Australian Open:Becker darf nicht helfen

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Boris Becker: schweigend auf der Tribüne (Foto: Joe Castro/dpa)

Mehr gewonnene Punkte, aber mental eine Nuance schwächer: Beim Viertelfinal-Aus von Novak Djokovic bei den Australian Open zeigt sich ein Problem der Liaison mit seinem neuen Trainer Boris Becker. Wenn Djokovic seinen Trainer braucht, muss dieser schweigen.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Als er gerade seine Analyse anstimmen und erklären wollte, was er über das eben Geschehene genau denkt, hatte Novak Djokovic einen Frosch im Hals. Er musste sich räuspern, er machte das hinter vorgehaltener Hand, und weil er ein höflicher Mensch ist, sagte er: "Excuse me."

Über vier Stunden hatte er sich zuvor mit Stanislas Wawrinka, diesem Naturburschen aus Lausanne, die Bälle um die Ohren gehauen im Viertelfinale der Australian Open. Nun saß er hier, Dutzende Reporter beäugten ihn, zig Kameras und Mikrofone waren auf ihn gerichtet. Aber Novak Djokovic entschuldigt sich erst mal. Das nennt man einen Abschied mit Stil.

Dass der Abschied schmerzte, ließ sich schon daran erkennen, dass der Serbe, der im Melbourne Park dreimal hintereinander die Trophäe gestemmt hatte und mit einem neuen Trainer namens Boris Becker zu seinem vierten Streich ansetzen wollte, die Pressekonferenz so zeitig wie kein anderer Profi in den zurückliegenden zehn Tagen terminieren ließ. Um 23.30 Uhr Ortszeit hatte Djokovic seinen letzten von 60 unerzwungenen Fehler begangen, als er nach einer unüblichen Serve & Volley-Attacke einen nicht übermäßig schweren Flugball links ins Aus setzte. Um 23.45 Uhr nahm er bereits Platz im Interviewraum. 15 Minuten später war alles gesagt. In dieser kühlen Nacht zumindest.

"Ich gratuliere ihm absolut", das hatte Djokovic, die Nummer zwei der Welt, der mit der Ausbeute von sechs Grand-Slam-Titeln unzufrieden ist, gleich in Richtung Wawrinkas betont. Der Schweizer habe "extrem gut aufgeschlagen"; immer wenn dieser in Schwierigkeiten war, "konterte er mit einem großartigen Aufschlag". Sein Bestes, klar, das habe er auch gegeben, er klang, als würde er ein normales Match kommentieren, er war noch im Tunnel. Aber es war kein normales Spiel, natürlich nicht. Es war Teil drei jener Trilogie, die die beiden Hauptdarsteller in den vergangenen zwölf Monaten bei Grand-Slam-Turnieren aufgeführt haben. Ihre Spielweise ist so, dass sie sich aneinander aufreiben bis zum letztmöglichen Moment.

Januar 2013, Australian Open, Achtelfinale, 12:10 für Djokovic im fünften Satz. September 2013, US Open, Halbfinale, 6:4 für Djokovic im fünften Satz. Und nun der Coup von Wawrinka an jenem Ort, wo dieser Boxkampf mit Rackets begann. "Schaut, letztes Jahr hatte ich einfach Glück in unserem Match mit einigen Schlägen", erinnerte sich der 26-Jährige Serbe, "aber das ist Sport." Großer Sport sogar, wenn man ein Faible für gewisse dramaturgische Effekte hat. "Yeah", antwortete Wawrinka ganz entspannt, "das ist sicher einer meiner bedeutendsten Siege." Er trifft im Halbfinale nun auf den Tschechen Thomas Berdych, der David Ferrer ausschaltete.

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Für Djokovic gibt es nun verschiedene Wege, seine erste Niederlage in Melbourne nach einer beeindruckenden Serie von 25 Siegen zu analysieren. Er kann die nüchterne Statistik mit Becker durchgehen oder auch mit dem seit 2006 als Stammcoach gesetzten Marian Vajda, der dem Deutschen diesmal bei dessen Premiere als neuer Inspirator die Bühne überließ. 161 Punkte schaffte Djokovic, acht mehr als Wawrinka, er brachte mehr erste Aufschläge ins Feld, gewann mehr Punkte nach dem zweiten Aufschlag, nahm dem Gegner häufiger den Aufschlag ab - allein zwei Mal im ersten Satz.

6:2, 4:6, 2:6, 6:3, 7:9. Das stand letztlich doch auf dem Berichtsbogen, weshalb sich Djokovic herzlich wenig um die Zahlen dieser Partie scheren dürfte. Er hatte dieses Spiel ohnehin eher in einem Bereich verloren, der nicht so einfach zu fassen ist: Wawrinka wirkte mental stärker. Eine Nuance nur. Aber das reichte.

"Wenn Novak sein bestes Tennis spielt, ist er besser als ich, das ist klar", sagte der 28-Jährige, der so nett war, dass er die Partie trotz aller Euphorie in eigener Sache ausgewogen einzuschätzen wusste. Es war ein offener Schlagabtausch, ein Armdrücken, die Vorteile wogen hin und her. Das Erstaunliche war nur, wie lange Djokovic im zweiten und dritten Satz seinen Arm unten hatte, schier erdrückt wirkte er von der Wucht, die sein Kontrahent in die Schläge investierte. Und bis in den vierten Satz hinein agierte er teilweise seltsam fahrig, der sonst so emotionale Kämpfer schwieg auch, kein Mucks für eine lange Zeit.

Und Becker? Er war nun erstmals gefordert in der jungen Liaison, seinen Mann zu führen. Das Problem nur: Djokovic hätte tatsächlich wohl einen Coach gebraucht, einen, der ihn wachrüttelt, anpeitscht, instruiert. Im Tennis aber ist das Coaching während eines Spiels verboten. Djokovic musste selbst mit sich klarkommen.

So donnerte das Spiel dahin, die Stunden verrannen, und Becker litt - lange zumeist sitzend - mit. Rechts neben ihm saß Edoardo Artaldi, der Agent von Djokovic, ein smarter Italiener. Links von Becker saß Miljan Amanovic, Djokovic' Physiotherapeut, ein muskulöser Hüne. Im Grunde war es Djokovic, der seine Zuarbeiter wachrüttelte, mit seinem Comeback Ende des vierten Satzes, als ihm das Break zum 5:3 gelang. "Ich bin durch alle Emotionen gegangen", gab Djokovic zu.

Erst dominierte er, dann rauschte das Spiel an ihm vorbei mit leichten Fehlern, vor allem auf der Vorhand. Als er sich fing und wieder dominant seine Aufschläge durchbrachte, hielt Wawrinka dem Druck diesmal stand. Er ließ sich auch nicht einschüchtern, als Djokovic im fünften Satz das erste Break (zum 2:1) gelungen war. "Ich habe heute gewonnen, weil ich wirklich, wirklich versucht habe, Lösungen zu finden", sprach der Sieger. 17 Asse waren zum Beispiel eine gute Lösung, oft in brenzligen Situationen.

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Wie Djokovic seinen letzten Ball verpatzte, diesen eigentlich leichten Flugball, das sah dann am Ende fast aus wie ein Wink an den einstigen Offensivspieler Becker. Der resümierte: "7:9 im fünften Satz verloren - das kann passieren. Das ist keine Schande."

Die Zusammenarbeit wird auf alle Fälle weitergehen, nächster Stopp Miami, USA. "Es war das erste gemeinsame Turnier für uns, ich bin zufrieden damit, wie wir die Dinge besprechen und arbeiten", resümierte Djokovic, er gab aber auch zu: "Natürlich ist es unglücklich, dass wir das Turnier im Viertelfinale beendet haben. Aber es ist der Anfang der Saison. Schauen wir, was als Nächstes passiert." Gute Idee.

© SZ vom 22.1.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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