Bayern-Pleite gegen Leverkusen:Vertreibung aus dem Paradies

Robert Lewandowski (FC Bayern Muenchen 09), Lukas Hradecky (Bayer Leverkusen 01), FC Bayern Muenchen vs. Bayer Leverkus

Egal aus welcher Position Robert Lewandowski an diesem Abend abzieht, am Ende landet der Ball doch bei Leverkusens Torhüter Lukas Hradecky, am Pfosten oder im Aus.

(Foto: Sascha Walther/imago)
  • Beim FC Bayern fragt man sich nach dem 1:2 gegen Leverkusen, ob es jemals so eine Verschwendung von Torchancen gegeben hat.
  • Es werden wieder Probleme sichtbar, die man eigentlich hinter sich gelassen glaubte.

Von Christof Kneer

Lukas Hradecky nahm den Ball in die Hände, betrachtete ihn ausgiebig von allen Seiten, legte ihn wieder auf den Boden und hob ihn noch einmal hoch. Noch mal schaute der Torwart von Bayer Leverkusen den Ball sehr genau an, womöglich entzifferte er irgendwelche geheimen Schriftzeichen, die vor ihm noch niemand entdeckt hatte. Dann drehte er den Ball noch einmal in seinen Händen (wollte er etwa die Schriftzeichen verwischen?), anschließend trug er ihn ein paar Meter liebevoll durch seinen Strafraum.

Um Hradecky herum wurde es immer lauter, Menschen brüllten und pfiffen, andere Menschen machten komische Bewegungen. Vor der Bank des FC Bayern hatten sich Menschen sogar auf eine spezielle Choreografie geeinigt, sie hüpften herum, streckten einen Arm von sich und tippten mit dem Zeigefinger der einen Hand auf das Handgelenk der anderen Hand, an jene Stelle, an der man außerhalb eines Fußballplatzes für gewöhnlich eine Uhr trägt.

Zeitspiel! Zeitspiel! riefen die Menschen auf der Bayern-Bank empört, Schiedsrichter! Nachspielen!

Kurz zuvor war der Leverkusener Wendell zur Seitenlinie gehumpelt, im Tempo eines Mannes, der die S-Bahn unter keinen Umständen erreichen will. Und jetzt drehte Lukas Hradecky den Ball ein letztes Mal in seinen Händen und schlug endlich ab.

Mehr als sechs Minuten hat Schiedsrichter Winkmann am Ende nachspielen lassen, aber das war natürlich nicht genug. Man hätte mindestens acht, zehn, zwölf Minuten mehr gebraucht, nicht wegen des FC Bayern, der die 1:2-Niederlage gegen Bayer Leverkusen dann wohl auch nicht mehr abgewendet hätte. Aus rein künstlerischen Erwägungen hätte man gern mehr von diesem Spiel gehabt, bestimmt hätten die Bayern noch ein paar artistische Latten- und Pfostenschüsse aufgeführt, oder sie hätten sich gegenseitig von der Torlinie geschossen und den Ball dabei einen hübschen Looping beschreiben lassen. Nur ins Tor von Lukas Hradecky getroffen, das hätten sie selbstverständlich nicht.

Hradecky war die Hauptfigur in einem Spiel, das die Menschen über alle Sprachgrenzen hinweg vereinte. "So ist der Fußball", sagte Joshua Kimmich, "c'est le football", sagte Benjamin Pavard ein paar Meter weiter. Sie alle betreiben Fußball beruflich, aber in keinem dieser Berufsleben war schon mal so ein Spiel vorgekommen. Auch Thomas Müller, immerhin Schütze des Ausgleichs, nahm das Spiel "fassungslos und paralysiert " zur Kenntnis, er habe das "so weit ich mich erinnern kann, noch nie erlebt: so viele Chancen zu vergeben. Und dann kommt noch Pech dazu, Innenpfosten, raus, Unterkante Latte, raus ..."

Es gibt Spiele, bei denen man geneigt ist, sie als Gesamtkunstwerk einfach so stehen zu lassen. Sie stehen nicht exemplarisch für etwas, der FC Bayern hat nicht plötzlich ein grundlegendes Problem mit der Chancenverwertung, nur weil die Spieler an diesem Tag jede Latte und jeden Pfosten trafen, die sie finden konnten. Trainer Hansi Flick wird darauf vertrauen, dass Serge Gnabry frei vor dem Torwart künftig wieder schlauere Entscheidungen trifft als jene, Ivan Perisic anzuspielen (45.). Auch Robert Lewandowski wird künftig wieder häufiger am Torwart vorbei ins Tor schießen und nicht stramm auf dessen Körper.

"Vom Willen und Engagement her" könne er der Elf keinen Vorwurf machen, sagte Flick, "wir waren einfach zu fahrlässig mit unseren Chancen." Auch Kimmich unterschied fein zwischen ehemaligen und aktuellen Niederlagen, es sei "schon ein Trost", dass man in der zweiten Hälfte so gut gespielt habe, "früher sind wir hinterher auch mal dagestanden, haben uns angeschaut und gefragt: Was war das heute?"

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