Aus in der Champions League:Bayern springt daneben

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  • Der FC Bayern unterliegt dem FC Liverpool mit 3:1 - Sadio Mané und Virgil van Dijk erzielen die Tore.
  • Manuel Neuer kommt vor dem ersten Tor zu spät. Van Dijk überspringt vor dem 2:1 Hummels und Martinez.
  • Zum ersten Mal seit der Saison 2010/11 stehen die Münchner nicht im Viertelfinale der Champions League.

Von Claudio Catuogno, München

Was wichtig werden würde für dieses Spiel der Spiele? Für das Achtelfinal-Rückspiel gegen den FC Liverpool? Eine "gute Balance zwischen Offensive und Defensive" würde wichtig werden, hatte der Bayern-Trainer Niko Kovac vorausgesagt, man würde angreifen müssen, logisch, die Bayern mussten schließlich gewinnen nach dem 0:0 im Hinspiel. Aber man würde auch eine "gute Restverteidigung" brauchen. Also nicht "Holla die Waldfee nach vorne rennen", sondern immer auch im Kopf haben: Jürgen Klopps Liverpooler sind "die mit Abstand stärkste Mannschaft im Umschaltspiel".

Und dann? Kam bloß ein hoher Ball geflogen, eine handelsübliche Ecke, in der 69. Minute auf den Weg gebracht von James Milner. Und im Zentrum des Münchner Strafraums sprang Virgil van Dijk am höchsten und nickte den Ball ins Tor zum 2:1 für Liverpool. Nicht ganz so hoch sprangen Mats Hummels und Javi Martínez, jene beiden Münchner also, die das Hinspiel noch auf so beeindruckende Weise geprägt hatten mit ihrem fast fehlerlosen Abwehrspiel. Diesmal sprangen sie daneben, und spätestens in dieser 69. Minute ahnten die meisten Beobachter in der Münchner Arena: Das war es wohl für die Bayern. Erstmals seit der Saison 2010/11 sind sie schon im Achtelfinale der Champions League ausgeschieden. Und: Erstmals seit 2005/06 steht damit keine einzige deutsche Mannschaft im Viertelfinale.

"Liverpool hat verdient gewonnen", war der einzige Satz, den der Bayern-Präsident in der Münchner Arena in die Mikrofone sprach. Sportchef Hasan Salihamidzic sagte: "Sie waren einfach besser." Und Niko Kovac sagte im Grunde das Gleiche, bloß mit mehr Worten: "Wir hatten einen starken Gegner. Da muss man Liverpool und Jürgen Klopp gratulieren. Sie waren über zwei Spiele die bessere Mannschaft. Wir haben verdient verloren. Der Gegner hat sehr hoch attackiert, war kompakt, das war sehr schwer für uns. Wir hatten auch nicht unseren besten Tag. Liverpool ist eine Top-Mannschaft in Europa. Wir haben unsere Grenzen aufgezeigt bekommen."

1:2 stand es nun also, nachdem Sadio Mané Liverpool früh in Führung gebracht hatte (26.) und die Bayern dann durch ein Eigentor von Joel Matip zum Ausgleich gekommen waren (39.). 1:2 - jetzt blieb den Bayern natürlich nur noch Holla die Waldfee, jetzt wurde auch die Restverteidigung löchrig. Mo Salah brachte also noch einen brillanten Außenristpass auf Mané auf den Weg, Mané erzielte per Kopf Liverpools 3:1 (84.) - der Endstand. Viele Zuschauer verließen vorzeitig die Münchner Arena, und auf der Tribüne guckte der Bayern-Präsident Hoeneß ebenso bedröppelt wie der Bundestrainer Joachim Löw.

Letzterer hatte ja ein gewisses Sonderinteresse geweckt nach seiner jüngsten Ausbootung der Münchner Weltmeister Mats Hummels, Thomas Müller und Jérôme Boateng aus der Nationalelf. Seine Anwesenheit in der Arena hatte zu allerlei Spekulationen Anlass gegeben. Werden Differenzen ausgeräumt? Kommt es zum großen Krach mit Hoeneß? Nun: Zumindest ein Gespräch mit dem Bayern-Präsidenten schien Löw kein allzu großes Bedürfnis zu sein: Der Bundestrainer kam laut Augenzeugen erst kurz vor dem Anpfiff überhaupt am Stadion an. Doch wie nicht anders zu erwarten, rückten am Mittwochabend, nach der Aufregung der vergangenen Tage, sowieso alle Löwschen Stil- und Timingfragen in den Hintergrund. Das große Brummen des aktuellen Ereignisses absorbierte alle Nebengeräusche.

Und die für den Trainer Niko Kovac entscheidenden Aufstellungsfragen lagen jenseits des Löw-Ärgers: Da war etwa der alte Franck Ribéry, der noch mal auf der großen Bühne den Flügel bespielen durfte (überwölbende Frage: Ist es sein letztes Champions-League-Spiel? Antwort: vermutlich ja); Kingsley Coman nahm nach auskuriertem Muskelfaserriss zunächst auf der Bank Platz. Und für den gelbgesperrten Joshua Kimmich wählte Kovac den naheliegenden Ersatz: Als Rechtsverteidiger durfte Rafinha beginnen. Mats Hummels? War eh gesetzt nach seinem fulminanten Hinspiel. Jérôme Boateng? Kovac setzte an seiner Stelle wieder auf Niklas Süle.

Und Thomas Müller? Der saß rotgesperrt auf der Tribüne. Liverpool wiederum erfreute sich an einem Rückkehrer: Van Dijk rückte nach seiner Gelbsperre zurück in die Abwehrreihe. Überdies verfiel der Trainer Klopp nicht erneut der Idee, Milner draußen zu lassen: Milner gilt gemeinhin als der Mentalitätsspieler bei Liverpool, sein Fehlen im Hinspiel schien die ganze Veranstaltung herunterzudimmen. Nun war sein Mitwirken ein Fingerzeig, wie der deutsche Trainer der Reds in der Münchner Arena zum Erfolg kommen wollte: eben über die Leidenschaft. "Wenn wir ein normales Spiel spielen, werden wir keine Chance haben", hatte er angekündigt, "und dann dürften wir auch rausfliegen." Aber so kam es dann nicht, und am Ende reckte Klopp so oft die Faust in den Münchner Nachthimmel, dass sie ihm das bestimmt noch eine Weile nachtragen werden auf der Münchner Vip-Tribüne.

Eine Zahl hatte den Münchnern eigentlich Hoffnung gemacht: In 21 von 23 Fällen waren sie nach einem Hinspiel-Remis bisher noch weitergekommen. Und sie begannen die Partie in diesem Geiste: Nach sieben Minuten hatte Thiago mit einem Weitschuss die erste Gelegenheit, kurz darauf hoffte Robert Lewandowski nach einem Zweikampf im Strafraum vergeblich auf einen Elfmeter (11.). Doch schleichend kündigte sich das Unheil an: Die Bayern wurden passiver, es gab kaum mehr Anspielstationen im Mittelfeld - und dann schlug in der 26. Minute van Dijk einen weiten Ball auf Mané. Mané drehte sich in bemerkenswerter Gelassenheit um die eigene Achse und hob den Ball in aller Ruhe ins Bayern-Tor. Manuel Neuer, der sein 100. Champions-League-Spiel absolvierte, war Richtung Schütze geeilt, ohne dort etwas machen zu können, mal abgesehen von einer schlechten Figur.

"Mané hat es einfach zu gut gemacht", sagte Neuer später. 0:1. Nun brauchte Bayern zwei Tore. Allerdings waren sie weiterhin vollauf damit beschäftigt, das Liverpooler Angriffsspiel zu unterbinden - selten hat man eine Münchner Elf so häufig grätschen gesehen wie in der ersten Hälfte. Dann allerdings keimte wieder Hoffnung: Ein Freistoß von Süle, Gnabry legt den Ball nach innen - und von Matips Schuhspitze springt er über die Linie. Eigentor, 1:1. Ein Martínez-Kopfball (63.) war dann noch die beste Gelegenheit der Münchner in der zweiten Halbzeit, sehr viel mehr war nicht. Und kurz darauf flog ein Eckball hoch in den Münchner Strafraum.

Spätestens jetzt wurden Erinnerungen an 1981 wach: Auch damals waren die Bayern nach einem 0:0 an der Anfield Road noch ausgeschieden, durch ein 1:1 im Olympiastadion. Damals sei man nach dem Hinspiel der Meinung gewesen, "dass das Schlimmste hinter uns läge", hatte Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge kürzlich erzählt und gemahnt, man dürfe diesmal nicht den gleichen Fehler machen. Das hat man allerdings auch nicht.

Liverpool war die reifere, bessere, präsentere Mannschaft. "So ein Ausrufezeichen zu setzen, ist brutal gut", sagte Jürgen Klopp. "Es gibt nicht viele Mannschaften, die auf ihrer Visitenkarte stehen haben, dass sie die Bayern rausgeworfen haben."

© SZ vom 14.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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