit aufgehoben - und nun kreierte der langjährige FC-Bayern-Nachwuchsspieler Pantovic mit seinem superspäten Supertor eine Sehenswürdigkeit, die die Stadt aber leider in keinen Reiseführer aufnehmen kann. Dazu sind Glücksmomente beim Fußball dann doch zu unmittelbar und vergänglich.

Vor diesem Hintergrund konnten die Bochumer verschmerzen, dass Torwart Riemann mit seinem verschossenen Elfmeter den Sieg gefährdet hatte. Knapp zwölf Jahre, nachdem am 30. Januar 2010 mit dem damaligen FC-Bayern-Torwart Hans-Jörg Butt letztmals ein Torwart in einem Bundesligaspiel einen Elfmeter geschossen hatte, lief Riemann in der 76. Minute mit der Option zur 2:0-Führung an - und verballerte, genauso wie damals Butt.

Gutes Bauchgefühl: Reis wechselt die beiden Schlüsselspieler ein

Zehn Tage zuvor hatte Riemann den VfL noch mit dem verwandelten letzten Strafstoß im Elfmeterschießen gegen Augsburg ins Achtelfinale des DFB-Pokals geschossen. Auch da war anschließend Halligalli in der Bude. Aufgeregte Reporterfragen hatte Riemann da augenzwinkernd mit dem Hinweis beantwortet: "Es sind ja bloß elf Meter, und ich habe einen ganz guten rechten Fuß." Das war am Samstag natürlich genau so. Riemann hatte denselben guten rechten Fuß mitgebracht, und es waren zum Kollegen Baumann exakt elf Meter Abstand. Aber er setzte den Ball diesmal deutlich über die Latte.

Dramaturgisch wertvoll: Erst verballert VfL-Keeper Manuel Riemann (rechts) den Elfmeter zum möglichen 2:0, um dessen Ausführung er sich noch mit Milos Pantovic gekabbelt hatte - später trifft Pantovic per Kunstschuss. (Foto: Maik Hölter/imago)

Die Fans im Stadion hatten Riemann mit Sprechchören vehement zur Ausführung aufgefordert, also kam er aus seinem Tor gelaufen, überquerte den Platz und schnappte sich den Ball. Für Riemann war es in seiner Profikarriere der dritte Elfmeter, den er während regulärer Spielzeit schoss - und er vergab zum dritten Mal. Im Mai 2007 verschoss er als Torwart des Zweitligisten Wacker Burghausen, im April 2012 als Torwart des Drittligisten Osnabrück. Diese Statistik hatte bei Bochum am Samstag wohl niemand parat. Die Legitimation für Riemann war eben sein Pokal-Elfmeter zehn Tage zuvor - und ein anderer Schütze war nicht eindeutig festgelegt worden.

Das konnte Trainer Reis nach dem Abpfiff gelassen erzählen ("nehme ich dann auf meine Kappe"), weil der Fehlschuss ohne Folgen blieb. Stolz und erfreut konnte Reis diesmal auch sein, weil er in der 64. Minute beim Stand von 0:0 mit einem fabelhaften Bauchgefühl jene beiden Spieler eingewechselt hatte, die an allen nachfolgend relevanten Aktionen beteiligt waren. In der 66. Minute legte Pantovic dem Ungarn Soma Novothny das 1:0 auf, in der 73. Minute wurde Novothny zum Elfmeter gefoult, und in der Nachspielzeit zeigte Pantovic seine Zielgenauigkeit aus großer Distanz.

"Super, wenn man zwei Spieler einwechselt, die an allen Toren beteiligt sind", freute sich Reis. Auch die Tabelle gefällt ihm sehr, denn dort steht der mit vergleichsweise moderaten monetären Mitteln operierende VfL nun im unteren Mittelfeld solide da. Fazit Reis: "Wir haben uns gut entwickelt und können was erreichen."

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