Das Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika wird am 11. Juni 2010 um 16 Uhr angepfiffen, der Gastgeber spielt gegen Mexiko. Anscheinend steht der ganze Wettbewerb noch bevor, aber in Wahrheit ist er längst gelaufen. Der eigentliche Wettbewerb um Prestige und Geld hat sechs Jahre früher stattgefunden, als das Exekutiv-Komitee der Fifa den Austragungsort für 2010 auswählt. Drei afrikanische Länder haben sich beworben: Ägypten, Marokko und Südafrika.
Jack Warner, ein Fußball-Funktionär aus dem Karibikstaat Trinidad und Tobago, gehört damals zu jenen, die den Sieger bestimmen sollen; als Vertreter der nord- und mittelamerikanischen Fußballverbände und Mitglied im Exekutiv-Komitee der Fifa hat er eine Stimme. Warner ist damals ein gefragter Mann. Als er sich im Mai 2004 in Marokko aufhält, bietet ihm ein Emissär des örtlichen Bewerbungs-Komitees eine Million Dollar, damit er für den nordafrikanischen Staat stimmt. Wie sich bald herausstellt, ist eine Million Dollar ein geradezu rührend naives Angebot. Die Südafrikaner haben wesentlich mehr zu bieten.
Warner ist seit Jahren Symbolfigur für die mutmaßlich kriminellen Geschäfte im Weltfußball, er ist aber nie verurteilt worden. Die Vorwürfe gegen ihn sind zeitweise so hartnäckig, dass die Fifa sogar selbst gegen ihn vorgeht: Deren Ethikkommission ermittelt 2011 wegen Bestechlichkeit gegen Warner, er ist damals Vizepräsident des Weltverbands. Warner verlässt die Organisation, wohl um sich einer Sanktion zu entziehen. Er erklärt damals, Leute im Verband hätten "in unvorstellbarer Weise versucht, mich zu unterminieren".
Als er ausscheidet, stellt die Fifa ihre Korruptionsermittlungen gegen ihn ein. Doch nun gewährt eine 161-seitige Klageschrift aus den USA neue Einblicke in ein System, in dem sich Vertreter der Fifa über Jahrzehnte so unbekümmert wie maßlos selbst bereichert haben. 14 Verdächtige haben die Strafverfolger nun angeklagt, es dürften weitere folgen. Wie US-Justizministerin Loretta Lynch am Mittwoch erklärt, ist die Korruption "systemisch". "Wieder und wieder" hätten sich die Verantwortlichen bestechen lassen, sagt Lynch, "Jahr für Jahr, Turnier für Turnier".
Den Ermittlern zufolge ist Jack Warner eine Schlüsselfigur für die Vergabe der WM an Südafrika. Während Marokko für seine Stimme nur eine Million zahlen will, bieten die Organisatoren in Südafrika, die dortige Regierung sowie einflussreiche Leute bei der Fifa ein wesentlich großzügigeres Paket, laut Anklage zehn Millionen Dollar. Das Geld soll als Spende der Regierung Südafrikas an den karibischen Fußballverband CFU fließen, mit dem Ziel, der "afrikanischen Diaspora zu helfen". Präsident des CFU ist damals Jack Warner. Am 15. Mai 2004 stimmt die Mehrheit im Exekutiv-Komitee der Fifa für Südafrika als Austragungsort, unter ihnen Warner.
Bald stellt sich heraus, dass die südafrikanische Regierung rechtliche Probleme damit hat, das Geld in die Karibik zu überweisen. Stattdessen übernimmt es die Fifa, Warner zu belohnen. Der Klageschrift zufolge überweist ein hochrangiger Fifa-Mitarbeiter Anfang 2008 in drei Tranchen zehn Millionen Dollar von einem Schweizer Konto auf ein Konto in New York. Von dort soll es auf Konten in der Karibik fließen, die den Fußballverbänden CFU und Concacaf gehören, in Wahrheit aber von Warner kontrolliert werden. Warner soll sich aus diesem Vermögen reichlich selbst bedient haben. Den Ermittlern zufolge weist er im Januar 2008 eine Bank in Trinidad und Tobago an, 200 000 Dollar aus der ersten Fifa-Tranche auf ein persönliches Konto zu verschieben. Anderthalb Millionen Dollar wäscht er später offenbar, indem er sie an einen örtlichen Geschäftsmann und dessen lokale Supermarktkette überweist. Alsbald erhält er Schecks zurück, die eine andere Firma des Geschäftsmannes ausgestellt hat. Empfänger ist Warner persönlich.
Er bekleidet seit 2011 kein Amt mehr in der Fifa, gehört also auch nicht zu jenen Funktionären, die am Mittwoch in der Schweiz verhaftet wurden. Stattdessen stellte er sich der Polizei in Trinidad und Tobago, wo er jüngst eine Karriere als Politiker begonnen hat. In einem Interview am Mittwoch erklärte er, die Vorwürfe seien so alt, dass das menschliche Gedächtnis sie kaum noch erfassen könne, und es seien bloß unbewiesene Behauptungen.
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Aber Warner dürfte diesmal in echter Bedrängnis sein. Die Klageschrift nennt als wichtigsten Informanten den früheren Generalsekretär des Fußballverbands Concacaf, Chuck Blazer, Ex-Vertrauter Warners. Blazer, der einst selbst zum Exekutiv-Komitee der Fifa gehörte, soll von den zehn Millionen Dollar für die Südafrika-WM eine Million erhalten haben. Offensichtlich hat er sich mit den US-Ermittlern auf einen Deal geeinigt und sein Wissen geteilt. Sollten die 14 Angeklagten dem folgen, könnten weitere Erkenntnisse über die Geschäfte der Fifa folgen, womöglich auch über die Rolle von Präsident Joseph Blatter. Es wundere ihn, sagte Warner, ehe er verhaftet wurde, dass Blatters Name nicht in der Anklage stehe.