Basketball:Die letzten Meter

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Umarmung mit einem Olympiateilnehmer: Carl Steiner (rechts) herzt in der vergangenen Saison den deutsch-iranischen Aufbauspieler Philip Jalalpoor, der zwei Jahre lang Bayreuths Trikot trug. (Foto: Peter Kolb/Imago)

Fast vier Jahrzehnte lang hat sich Carl Steiner im Bayreuther Basketball engagiert. Als der Klub deutscher Meister wurde, trug er sogar seinen Namen - doch nun endet Steiners Lebenswerk. Warum nur? Ein Treffen mit einem Rastlosen.

Von Sebastian Leisgang

Manchmal gefällt es Carl Steiner, wenn er ganz alleine auf der Tribüne ist. Er sucht sich dann einen Platz, von dem er gute Sicht hat, setzt sich in eine der Plastikschalen und lässt das Training der Bayreuther Basketballer einfach auf sich wirken. Meistens, erzählt Steiner, sitze er unterm Dach, ganz oben, letzte Reihe.

Steiner kann das genießen, das Kleine im Großen, also die Details, mit denen Trainer und Mannschaft an Spielzügen feilen, auch die Stille, die immer wieder von Kommandos und dem Quietschen der Schuhe durchschnitten wird. "Ich finde das immer wieder schön", sagt Steiner.

Es ist ein kalter Nachmittag zu Wochenbeginn, Steiner, 68, sitzt in einem Restaurant in der Bayreuther Innenstadt und trägt eine ärmellose schwarze Jacke über einem schwarzen T-Shirt. Als er nach einem Salat fragt, sich aber mit seinem koffeinfreien Cappuccino begnügen muss, weil die Küche gerade nicht besetzt ist, wartet Steiner einen Augenblick, bis der Kellner ihn nicht mehr hört - dann sagt er: "Wegen Reichtum geschlossen."

In den 1980ern und 1990ern stand auf jedem Bayreuther Spielertrikot sein Name: Steiner. (Foto: Oliver Behrendt/Imago)

Im Restaurant soll es jetzt ums Loslassen und Abschiednehmen gehen, um den Bayreuther Basketball, um den Bundesliga-Verein, der auch sein Lebenswerk ist. Mäzen, Präsident, Gesellschafter: Fast vier Jahrzehnte lang war Steiner dem Klub nicht nur verbunden - er gab ihm in den Achtzigern und Neunzigern auch seinen Namen. Steiner Bayreuth, so hieß der Verein, der 1988 deutscher Pokalsieger wurde und ein Jahr später ganz oben ankam. 1989 verteidigten die Oberfranken nicht nur den Pokal, sie gewannen auch die Bundesliga. Steiner Bayreuth deutscher Meister, der kleine Klub ganz groß - und mittendrin er: Carl Steiner, aufgewachsen im Bayreuther Vorort Bindlach, Sohn eines erfolgreichen Unternehmers und inzwischen selbst Geschäftsführer eines Fernglas-Herstellers.

Manch Kritiker sagt, die Ratte verlasse das sinkende Schiff: "Aber damit kann ich leben."

Manchmal meint man ja, dass Erinnerungen Augen zum Leuchten bringen oder wenigstens ein bisschen größer werden lassen, doch bei Steiner ist das anders. Wenn Steiner heute über gestern spricht, verliert er sich nicht darin. Steiner ist kein Schwelger, im Gegenteil. Wenn sich der Privatier an das Hoch erinnert, sagt er eher Sätze wie: "Lester Habegger war als Trainer ein Glücksgriff, weil er sehr viel Know-how in den Verein gebracht hat. Aber dann war alles ein bisschen überhitzt, deshalb ist das Konstrukt gekippt."

Der Verein übernahm sich und stürzte ab, heute ist Bayreuths Geschichte eine von Aufstieg und Fall. Sie erzählt von Titeln und Triumphen, von Illusionen und Insolvenzen. Der Klub gehörte zu den Gewinnern und zu den Verlierern, er feierte und riss die Arme hoch, er taumelte und fand keinen Halt. Alles war immer im Fluss, und Steiner hat das alles mitgemacht.

Er spricht jetzt im Restaurant über Philosophie, weil sie ihn all die Jahre nicht nur begleitet hat - sie hat ihm auch Orientierung gegeben. "Die Philosophie richtet dich als Menschen immer wieder aus", sagt Steiner, "sie macht etwas mit dir und wie du mit anderen Menschen umgehst." Eines war ihm immer wichtig: dass er Mitarbeiter nicht bloß als Mitarbeiter sieht, Spieler nicht bloß als Spieler und Trainer nicht bloß als Trainer. Sie alle sind Menschen, das hat er seiner Führung immer zugrunde gelegt.

Schon vor einer Weile, Carl Steiner war noch voll im Saft, bekam er einen Ehrenplatz in Bayreuth. (Foto: Eibner/Imago)

Als Steiner 1984 einstieg, lag der Verein am Boden. "Damals ging es nur darum, dass in Bayreuth überhaupt noch Basketball gespielt wird", sagt Steiner. Er ließ sich auf die Aufgabe ein, schuf Strukturen und baute den Klub Schritt für Schritt wieder auf. Und auf einmal war er, der frühere Springreiter, der auf einem Pferd groß geworden ist, im Basketball zu Hause.

Es ging ganz nach oben, bis in die nationale Spitze, doch jetzt ist Schluss. Ab Sommer wird Steiner beim Training nicht mehr auf der Tribüne sitzen, ab Sommer ist er außen vor. "Ich habe es lange genug gemacht", sagt Steiner im Restaurant. Er hat keine Bitternis in seiner Stimme, keine Wehmut. Steiner hat seinem Lebenswerk ein Ende gesetzt und damit seinen Frieden gemacht. Manch Kritiker sage zwar, die Ratte verlasse das sinkende Schiff, sagt Steiner und legt dann eine kurze Pause ein: "Aber damit kann ich leben."

Steiner ist Frühaufsteher, seine Tage beginnen um fünf und enden nie vor 22 Uhr. Sowas zehrt

Er hat seine Entscheidung ja schon vor ein paar Monaten getroffen, zu einer Zeit also, zu der Bayreuth noch nicht auf dem letzten Platz stand und der Abschied von Geschäftsführer Johannes Feuerpfeil noch kein Thema war. "An erster Stelle stehen familiäre Gründe", sagt Steiner, "an zweiter das Reisen. Meine Frau und ich sind viel unterwegs, und es ist schwer, einem Verein verantwortlich vorzustehen, wenn man fünf, sechs Monate nicht vor Ort ist."

Die Prioritäten verschieben sich gerade, doch bevor Steiner tatsächlich geht, will er das Ruder auf den letzten Metern seiner Amtszeit nochmal rumreißen. "Ich bin verbissen hinterher, dass wir den Verein in der Bundesliga übergeben können. Darum kümmere ich mich bis zum letzten Tag", sagt Steiner.

Selbst Corona konnte Carl Steiner (rechts neben Geschäftsführer Johannes Feuerpfeil) nicht daran hindern, in die Halle zu gehen. Aber es kostete auch ihn viel Kraft. (Foto: Peter Kolb/Imago)

Früher hätte man einen wie ihn wohl quirlig genannt. Oder emsig. Steiner ist Frühaufsteher, seine Tage beginnen um fünf und enden nie vor 22 Uhr. Sowas zehrt, vor allem dann, wenn man immer wieder gegen Widerstände ankämpfen muss. Bayreuth sei eine Beamtenstadt, sagt Steiner. Vergleichsweise wenig Industrie, kaum Unterstützung der Politik, ein kompliziertes Feld, doch Steiner kennt das mittlerweile seit fast vierzig Jahren.

Die Abläufe und Prinzipien sind immer dieselben, alles wiederholt sich, da unterscheidet sich die Wirtschaft nicht vom Sport. "Wenn's gut läuft, braucht mich der Verein nicht", sagt Steiner, "wenn's schlecht läuft, stehe ich in vorderster Front. Deshalb bin ich momentan sehr eingebunden." Dann sagt Steiner noch, und das will schon was heißen, wenn einer wie er ins oberste Regal greift: "So intensiv wie momentan war's noch nie." Geht ja mal wieder um eine ganze Menge und in gewisser Weise auch um sein Lebenswerk.

"Wir müssen jetzt liefern", sagt Steiner, "das Gute ist aber, dass wir noch genug Zeit haben." Die Saison endet erst Anfang Mai mit einem Derby in Bamberg, ein paar Wochen später ist dann auch für Carl Steiner Schluss.

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