Bayer Leverkusen:Zurück ins Wasser nach Bayerns Hai-Angriff

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Leverkusens Torwart Lukas Hradecky hat sich besonders auf die Fan-Rückkehr gefreut - doch statt einer gemeinsamen Feier gibt's Erklärungsversuche nach einem Debakel. (Foto: Uwe Kraft/Imago)

Im vermeintlichen Topspiel erlebt Bayer Leverkusen gegen Bayern München 7:14 Minuten der Demütigung. Das einzig Gute: Sie haben nun schnell viele Chancen, mit dem Vergessen zu beginnen.

Von Ulrich Hartmann, Leverkusen

Lukas Hradecky, 31, hat gar nicht so viel eingebüßt an seinen statistischen Topwerten. Er ist in dieser Saison immer noch der Bundesliga-Torwart mit den zweitmeisten gehaltenen Bällen, hinter dem Bochumer Manuel Riemann. Er ist für das Fachblatt Kicker immer noch der am drittbesten benotete Torwart hinter Freiburgs Mark Flekken und Dortmunds Gregor Kobel. Und er bleibt nach acht Saisonpartien weiter einer der besten Torhüter mit drei sogenannten weißen Westen - das sind Spiele ohne Gegentor.

Doch am Sonntag zwischen 15.59 Uhr und 16.07 Uhr erlebte der finnische Nationalspieler als Schlussmann des Bundesligisten Bayer Leverkusen die vielleicht schwärzesten sieben Minuten und 14 Sekunden seiner Karriere. Dass es genau 7:14 Minuten waren, wurde sehr präzise rekonstruiert, denn was in diesen 7:14 Minuten passierte, das hat die Bundesliga selten gesehen. Vier Tore erzielten Robert Lewandowski, Thomas Müller und Serge Gnabry (zwei) allein in diesen 7:14 Minuten für den FC Bayern München. Vier Mal sind in dieser kurzen Zeit dem sonst so gut gelaunten Torwart Hradecky die Gesichtszüge eingefroren. "Das war ganz, ganz schrecklich", sagte er hinterher, "so etwas möchte ich nie wieder erleben."

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Natürlich, es ging nur um Fußball. Niemand ist zu Schaden gekommen. Niemandem ist ernsthaft etwas passiert. Hradecky stand ja auch am 12. Juni in Kopenhagen auf dem Feld, als im EM-Auftaktspiel seiner Finnen gegen Dänemark der dänische Spieler Christian Eriksen zusammengebrochen ist und wiederbelebt werden musste. Das war ein Schock aus dem richtigen Leben. Die 7:14 Minuten am Sonntag waren nur der Schock für einen Torhüter.

Für Hradecky war die Partie, in der es nach 37 Minuten 5:0 und am Ende 5:1 für die Bayern stand, dennoch ein eindrückliches Erlebnis. Noch im August hatte er darüber geklagt, dass er die Zuschauer so vermisse, dass er auch wegen der tollen Stimmung in den deutschen Stadien im August 2015 von Bröndby aus Dänemark zu Eintracht Frankfurt gewechselt sei, von wo er 2018 zu Bayer Leverkusen weiterzog. In den Corona-leeren Stadien sei es ihm dann schwergefallen, sich maximal zu motivieren.

Und dann das: Da war das Leverkusener Stadion am Sonntag erstmals seit dem Pandemie-Ausbruch mit knapp 30 000 Zuschauern wieder rappelvoll zum Topspiel der Bundesliga, und dann lagen die Leverkusener nach 37 Minuten mit 0:5 hinten. Da möchte man im Boden versinken. "Wir haben diese tolle Stimmung im vollen Stadion heute nicht verdient mit dieser Leistung", war dann auch der erste Satz, den Hradecky kurz nach dem Abpfiff im Dazn-Interview sagte.

Leverkusen-Trainer Seoane ruft schnell den Neuanfang aus

Fünf Gegentore hatte er zuvor erst einmal in seinen mittlerweile 204 Bundesligaspielen kassiert - im Oktober 2015 mit Frankfurt gegen Gladbach. Die Partie damals ging ebenfalls als Heimspiel 1:5 verloren, in der zweiten Halbzeit gab es vier Gegentreffer binnen 40 Minuten. Aber vier Gegentreffer binnen 7:14 Minuten in der ersten Halbzeit sind schlimmer. In der Bundesliga-Geschichte sind nur zwei Mannschaften fünf Tore in einem Auswärtsspiel noch früher gelungen, beide Male im Jahr 1964: Borussia Dortmund bei Schalke 04 nach 23 Minuten und dem Karlsruher SC bei Eintracht Frankfurt nach 30 Minuten.

Hat aus Leverkusen eigentlich eine begeisternde Mannschaft geformt, muss jetzt aber erst einmal Aufbauarbeit leisten: Trainer Gerardo Seoane. (Foto: Uwe Kraft/Imago)

Hradecky war natürlich nicht der Einzige, der unter der Demütigung gelitten hat. Dass dem Trainer Gerardo Seoane am Spielfeldrand nicht die Haare zu Berge standen, lag nur daran, dass er sie stets streng und sehr feucht scheitelt. "Die erste Halbzeit war brutal", sagte der Schweizer, aber er mochte sich nicht allzu lange aufhalten mit der Analyse eines Spiels, das man eigentlich direkt wieder aus der Erinnerung löschen möchte.

Die zweite Halbzeit, die die Leverkusener gegen erkennbar verwaltende Münchner netto sogar mit 1:0 gewannen, erkor Seoane zur Ehrenrettung und zum schnellen Neubeginn nach dem Trauma der ersten Halbzeit. "Nach der Pause war eine Tendenz nach oben zu erkennen", hob er hervor, "und das ist gut mit Blick auf die nächsten Spiele."

Am Donnerstag steht in der Europa League das dritte Gruppenspiel bei Real Betis Sevilla an, am Sonntag reisen die Leverkusener 18 Kilometer südwestlich zum prestigeträchtigen Derby beim 1. FC Köln und drei Tage später empfangen sie zum Zweitrundenspiel im DFB-Pokal den Zweitligisten Karlsruher SC. Selten haben sie sich so gefreut über drei Spiele in drei Wettbewerben binnen sieben Tagen, denn das bietet dreimal kurz nacheinander die Gelegenheit, das Trauma vom Sonntag zu verarbeiten.

Nach einem Spiel wie ein Hai-Angriff gegen Bayern München müssen die Leverkusener sozusagen möglichst schnell wieder ins Wasser. Nur praktisch, nicht ausschließlich gedanklich, können sie ihre schrecklichen 7:14 Minuten vergessen machen.

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