Australian Open:Der Ex ist doch der Beste

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Vertrauenssache: Kevin Krawietz (rechts) und Andreas Mies stehen bei den Australian Open in der dritten Runde. (Foto: Frank Molter/dpa)

Das beste deutsche Tennisdoppel ist wieder vereint: Kevin Krawietz und Andreas Mies wollen nach dessen Verletzung ihre Erfolgsgeschichte fortschreiben - und beweisen, dass sie eine besondere Chemie haben.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne/München

Manchmal ist es schade, dass Andreas Mies und Kevin Krawietz ihre Pressekonferenzen vor kleiner Kulisse abhalten. Wenn sie sich warmreden, und das fällt vor allem dem fröhlichen Kölner Mies selten schwer, wird es meist so unterhaltsam, dass man sich die beiden auch auf einer Theaterbühne vorstellen könnte. "Zwei, die sich necken und lieben", könnte das Stück heißen. Mies und Krawietz, Kramies genannt, waren lange getrennt. Ein Knorpel hatte sie auseinandergebracht. Jetzt ist das beste deutsche Tennisdoppel wieder vereint. Und tatsächlich beginnt die Fortsetzung ihrer außergewöhnlichen Geschichte wieder erfolgreich. Nach zwei Siegen stehen sie in der dritten Runde der Australian Open.

2018 hatten sich Mies und Krawietz zusammengetan, auch deshalb, weil sie im Einzel jeweils in einer Sackgasse angelangt waren. Mies, der in Alabama ein Tennisstipendium erhalten hatte und danach auf der ITF Tour und Challenger Tour sein Glück versuchte, erreichte doch nur den 781. Weltranglistenplatz. Der Coburger Krawietz war mal die Nummer 211, aber sein Balltalent konnte er als Solist nicht zur vollen Wirkung bringen. Die vermeintliche Notlösung, die Spezialisierung aufs Doppel, war ein Segen, wie man nun weiß. 2019 lagen sie rücklings im berühmten Sand von Paris, das Einzige, was ihnen in jenen turbulenten Tagen der French Open nicht gelang, war, den Eiffelturm auszuhebeln. Das hatte sich Mies damals vorgenommen. Dem ersten deutschen Doppelerfolg bei einem Grand-Slam-Turnier der Männer seit 1937 folgte ein noch größerer Coup: Im Jahr darauf verteidigten sie den Titel. Was im Spätherbst 2020 - das Turnier war aufgrund der Pandemie verschoben worden - kaum jemand außer Mies ahnte: Im Knie zwickte es schon.

"In dem Jahr ist mir noch mal klar geworden, was wir für eine geile Partnerschaft haben."

Dieser Tage in Melbourne hat Mies erklärt, wie es ihm ergangen war. Den Weg zum zweiten Triumph am Bois de Boulogne hatte er nur mit Schmerzmitteln ertragen. Zwischen den Matches, im Training, konnte er "kaum aufschlagen". Er rettete sich ins Tour-Finale nach London. "Irgendwann kam ein Punkt, wo ich nicht mehr weiterspielen konnte." Im Frühjahr 2021 der Entschluss: Der Eingriff muss sein. Er und Krawietz hatten ja langfristige Pläne. Die Operation, die jeder Sportler fürchtet, hätte er wohl verschoben, "hätte ich nur ein Jahr noch gehabt". Der Befund: Knorpelschaden vierten Grades, dazu ein Meniskusschaden.

In Melbourne bestreiten sie tatsächlich ihren ersten gemeinsamen Grand-Slam-Einsatz seit dem Sieg in Paris 2020. Vergangene Saison stieg Mies zwar ab August ins Geschehen ein, aber da Krawietz mit dem Rumänen Horia Tecau das Jahr durchspielte, blieb Mies nichts anderes übrig, als sich mit wechselnden Partnern heranzutasten. Krawietz, inzwischen verheiratet, gewann in der Zeit zwei Turniere, in München (mit dem Holländer Wesley Koolhof) und Halle (mit Tecau).

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Der erste Coup: 2019 gewinnen Kevin Krawietz (links) und Andreas Mies wie aus dem Nichts die French Open in Paris. (Foto: Philippe Lopez/AFP)

Typisch für die beiden: Im Rückblick sehen sie ihre Auszeit als positive Schicksalsfügung. Und wer könnte das schlüssiger erklären als Mies? "In dem Jahr ist mir schon noch mal klar geworden, was wir für eine geile Partnerschaft haben, was wir uns aufgebaut haben", sprach er ernst. "Das ist so, wie wenn mit der Freundin Schluss ist, du dann mit anderen datest und merkst: Die Freundin war eigentlich schon sehr gut. Und dann willst du doch wieder zurück." Als er seine Liebeserklärung losgeworden war, wollte er freilich wissen, ob diese auf Erwiderung stoße. Als Krawietz sagte, er sei "auch happy" und die Euphorie "natürlich da", strahlte Mies - "das wollte ich nur hören", sagte er. Die Chemie stimmt noch.

"Sie können sich perfekt gegenseitig einschätzen", sagt Bundestrainer Kohlmann

Dieser Aspekt, die Art des Umgangs miteinander, ist im Doppel nicht zu unterschätzen, anders als im Einzel ist jeder auf einen anderen auf dem Platz angewiesen. In Melbourne ist auch Michael Kohlmann, der Bundestrainer und Davis-Cup-Teamchef, dabei und verfolgt in der Spielerbox jeden Auftritt von Krawietz und Mies. "Jeder weiß genau, wie der andere tickt", sagt Kohlmann der SZ am Telefon, "sie wissen, wie der andere spielt, was er gut kann, was er weniger gut kann." Mies ist der Abräumer, der Antreiber, der Energische. Krawietz der Coole, der Stratege. "Sie können sich perfekt gegenseitig einschätzen", sagt Kohlmann, "das ist im Doppel ein Riesenvorteil, wenn man einander vertraut." Mies, das gab er selbst zu, merkte bei seinen vielen Partnerwechseln erst, "was das für ein Nachteil ist".

Im Einzel ist natürlich Alexander Zverev der Hauptprotagonist des deutschen Tennis, aber im Doppel ergibt sich, auch dank des Neustarts von Krawietz und Mies, eine besondere Situation: "Wir sind da ganz gut aufgestellt", sagt Kohlmann, der es früher selbst im Doppel auf den 27. Weltranglistenplatz geschafft und 2010 in Melbourne das Halbfinale erreichte hatte, mit dem Finnen Jarkko Nieminen. Bei den Australian Open waren bis Freitag drei Formationen mit deutscher Beteiligung im Wettbewerb, Dominik Koepfer spielt mit Jan-Lennard Struff, Tim Pütz mit dem Neuseeländer Michael Venus. "Wir haben durchaus Chancen, dass ein Team weit kommt", sagt Kohlmann. Den ersten Auftritt von Krawietz/Mies fand der 48-Jährige "etwas rumpelig", aber am Freitag, beim 6:4, 6:7, 6:4 gegen die Amerikaner Austin Krajicek und Sam Querrey, hätten sie sich gesteigert - "sie werden von Runde zu Runde ihre Gewohnheiten finden". John Peers (Australien) und Filip Polasek (Slowakei) sind ihre nächsten Gegner. In Favoritenstellung haben sich die Australier Nick Kyrgios und Thanasi Kokkinakis gebracht, sie schalteten überraschend das weltbeste Doppel Nikola Mektic/Mate Pavic aus Kroatien aus.

Ihre erste Kontaktaufnahme vor den Australian Open absolvierten Krawietz und Mies bei zwei Turnieren in Melbourne und Sydney, die Zusammenführung sei "keine großartige Umstellung" gewesen, sagte Krawietz, räumte aber ein, dass sie einiges in ihren Abläufen "auffrischen" müssten. Das sei normal. Das operierte Knie sei kein Problem mehr, versicherte Mies. Der Turnierplan der beiden steht vorerst, als Nächstes wollen sie in Rotterdam spielen, dann in Dubai oder Acapulco, im Davis Cup in Rio gegen Brasilien, wenn sie nominiert werden. In Melbourne sind sie ohne ihren Trainer Julian Knowle aus Österreich, aber das macht nichts. Mies sagte: "Du hast mich dabei, ich habe dich dabei, das muss für den Start reichen." Diese Erfolgsformel hatte ja zuvor auch recht passabel funktioniert.

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