Ashleigh Barty:Sie schultert die ganze Welt

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Posieren am Tag danach: Ashleigh Barty mit dem Daphne Akhurst Memorial Cup. (Foto: James Gourley/Shutterstock/imago)

Ashleigh Barty gewinnt die Australian Open, weil sie unter großem Druck auf den erstaunlichsten Teil ihres Talents zurückgreift. Der Australierin ist nun ein Kunststück zuzutrauen, das zuletzt Steffi Graf gelang.

Von Milan Pavlovic, Melbourne/München

Am Tag danach zeigte sich Ashleigh Barty von ihrer modischen Seite. Die Australierin, die von der einheimischen Presse mit Superlativen überschüttet worden war, trug zum offiziellen Fototermin ein ebenso einfaches wie stilvolles lachsrotes Kleid, das in direktem Kontrast zu ihren sonstigen eher burschikosen Auftritten stand; und ein schelmisches Schmunzeln, mit dem sie im Grunde die komplette zweite Woche durch das Turnier geschwebt war.

Nur ein einziges Mal sah das anders aus, dramaturgisch passend im Finale. Wer nachvollziehen wollte, wie es Atlas ging, als er einst die Welt schultern musste, der brauchte nur ins Gesicht von Barty zu schauen: Es war der zweite Satz im Endspiel der Australian Open, ihrem Heimturnier, vor einem Publikum, das wie das gesamte Land nichts weniger erwartete als das Ende einer großen Titeldürre. Die letzte australische Siegerin hieß Chris O'Neil, sie triumphierte 1978, als weder Billie Jean King noch Martina Navratilova noch Chris Evert noch Virginia Wade die beschwerliche Reise zum fünften Kontinent antraten. Nun saß sie im Publikum, brav mit Mundschutz, und sah, wie ihre Landsfrau unter der Last der Erwartungen ächzte.

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:Alle Dämonen abgeschüttelt

Ashleigh Barty erreicht in Melbourne mit ungebrochener Leichtigkeit das Endspiel und schickt sich an, erste einheimische Siegerin seit 1978 zu werden. Im Finale wartet allerdings die formstarke Danielle Collins.

Von Milan Pavlovic
Ashleigh Barty feiert ihren Sieg bei den Australian Open mit einem Gefühlsausbruch, wie ihn von der wohltemperierten Australierin angeblich noch niemand gesehen hat. (Foto: Dave Hunt/AAP/imago)

Sechseinhalb Partien lang war Barty durch das Turnier spaziert, scheinbar schwerelos, ihr ganzes Spiel ein einziges Lächeln, weil sie die Bälle so früh, so sauber und so variantenreich getroffen hatte. Nun schien das alles weit weg zu sein. Denn nach einem fast mühelos gewonnenen ersten Satz (6:3) lag die 25-Jährige plötzlich 1:5 zurück. Mit einer Reihe ungewohnter Fehler hatte sie ihre furchtlose Kontrahentin Danielle Collins zurück ins Match gelassen. Die 28-jährige US-Amerikanerin hämmerte nun wieder die Bälle mit ihrer beidhändigen Rückhand in die Ecken.

Bezeichnenderweise herrschte trotzdem keinerlei Unruhe im Barty-Lager. "Ich war auf einen dritten Satz vorbereitet", sagte ihr Trainer Craig Tyzzer später, "aber ich war in diesen Minuten gar nicht so besorgt, es waren bloß Kleinigkeiten, und sie hatte ihren Touch etwas verloren, was auch damit zu tun hatte, dass es kühler war als in den anderen Night Sessions und die Bälle langsamer unterwegs waren", was Collins zugutegekommen sei. "Aber Ash mag Herausforderungen, deshalb war ich nicht nervös."

Als es eng wird, serviert Barty wie eine ganz Große

Als hätte sich diese Ruhe auf seine Spielerin übertragen, fand auch die Australierin zurück in die Spur. "Ich habe Danielle zu sehr die Initiative überlassen und wollte einfach wieder versuchen, lockerer zu schwingen und aggressiver zu spielen", sagte Barty später, und je besser ihr das gelang, je mehr sie wieder die Initiative übernahm, desto mehr musste die Gegnerin zurückweichen und weit hinter der Grundlinie spielen, einer Zone, die ihr weniger liegt. Re-Break zum 2:5, 3:5, Re-Break zum 4:5, und dann, als es bei 5:6 und 15:30 noch einmal eng zu werden drohte, zeigte die Frau aus Ipswich im Osten Australiens noch einmal den erstaunlichsten Aspekt ihres Talents: Die gerade einmal 1,66 Meter große Barty knallte Collins drei Service-Winner mit je mehr als 170 km/h ins Feld. 6:6 und Tie-Break - aber schon mit klarem psychologischem Vorteil für Barty. "Sie hat mir gezeigt, was ich noch verbessern muss", sollte Collins später sagen, die gewohnt verbissen auf dem Platz war, aber fair in der Niederlage, "vor allem hat sie in den entscheidenden Momenten ihr bestes Tennis gespielt. Und das muss ich noch lernen."

Keine zehn Minuten nach dem 6:6 war der 6:3, 7:6-Erfolg perfekt, den Barty mit einem Gefühlsausbruch feierte, wie ihn von der wohltemperierten Australierin angeblich noch niemand gesehen hat. "Ich wusste nicht so richtig, was ich tun oder fühlen sollte", sagte sie über diesen Moment. "Dies ist einfach ein Traum von mir, der wahr wird. Ich bin so stolz, ein Aussie zu sein."

Aus ihrem Versteck tauchte kurz darauf Evonne Goolagong-Cawley auf, ein Idol von Barty, die das Match extra nicht am Platz verfolgt hatte, um den Druck auf ihre Landsfrau nicht zu erhöhen. Nun konnte die vielleicht eleganteste Spielerin des 20. Jahrhunderts der Siegerin des Abends und elegantesten Spielerin dieser Tage die Trophäe überreichen. "Ich dachte, sie könnte nicht kommen", sagte Barty über die gelungene Überraschung. "Sie hat mir in meiner Karriere immer wieder geholfen, deshalb war es umso schöner, dass sie es war, die mir den Pokal gab."

Zwei Ikonen der australischen Sportgeschichte: Ashleigh Barty mit ihrem Idol Evonne Goolagong-Cawley. (Foto: Paul Zimmer/imago)

Aus allen Richtungen kamen die Lobgesänge für die auf der Tour ungemein beliebte Spielerin. "Niemand verdient es mehr", ließ Angelique Kerber wissen. "Ich freue mich riesig für sie", sagte Bartys Landsmann Thanasi Kokkinakis, der weite Teile des Finales in der Aufwärmzone verfolgte, "sie ist ein echtes Vorbild." Sein Doppelpartner Nick Kyrgios, der in seiner Karriere so viel Zeit verschleudert hat, an diesem Abend aber mit seinem Kumpel Kokkinakis sensationell die Doppel-Konkurrenz gewann, sagte: "Wir haben früh gewusst, dass viel von ihr zu erwarten war, weil wir gesehen haben, wie viel Talent sie mitbrachte und wie sehr sie sich reingehängt hat." Sie sei eine Inspiration für alle.

Graf, Williams, Navratilova, Hingis: Ihr Name gehört nun zur Auflistung der Legenden

Die zierliche Protagonistin erklärte schließlich, sie habe gar nicht so eine große Last aufgrund der Erwartungen gespürt. "Ich habe immer versucht, die Dinge zu vereinfachen und zu genießen - definitiv wird dieses Thema den Medien mehr fehlen als mir." Sie absolvierte ihren Marathon durch den Bauch der großen Anlage und durch die Interview-Zonen mit einem gewinnenden Lächeln, anfangs mit Schirmmütze auf dem Kopf und, sobald das Kameralicht an war, mit dem Daphne Akhurst Memorial Cup in der Hand, von dem pointensüchtige Menschen behaupten, er wäre halb so groß wie Barty selbst.

Später ging sie noch einmal durch den Korridor, an dessen Wänden die Namen der Legenden stehen - Graf, Serena Williams, Hingis, Capriati - und in den Katakomben posierte sie mit Evonne Goolagong-Cawley und Cathy Freeman: Ikonen der australischen Sport-Geschichte, zu denen nun auch Barty gehört.

Ihre Grand-Slam-Sammlung umfasst nun drei Titel, und das, obwohl sie 2020 wegen Corona früh die Saison abbrach und lieber daheim Golf und Cricket spielte, statt nach New York und Paris zu reisen. Nun fehlt ihr von den vier größten Titeln nur noch der US-Open-Sieg. Was soll verhindern, dass sie den ersten richtigen Grand Slam seit Steffi Graf 1988 schafft? Es war der einzige Moment, in dem sich der Gesichtsausdruck von Bartys Trainer Tyzzer verfinsterte. "Das Turnier in New York wird mit Bällen gespielt, die praktisch nicht zu beherrschen sind. Wenn sie die Bälle dort nicht auswechseln, wird Ash dieses Turnier nicht gewinnen." Oder aber es ist genau die Art von Herausforderung, die Ashleigh Barty braucht.

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