Wolfsburg vor dem Bayern-Spiel:An der brasilianischen Mauer

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Portugiesisch verboten: Wenn die Brasilianer Dante (Bild), Luiz Gustavo und Naldo auf dem Platz stehen, tauschen sie sich in Deutsch aus. (Foto: Peter Steffen/dpa)
  • Mit Naldo, Dante und Luiz Gustavo bilden drei Brasilianer das Herzstück der Defensive des VfL Wolfsburg.
  • Vor allem einer erhofft sich durch die Partie gegen den FC Bayern Resonanz in der Heimat.
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Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Es gibt einen Weg, einen Schatten über das stets freudige Gesicht des Ronaldo Aparacido Rodrigues zu legen, der in Branchenkreisen unter dem Künstlernamen Naldo firmiert. Es reicht, ihn mit einem einzigen Wort zu konfrontieren: Seleção, zu deutsch: Auswahl. Es ist der Terminus, der in Brasilien für die Nationalmannschaft gebräuchlich ist, und wenn es seit Jahren eine beharrliche Überraschung gibt, dann diese: Dass Naldo, seit Jahren einer der besten Innenverteidiger der Fußball-Bundesliga und derzeit beim VfL Wolfsburg aktiv, eigentlich nie eine reelle Chance erhielt, sich auch für die brasilianische Nationalmannschaft auszuzeichnen.

"Es ist traurig, gerade erst eine so gute Saison gespielt zu haben und die neue Spielzeit so gut zu beginnen. Und dann erinnert sich in Brasilien keiner an dich", sagt Naldo, der nun auf 274 Bundesligaspiele verweisen kann, aber nur ein Mal in der Nationalelf spielte.

Den Wolfsburgern ist nicht nur, aber vor allem in defensiver Hinsicht ein guter Saisonstart geglückt. Bislang ist der Zweite der Meisterschaft und Pokalsieger, der am Dienstag beim FC Bayern antritt (20 Uhr), in allen drei Wettbewerben ungeschlagen, was immer noch keine Selbstverständlichkeit ist: Die Veränderungen in der Statik, die der VfL Wolfsburg noch nach Saisonbeginn hinnehmen musste (De Bruyne und Perisic wurden verkauft, Draxler und Dante kamen), muss man auch erst einmal verdauen. Zumal auch noch die etatmäßige Nummer eins, Diego Benaglio, zu Saisonbeginn ausfiel.

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"Wir sind nun seit vier Spielen ohne Gegentor. Auch deswegen fahren wir mit sehr viel Selbstvertrauen nach München", sagt Naldo, der nicht nur mit grandiosen Freistößen, sondern auch aus dem Spiel heraus Torgefahr ausstrahlt: Beim 2:0-Sieg gegen Hertha BSC am Samstag verfehlte sein sehenswerter Flugkopfball nur knapp das Tor.

Zuletzt hatte ihm Trainer Dieter Hecking in der Innenverteidigung einen Landsmann als Partner zur Seite gestellt: Dante Bonfim Costa Santos (191 Bundesligaspiele), der bis vor wenigen Wochen noch beim FC Bayern aktiv war. Dass sich die beiden Wolfsburger Innenverteidiger gut verstehen, ist unübersehbar; mit dem (einst ebenfalls in München beschäftigten) defensiven Mittelfeldmann Luiz Gustavo komplettiert ein weiterer Brasilianer das zentrale defensive System der Wolfsburger - wobei Luiz Gustavo der einzige des Trios ist, der für das WM-Qualifikationsspiel in Chile (8. Oktober) berufen wurde; Dante ist seit der WM 2014 und dem 1:7 gegen den Weltmeister nicht mehr dabei gewesen.

"So lange die nicht da hinten brasilianisch-Hacke-Spitze-eins-zwei-drei spielen. . .", witzelte Hecking bei Dantes Einstand. Doch niemand aus dem Trio neigt zu brasilianischem Barock, sie verkörpern Aufopferung, Ernsthaftigkeit, Effizienz. Die Verständigung untereinander erfolgt dabei übrigens auf Deutsch, die Muttersprache ist von der 1. bis zur 90. Minute Tabu. "Natürlich rutscht uns mal ein Wort auf Portugiesisch heraus", gesteht Naldo, "aber der Schlüssel zu unserer Defensivarbeit liegt in der Kommunikation, weil sich alle auf dem Platz vernünftig positionieren müssen: Stürmer, Mittelfeldspieler, Verteidiger. Schon deshalb reden wir Deutsch."

Das wird gegen den FC Bayern nicht anders sein; ein Spiel, das für Dante eine spezielle Partie sein wird. "Er hat bei den Bayern alles gewonnen, da hat man besondere Gefühle. Aber er ist nun in Wolfsburg", sagt Naldo. Dante bestätigt dies: "Ich bin durch eine kleine Tür hinein und durch eine große Tür wieder herausgegangen", sagt er voller Stolz.

Zu den Gründen, die ihn dazu bewogen, den FC Bayern zu verlassen, zählte vor allem der Mangel an Spielpraxis. In Wolfsburg hat er sich von Beginn an und problemlos in ein System eingefügt, das konservativer daherkommt als der streng vorwärtsgerichtete Stil von Pep Guardiola. "Wir stehen manchmal zehn Meter hinter der Mittellinie, um die Konter zu kontrollieren, und überlassen dem Gegner schon mal den Ball", sagt Dante.

Dass er bis vor kurzem noch Kollege der Gegner war, die ihm am Dienstagabend gegenüberstehen werden, sieht Dante nur bedingt als Vorteil an, dafür sei Guardiola zu sehr für Überraschungen gut. Wie auch immer: Sollte Wolfsburg in München zu Null spielen, hofft vor allem Naldo auf Resonanz in der Heimat.

Zwar ist er nun auch schon 33 Jahre alt, für Fußballer ein hohes Alter: "Andererseits: Wenn ich doch auf dem Platz funktioniere?" Dass die Arena in München eine große Bühne sein kann, ist Naldo jedenfalls bewusst, er will sie nutzen: Die Bundesliga wird in der Heimat seit dieser Saison live gezeigt, Verwandte und Freunde berichten, dass er bei den Kommentatoren gut wegkommt. "Vielleicht sieht mich Nationaltrainer Dunga ja auch mal", hofft er.

© SZ vom 22.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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