Bayern-Sieg in Berlin:Übertriebene Experimentierfreude

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Kollektiver Bayern-Jubel auch in Berlin: Arjen Robben, Franck Ribéry und Juan Bernat (Foto: REUTERS)

Pep Guardiola überrascht Hertha BSC in der ersten Hälfte mit wilden Rochaden. Die Münchner sind derart überlegen, dass die Berliner Fans Schlimmes befürchten müssen. Am Ende aber wäre ein Unentschieden für Hertha möglich gewesen.

Von Matthias Schmid

Karl-Heinz Rummenigge liebt Gedichte, das ist bekannt, seit er sich vor vier Jahren als humoristischer Dichter bei einer Mitgliederversammlung des FC Bayern Franz Beckenbauer näherte ("Lieber Franz, ich danke Dir. Ich danke Dir, ich danke Dir sehr"). Schlechte Gedichte, sagt man, kommen von Herzen. Und so ist Rummenigges Spätwerk wirklich sehr herzergreifend ("Ich danke Dir, danke Dir ganz toll. Weiß gar nicht, was ich alles sagen soll").

Am Tag vor dem Bundesligaspiel bei Hertha BSC zitierte der Vorstandsvorsitzende nun Heinrich Christian Wilhelm Busch mit dem schönen Satz: "Neid ist die aufrichtigste Form der Anerkennung." Ob Pep Guardiola den einflussreichen deutschen Dichter kennt, ist nun nicht überliefert, aber Rummenigge verehrt den spanischen Cheftrainer ähnlich wie Franz Beckenbauer oder Wilhelm Busch. "Pep ist ein Segen für den FC Bayern", sagte Rummenigge: "Ich werde alles dafür tun, dass dieser Trainer und Mensch so lange wie möglich in München bleibt. Ich weiß, dass er der vielleicht wichtigste Angestellte von Bayern München ist."

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Zumindest ist er auch der experimentierfreudigste. Er hatte sich nach der 2:3-Niederlage unter der Woche in der Champions League bei Manchester City wohl mal wieder eingeschlossen in seinem Büro, allein mit dem Laptop und seinen Gedanken. Tüftler Guardiola überraschte abermals mit einer offensiven Formation. Wie schon gegen Hoffenheim schickte er Thomas Müller, Mario Götze, Arjen Robben, Franck Ribéry und Robert Lewandowski fünf Spieler auf den Rasen, die lieber stürmen als verteidigen. Und wie schon gegen Hoffenheim (4:0) endete das Experiment erfolgreich: München gewann in Berlin durch ein Tor von Robben (27.) 1:0 und vergrößerte seinen Vorsprung in der Tabelle zumindest bis Sonntag auf zehn Punkte.

Noch überraschender als die Aufstellung war diesmal aber, wie er seine Spieler auf dem Rasen anordnete oder besser: wie er sie nicht anordnete. Sie wechselten so oft ihre Positionen, so absurd und so zufällig wie die Lottozahlen. Robben und Ribéry zog Guardiola dabei nach innen, in die Zentrale. Robben spielte direkt hinter den Spitzen Müller und Lewandowski, Ribéry stand oft auf einer Linie mit Xabi Alonso. Aber immer nur paar Ballstafetten lang. Vor allem die Außenverteidiger Rafinha (rechts) und Juan Bernat (links) waren unterfordert, sie waren gegen übervorsichtige Berliner ihrer ureigenen Aufgaben beraubt, sodass sie eigentlich nicht verteidigten, sondern permanent stürmten.

So überlegen wie in den ersten 45 Minuten waren die Münchner selten in dieser Saison, so defensiv wie Hertha spielte selten eine Mannschaft. Die Berliner verbarrikadierten sich mit zwei Viererketten vor dem eigenen Strafraum, als wollten sie den Rasen vor den bösen Stollen der bayerischen Eindringlinge schützen, weil diese nur tiefe Furchen hinterlassen. Das gelang ihnen nicht, aber zumindest durften die Münchner nur einmal in der ersten Hälfte jubeln, als Müller mit der Hacke den Ball lustvoll auf Robben weiterspielte, sodass dieser mit links aus 17 Metern abschließen konnte. Ein Berliner Torschuss? Sahen die Hertha-Fans nicht. Sie feierten schon einen gewonnenen Zweikampf so euphorisch wie einen Bundesligasieg.

Das anpassungsfähige Verhalten seiner Spieler testete Guardiola auch nach dem Seitenwechsel. Doch die Berliner besannen sich nun auf den Kern eines Fußballspiels, sie spielten nach vorne, fast mutig und kamen in der 47. Minute auch gleich zu ihrem Torschuss. Nach mehr als einer Stunde hatte auch Guardiola genug von seiner übertriebenen Experimentierfreude, er wechselte für Götze in Sebastian Rode einen Spieler ein, der seine Stärken in der Balleroberung hat. Auch weil sich München dem Berliner Niveau anpasste und nur noch einmal aufs Tor schoss. Neuer musste sogar einen Freistoß von Ronny zweimal greifen, um ihn sicher aufzunehmen. Die beste Chance in der zweiten Hälfte hatte Berlin, als Innenverteidiger John Anthony Brooks den Ball mit links aus kurzer Distanz über die Latte drosch.

Am Ende gewann der FC Bayern dank der überlegenen ersten Hälfte - und mit etwas Glück.

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