Basketball-Playoffs:Ulm spielt sich in einen Rausch

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Ulms Thomas Klepeisz setzt zum Wurf an. (Foto: Hafner/Nordphoto/Imago)

Es war Sport auf hohem Niveau: Ulm erspielt sich durch einen 112:84-Sieg gegen Bonn den ersten Matchball für die deutsche Meisterschaft. Die Schwaben sind nach dieser Klasseleistung Favorit auf ihren ersten nationalen Titel.

Von Ralf Tögel

Zunächst ein paar Zahlen, die helfen können, zu beschreiben, was da in der ausverkauften Ratiopharm-Arena in Neu-Ulm am Mittwochabend geschah: 6000 Zuschauer erzeugten eine Lautstärke von 117 Dezibel in der Spitze, das ist ein bisschen leiser als ein startender Düsenjet, also knapp unter der Schmerzgrenze. 60 Sekunden hatte es jeweils gedauert, bis die beiden Heimspiele ausverkauft waren. 112:84 lautete am Ende das erdrückende Ergebnis zugunsten von Ratiopharm Ulm gegen die eigentlich favorisierten Telekom Baskets Bonn. In der Best-of-five-Serie hat sich Ulm damit einen Matchball im Kampf um die deutsche Meisterschaft erarbeitet. Und wie oft Ulms Trainer Anton Gavel anschließend sagte, dass es sich "nur um einen Sieg" gehandelt habe, war beim besten Willen nicht seriös zu ermitteln.

Nach dieser Vorstellung muss man sich im Bonner Lager fragen, wie man den ersten Ulmer Meistertitel noch verhindern will. Helfen könnte den Gästen in Spiel vier an diesem Freitag die ungewöhnliche Choreographie dieser Finalserie: Erst düpierten die Ulmer den Favoriten und fügten Bonn im ersten Spiel die erste Heimniederlage der gesamten Saison zu (73:79). Dann demonstrierten die Bonner ihre große Qualität und ließen Ulm beim 104:75 keine Chance. Und nun also das Comeback der Schwaben in eigener Halle, das allerdings keinesfalls ausschließt, dass die Bonner nicht in der Lage wären, die Serie in ein fünftes Spiel zu ziehen, das dann wieder auf eigenem Terrain stattfände.

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Es war am Mittwochabend ein großartiger Kampf, den sich die derzeit besten deutschen Basketballteams lieferten, energiegeladen, rasant, in einer irrwitzigen Geschwindigkeit und einer für diese späte Saisonphase unglaublichen Intensität. Alley-oop-Pässe, Dunkings, wuchtige Blocks, tiefe Distanzwürfe - es war alles geboten, was dieser Sport auf hohem Niveau hergibt. Beide Mannschaften verteidigten giftig und gingen in der Offensive ein enormes Tempo. Die Bonner konnten aber nur bis zum 17:21 mithalten, danach spielten sich die Ulmer in einen Rausch.

Angeführt von Kraftpaket Karim Jallow, mit 24 Punkten Topscorer und kaum zu bremsen, enteilten die Gastgeber dem Gegner zusehends - und bald uneinholbar. Die Gegenwehr der sich anfangs tapfer wehrenden Gäste erlahmte von Minute zu Minute. Brandon Paul (23 Punkte) begann, einen Dreier nach dem anderen aus allen Lagen und wie an der Schnur gezogen durch den Bonner Korb rauschen zu lassen. Und der NBA-erfahrene Caboglo (20) fand Spaß daran, den Ball von vorne oder hinterrücks mit aller Wucht in den Korb zu stopfen.

Rollentausch: Beim FC Bayern war Gavel der Anführer und Jallow Nachwuchskraft. Nun ist Gavel Trainer und Jallow der Anführer

Zur Pause führten die Ulmer bereits zweistellig, und als sie keinerlei Willen erkennen ließen, auch nur ein bisschen Tempo und Wucht aus ihrem Spiel zu nehmen, erkannte auch Bonns Trainer Tuomas Iisalo die Aussichtslosigkeit des Unterfangens. Weite Teile der zweiten Hälfte erlebte er versteinert auf seinem Stuhl sitzend, hernach sprach er von der "schwächsten Saisonleistung meiner Mannschaft". Dabei wollte er das Fehlen seines gesperrten Centers Michael Kessens, der für einen Schubser in Spiel zwei für drei Partien gesperrt wurde, und den Ausfall des angeschlagenen Javontae Hawkins gar nicht als Ausrede verwenden, denn man habe derlei Situationen in der langen Saison auch schon gemeistert. Iisalo wirkte nach der Partie vielmehr ebenso ausgelaugt wie seine Spieler.

Es scheint, als gingen den Bonnern in der Endphase der Saison nun doch die Kräfte aus. Die Mannschaft spielte wie ein angepikster Ballon, dem nach und nach die Luft entweicht, bis er schlaff zu Boden sinkt. Mit dem Sieg in der Champions League können die Bonner ihre Saison bereits als Erfolg verbuchen, das sitzt in den Köpfen der Spieler. Selbst der famose US-Spielmacher T.J. Shorts (11 Punkte) zeigte Verschleißerscheinungen, leistete sich viele Fehler und rieb sich in einem Kleinkrieg mit seinem Gegenüber Yago dos Santos auf, welcher dem wertvollsten Spieler der Saison im gesamten Spiel ein gellendes Pfeifkonzert einbrachte - und den am Ende der Brasilianer klar gewann.

Intensiv, hochklassig, energiegeladen: Hier blockt Ulms Bruno Caboclo (li.) den Bonner Tyson Ward beim Korbversuch. (Foto: Hafner/Nordphoto/Imago)

Die Ulmer dagegen können eine mäßig begonnene Saison mit einem historischen Erfolg veredeln. Sicher ist aber weiterhin nur, dass es einen neuen deutschen Meister geben wird. Die Ulmer kegelten zunächst Titelverteidiger Alba Berlin und dann den FC Bayern aus dem Titelrennen. "Das ist gut für den Basketball, das tut der Liga gut", stellte Jallow fest. Gleichwohl wird die Liga diese Teams so nicht wiedersehen, die Weggänge von Bonns Trainer Iisalo und Spielmacher Shorts stehen fest. Auch jede Glanzleistung des brasilianischen Duos Caboclo und dos Santos erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass diese von Ulm nicht zu halten sind.

Als die Uhr auf Mitternacht zuschritt, stand Jallow immer noch in Socken in der leeren Halle und war wie Trainer Gavel bemüht, dem Moment Nüchternheit zu geben: "Klar, das war gut, aber davon dürfen wir uns nicht beeinflussen lassen, es ist nichts passiert. Wir werden am Freitag versuchen, dem Ganzen Nachhaltigkeit zu geben." Das werde schwer genug, aber der Trainer werde die Mannschaft schon erneut auf den Punkt einstellen, so Jallow. Die beiden kennen sich noch aus gemeinsamen Münchner Zeiten, Gavel war der Anführer, als der FC Bayern 2018 deutscher Meister wurde, Jallow war eine talentierte Nachwuchskraft. Nun ist Gavel in seinem ersten Trainerjahr, und Jallow ist der Anführer. Eine nach wie vor gewinnbringende Zusammenarbeit, mit veränderten Rollen - und einer historischen Chance. Aber darüber will keiner sprechen.

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