VfB Stuttgart:Der Ersatzrechtsverteidiger spielt Mittelstürmer

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Steht noch nicht auf dem Spielberichtsbogen: VfB-Maskottchen Fritzle. (Foto: Hansjürgen Britsch/imago images/Pressefoto Baumann)

Wegen des Ausfalls von sage und schreibe 13 Profis bastelt sich der VfB Stuttgart eine kreativ-schiefe Startformation - die aktuell in der Bundesliga kaum konkurrenzfähig ist. Bielefeld freut sich trotzdem über den Sieg.

Von Ulrich Hartmann und Christof Kneer

Arminia Bielefelds Kapitän Fabian Klos musste lachen, als er kurz nach dem Spiel über die drei späten Aluminium-Treffer seiner Mannschaft sprach: "Is' halt Bielefeld, is' doch immer so", sagte er ins Sky-Mikrofon. Sein Lachen war allerdings keinesfalls einem Hang zum Zynismus geschuldet, sondern dem ersten Saisonsieg, den die Ostwestfalen trotz eines erheblichen Chancenwuchers beim VfB Stuttgart erkämpft hatten. "Wir haben ja trotzdem gewonnen", ergänzte Klos folglich lakonisch und bilanzierte: "Alles gut!"

Bielefeld sorgte mit seinem 1:0 (1:0)-Erfolg für Stuttgarts zweite Niederlage nacheinander - und wenn man die Pokal-Heimniederlage gegen Köln hinzurechnet, war es sogar schon die dritte Stuttgarter Pleite in Serie. Die Schwaben stecken gerade sicht- und fühlbar in einer Krise, allerdings, ohne dass die branchen- und auch standort-üblichen Krisenreflexe bereits greifen würden. Zum Beispiel hinterfragt in Stuttgart niemand den Trainer, weil ja jeder sehen kann, welche Spieler auf des Trainers Aufstellungsbogen stehen und vor allem: welche nicht. Den Ausfall von 13 Profis kann diese unter völlig anderen Voraussetzungen zusammengestellte Jugend-Elf nicht verkraften, und so wirkte auch diese nach dem Prinzip kreativer Verzweiflung zusammengebastelte Startformation am Ende viel zu harmlos, um die Bielefelder für ihre drei Materialprüfungen am VfB-Gehäuse zu bestrafen.

Beim VfB kommt am Ende eine historisch schiefe Aufstellung heraus

"Die Arminia ist der klar verdiente Sieger", sagte der VfB-Sportdirektor Sven Mislintat und hatte nicht im Sinn, seine Spieler zu kritisieren. "Wir haben die Mannschaft ja nicht aus Lust und Laune so zusammengestellt, sondern aus der Not." Es fehlen nicht nur weiterhin die unersetzlichen Offensivspieler Silas und Sasa Kalajdzic, sondern neuerdings auch noch deren durchaus begabte Vertreter Chris Führich und Omar Marmoush, und weil auch noch die torgefährlichen Verteidiger Konstantinos Mavropanos und Marc-Oliver Kempf passen mussten, kam eine historisch schiefe Elf dabei heraus.

Der gerade aus der Corona-Quarantäne entkommene Ersatzrechtsverteidiger Roberto Massimo musste Mittelstürmer spielen, der Linksverteidiger Borna Sosa wechselte nach rechts, und seinen Platz auf der linken Seite übernahm der junge Däne Nikolas Nartey, der Ersatzsechser des Ersatzsechsers. In diesem Sinne akzeptierte Mislintat den Absturz in den Tabellenkeller mit dem gebotenen Realismus. "Wir sind da angekommen, wo wir uns vor der Saison gesehen haben", sagte er.

Den Bielefeldern konnte derweil keiner verdenken, dass sie sich trotzdem über den Sieg gegen einen kaum konkurrenzfähigen Gegner freuten. Trainer Frank Kramer schubste, herzte und tätschelte seine Spieler nach dem Abpfiff, vermutlich war er selbst am meisten erleichtert, weil er den Treuevorschuss seines Vorgesetzten Samir Arabi mit diesem Sieg zurückzahlen konnte. Einen "wahnsinnigen Teamgeist" diagnostizierte Kramer seiner Mannschaft, und dass sie "marschiert" sei wie "geisteskrank". Ganz schön viel Psychotisches klang da durch. "Die Situation hat den Verein sehr belastet", erklärte Käpt'n Klos ein paar Meter weiter.

Der Popo von Ito hebt Okugawas Abseits um Zentimeter auf

Die grundsätzliche Abschlussschwäche der Bielefelder dürfte mit diesem Sieg aber kaum behoben sein, sieben Treffer in elf Spielen sind immer noch die schwächste Ausbeute der Liga. Dass der Japaner Masaya Okugawa in der 19. Minute nervenstark das 1:0 erzielte, könnten Zyniker darauf zurückführen, dass er sich nach einem Pass von Patrick Wimmer im Abseits gewähnt haben muss. Um die gering erscheinende Möglichkeit eines regulären Treffers aber zumindest zu wahren, schloss er allein vor Keeper Fabian Bredlow ab (natürlich handelt es sich bei Stuttgarts Torwart ebenfalls um den Ersatzmann). Der Videoassistent Guido Winkmann prüfte anschließend akribisch, legte die kalibrierte Linie an und fällte virtuell das Lot vom letzten Stuttgarter Feldspieler Hiroki Ito (einem Ersatzverteidiger, natürlich). Die Technik verriet die skurrile Wahrheit: Der Popo von Ito hob Okugawas Abseits um Zentimeter auf.

Die Bielefelder haben sich nun endgültig zum Stuttgarter Angstgegner entwickelt, auch in der vergangenen Saison gelang dem VfB in zwei Duellen kein Tor. In Stuttgart müssen sie sich allmählich darauf einrichten, mit deutlich weniger Punkten als erhofft in der Weihnachtspause zu landen, in der Vorrunde warten unter anderem noch Dortmund, Bayern und Wolfsburg auf den zerzausten VfB. "Wichtig ist, dass wir bis zum Winter immer leicht über dem Strich stehen", sagte Mislintat, "und je mehr Spieler zurück sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir unsere Ziele erreichen."

Man werde nun in der anstehenden Länderspielpause versuchen, so viele Spieler wie möglich zurückzubekommen, sagte Mislintat dann noch und dachte dabei an Kempf, Marmoush und den Torwart Florian Müller, vielleicht auch an Führich und Mavropanos. Und womöglich wird es auch der heftig vermisste Silas beim Auswärtsspiel in Dortmund erstmals wieder in den Kader schaffen, acht Monate nach seinem Kreuzbandriss.

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