Deutschlands Basketballer:Das Schicksal des obersten Gejagten

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David Krämer war in diesem Quali-Fenster der letzte verbliebene Weltmeister von 2023 - der Flügelspieler von CB Granada konnte die Niederlage in Bulgarien aber nicht verhindern. (Foto: Matthias Stickel/dpa)

Der Weltmeister erlebt in der EM-Qualifikation in Bulgarien eine empfindliche Niederlage, für die es klare Erklärungen gibt. Nach zwei Spielen mit zahlreichen Akteuren aus der zweiten Reihe gewinnt Bundestrainer Herbert trotzdem Erkenntnisse.

Von Ralf Tögel

Vielleicht hilft zur Einordnung ein kleiner Blick in die Vergangenheit, da der Boulevard gerade die Kunde von der Mega-Blamage des deutschen Basketballs in die Welt schreit. Am 25. November 2021 trat ein gewisser Gordon Walter Herbert erstmals aktiv an seiner neuen Arbeitsstelle in Erscheinung: Der neue Bundestrainer hatte die EM-Qualifikationspartie der deutschen Nationalmannschaft gegen Estland zu betreuen. Und kurz darauf eine völlig überraschende Heimpleite zu erklären.

Denn Herbert führte sich mit einer 66:69-Niederlage in Nürnberg ein, gegen den 44. der Weltrangliste. Das Ende ist bekannt, der 65-Jährige ist mittlerweile EM-Bronzemedaillengewinner und Weltmeister. Dennoch verlor seine Mannschaft am Sonntagabend in Bulgarien das zweite EM-Qualifikationsspiel mit 62:67, eine Fehlleistung von vergleichbarem Ausmaß. Bulgarien ist 45. der Weltrangliste, gleichwohl ist die Fallhöhe der deutschen Mannschaft der große Unterschied zu damals.

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Der Weltmeister ist praktisch qua Amt der oberste Gejagte, die Bulgaren können sich nun mit dem größten Erfolg in ihrer jüngeren Historie schmücken. Silber (1957) und Bronze (1961) bei einer EM sind längst verblasst, einen Weltmeister bekommen die Südosteuropäer so schnell nicht wieder in ihre Trophäensammlung, zumal sie sich seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht mehr für das höchste aller Turniere qualifizieren konnten.

Das Missgeschick am Sonntag entstand - wie vor drei Jahren auch - mit einer B-Auswahl. Die NBA-Spieler sind bekanntermaßen zu diesen Qualifikations-Zeitfenstern des Weltverbands Fiba wegen des laufenden Spielbetriebs unabkömmlich - was früher in gleichem Maße für die besten Spieler in Europa galt. Aus diesen Gründen müssen Trainer europäischer Nationalteams jene Qualifikationen für kontinentale oder Welttitelkämpfe traditionell mit Spielern aus der zweiten Reihe bestehen. Ein Ärgernis viele Jahre lang, dem die europäischen Topligen nun mit einer Pause zu den Qualifikationsspielen erstmals entgegengekommen sind. Der Bundestrainer gönnte den Weltmeistern dennoch eine Pause, denn die spielen praktisch seit vergangenem Sommer durch, was für die Euroleague-Spieler in der Regel drei Partien pro Woche bedeutet.

Wann soll der Bundestrainer die nachrückenden Kräfte testen, wenn nicht in solchen Spielen?

Es ist müßig darüber zu sinnieren, ob die strapazierten Weltmeister Andreas Obst, Niels Giffey, Isaac Bonga (alle FC Bayern), Johannes Thiemann (Alba Berlin) sowie Maodo Lo und Johannes Voigtmann (beide Olimpia Mailand) die Partie am Schwarzen Meer gewonnen hätten - was wahrscheinlich gelungen wäre. Andererseits hat die Bundesliga in den vergangenen Jahren einen derartigen Qualitätsschub zu verzeichnen, dass man Spielern wie dem Bonner Christian Sengfelder, Hamburgs Center Jonas Wohlfarth-Bottermann, die im Übrigen beide EM-Bronze gewannen und international spielen, mehr hätte zutrauen dürfen.

Auch die restlichen Positionen waren mit ein paar alten BBL-Haudegen wie Bennet Hundt oder Max DiLeo besetzt, sowie mit einigen jungen Nachrückern wie Münchens Nelson Weidemann oder den Berlinern Jonas Mattisseck und Malte Delow. Angeführt wurde die Mannschaft von Weltmeister David Krämer und von Oscar da Silva, der vom FC Barcelona angereist war.

Und wann, wenn nicht in solchen Spielen, soll Gordon Herbert denn seine Talente testen? Zum Olympia-Turnier werden die bewährten Kräfte aus Übersee und der Euroleague spielen, das ist längst ausgemachte Sache. Aber der halbe WM-Kader ist etwa 30 Jahre alt. Herbert tut gut daran, seine nachrückenden Kräfte an den Ernstfall heranzuführen - auch wenn es bisweilen wehtut. "In der Offensive hatten wir nach den ersten fünf Minuten keinen Rhythmus mehr. Wir haben uns viel zu viele leichte Ballverluste geleistet", sagte der Bundestrainer enttäuscht bei Magentasport, "vielleicht sind einige wegen der Atmosphäre etwas abgetaucht." Womit er den Hexenkessel in der Arena von Botevgrad ansprach, der einem Teil seiner unerfahrenen Akteure offensichtlich zusetzte.

Gordon Herbert, Bundestrainer der deutschen Mannschaft, erlebte zwei grundverschiedene Spiele gegen Montenegro und Bulgarien. (Foto: Matthias Stickel/dpa)

Dass diese unerfahrene Auswahl, die so nie zuvor zusammengespielt hat, zu deutlich besseren Leistungen in der Lage ist, hatte sie am Donnerstag gegen Montenegro bewiesen, als sie den Weltranglisten-17. mit 85:61 in Ludwigsburg an die Wand spielte. Freilich war da noch Nick Weiler-Babb mit von der Partie. Der Guard vom FC Bayern darf sich neben da Silva, der in beiden Spielen bester Punktesammler und auch Spieler war, wohl die größten Hoffnungen machen, noch auf den Olympia-Zug aufzuspringen. In Bulgarien indes fehlte Weiler-Babb wegen eines familiären Trauerfalls, was der Statik der Mannschaft sichtlich schadete.

Gefiel das deutsche Team im ersten Spiel mit phasenweise sehenswerten Spielzügen, die mit krachenden Dunks abgeschlossen wurden, flüssigen Ballstafetten und sicheren Abschlüssen, so funktionierte zwei Tage später nur die Defensive über 40 Minuten. Offensiv gelang es dem jungen deutschen Team nur im ersten Viertel zu überzeugen (19:7), ehe es völlig seinen Rhythmus verlor. "Wir haben die Struktur vermissen lassen und energielos gewirkt", sagte Berlins Louis Olinde.

Offenbar fühlten sich die Spieler zu sicher, erst verlor das Team den nötigen Fokus und dann völlig die Sicherheit. Mit steigender Fehlerquote stieg das Selbstvertrauen bei den zweitklassigen Bulgaren, mit 21 Ballverlusten und einer Feldwurfquote von weniger als 30 Prozent ist es gegen jeden Gegner schwer. Immerhin stimmte der Einsatz, vor dem Schlussviertel lag die Herbert-Truppe wieder vorn (45:39), vergab den möglichen Sieg aber mit leichtsinnigen Fehlern. Zudem hatten die Bulgaren im eingebürgerten US-Spielmacher Codi Miller-Mcintyre, der das Spiel beim spanischen Euroleague-Klub Baskonia anleitet, den überragenden Spieler auf dem Feld.

Gefährdet ist die deutsche EM-Teilnahme nach der unschönen Niederlage aber keineswegs. Denn die ersten Drei in der Vierergruppe qualifizieren sich für die EM in Finnland, Lettland, Polen und Zypern im kommenden Jahr, im November wird die Qualifikation mit den beiden Spielen gegen den dritten Gegner Schweden fortgesetzt. Zu hoffen bleibt, dass sich Bundestrainer Herbert, bei allem Geschrei der Kritiker, weiterhin nicht davon abhalten lässt, den Talenten eine Chance zu geben.

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