Italiens Coup bei der Basketball-EM:Der Trainer hüpft Giannis in die Arme

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Tränen, Leid und großes Drama: Der italienische Trainer Gianmarco Pozzecco flog erst unter Tränen aus der Halle, später kehrte er triumphal zurück. (Foto: Michael Sohn/AP)

Der hohe Turnierfavorit Serbien scheidet schon im Achtelfinale aus, Sieger Italien beschert der unerwartete Erfolg einen Abend der großen Gefühle - Svetislav Pešić hadert mit der Fitness seiner Spieler.

Von Ralf Tögel, Berlin

Kurz vor der Bande erwischten ihn die drei Ordner. Einer schnappte sich den Fuß von Gianmarco Pozzecco, die anderen beiden jeweils einen Arm. Der italienische Trainer war kurz vor dem Ende des dritten Viertels wegen zweier technischer Fouls von den Schiedsrichtern in die Kabine geschickt worden, nun versuchte er im Angesicht des Triumphes, zurück zu seiner Mannschaft zu kommen. Aber das Sicherheitspersonal hatte ihn fest im Griff, Pozzecco verharrte regungslos auf der Bande, die Augen weit aufgerissen.

Schließlich bemerkten ihn seine Spieler und rannten auf ihn zu, es bildete sich eine blaue Traube aus riesigen, johlenden Basketballern, von den drei Ordnern war für einen Moment nichts mehr zu sehen. Erst nachdem er jeden, den er greifen konnte, geherzt und geküsst hatte, ließ sich Pozzecco zurück in den Bauch der Berliner Arena führen.

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Es war das glückliche Ende eines eigentlich schon verdorbenen Arbeitstages bei dieser Europameisterschaft für den Trainer der Azzurri, zu impulsiv hatte er am Spielfeldrand gezetert, geschimpft, gelitten. Bereits bei seiner Strafversetzung in die Kabine umarmte er jeden Spieler, dann noch ein paar Offizielle auf der Tribüne, ehe er unter Tränen von dannen schlich. Zu diesem Zeitpunkt war stark zu befürchten, dass Pozzecco sich nach der Partie auf den Heimweg nach Italien würde machen müssen - im Achtelfinale gegen den haushohen Favoriten Serbien deutete vieles auf das Turnier-Aus hin. Zu souverän agierten die Serben, zu überlegen waren sie durch die Vorrunde marschiert.

Die hochtalentierte serbische Mannschaft muss einmal mehr eine Enttäuschung wegstecken

Es kam anders, die Italiener drehten das Spiel im letzten Viertel und gewannen sensationell mit 94:86 Punkten. Nun stehen sie am kommenden Mittwoch (17.15 Uhr) gegen den Olympiazweiten Frankreich im Viertelfinale, der große Titelfavorit muss abreisen.

Nicolò Melli, der mit Brose Bamberg 2016 und 2017 in der Bundesliga zwei Meistertitel und einen Pokalsieg gefeiert hatte, konnte es kaum fassen: "Ganz ehrlich, ich weiß nicht, was da passiert ist. Wir waren auf dem Papier die klar schlechtere Mannschaft, aber jeder hat etwas beigetragen, jeder hat gekämpft. Wir haben mit Herz und wir haben für unseren Trainer gespielt."

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Der wusste weiterhin nicht, wohin mit seinen Gefühlen. "Meine Spieler haben gekämpft, auf dem Feld, auf der Bank. Es war hart, verrückt, emotional, ich liebe meine Spieler." Pozzecco war derart mit Endorphinen geflutet, dass er bei seiner Analyse wie ein Boxer mit erhobenen Fäusten posierte, einen Journalisten in die Wange kniff. Dann sagte er mit angemessenem Pathos: "Das war vielleicht das beste Spiel einer italienischen Nationalmannschaft."

Selbst Giannis Antetokounmpo, der NBA-Topspieler der Griechen, bekam eine Dosis italienischen Überschwangs ab, als er auf dem Weg in die Halle war und Pozzeccos Weg kreuzte. Der sprang ihm mit Anlauf in die Arme, hing wie ein Kind an dem 2,11-Meter-Hünen und gab ihm einen dicken Kuss auf die Wange. Was Antetokounmpo mit einem breiten Grinsen hinnahm.

Heimreise statt Medaille: Nikola Jokić, wertvollster Spieler der NBA, verliert sein Achtelfinale gegen Nicolò Melli und Italien. (Foto: Annegret Hilse/Reuters)

Auf dem Spielfeld indes waren die Serben lange tonangebend, angeführt von Nikola Jokić, der für die Denver Nuggets spielt und nicht umsonst zum zweiten Mal hintereinander in der NBA zum wertvollsten Spieler gewählt wurde. 32 Punkte erzielte der serbische Center, fing 13 Rebounds, all das reichte nicht gegen entfesselte Italiener. Dabei ist Jokić beileibe nicht der einzige Topspieler im Kader, Spielmacher Vasilije Micić wurde in der Euroleague zum besten Akteur gewählt, steuerte 16 Punkte bei, man hatte bis in die Schlussphase den Eindruck, dass die Serben, wenn nötig, zulegen können. Aber die leidenschaftlich kämpfenden Italiener trafen einfach zu gut, Marco Spissu versenkte im letzten Viertel vier Dreier in Serie und avancierte mit 22 Punkten zum Topscorer.

Serben-Trainer Svetislav Pešić, der die deutsche Mannschaft 1993 zu ihrem einzigen EM-Titel geführt hat, nahm das Drama am Spielfeldrand für seine Verhältnisse eigenartig emotionslos zur Kenntnis. Auch er war offensichtlich der Meinung, dass seine hochtalentierte Auswahl das Spiel schon irgendwie noch zu einem guten Ende führen kann.

Der 73-jährige Erfolgscoach, der für Jugoslawien eine EM-Trophäe (2001) und einen WM-Titel (2002) gewonnen hatte, war ja nach den Enttäuschungen der vergangenen Jahre vom serbischen Verband zurückgeholt worden, um diesen endlich zu einem Titel zu führen. Nun musste er sichtlich angefasst konstatieren, dass seine Spieler einfach nicht fit genug waren: "Italien hat den Ball gut bewegt und alle wichtigen Würfe getroffen. Um das zu verhindern, braucht man frische Beine, die hatten wir nicht." So geht dem Turnier in Jokić, den viele für den besten Basketballer der Welt halten, eine Zugnummer verloren.

Die Italiener wollen dagegen auch in ihrem Spiel gegen die Franzosen einen Trend bestätigen: Die wahrlich in großer Zahl vertretenen NBA-Spieler sind längst keine Garantie für Siege.

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