Argentinien im Viertelfinale:Himmelblauweiß juchzt, Shaqiri schluchzt

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Ángel di María schießt Argentinien ins Viertelfinale. (Foto: dpa)

Argentinien kombiniert schlecht, die flinken Schweizer pressen. Doch nach der Verlängerung zieht das schwächere Team ins Viertelfinale ein. Lionel Messi liefert den entscheidenden Pass für Ángel di María.

Von Peter Burghardt, São Paulo

Von einem Anwärter auf den WM-Titel und einem Außenseiter aus den Alpen war wenig zu sehen am sonnigen Dienstagnachmittag im Estádio Itaquerão, wo Argentinien die Schweiz im Achtelfinale erst nach Verlängerung 1:0 bezwang. Die Elf von Ottmar Hitzfeld bot dem Favoriten fast zwei chaotische Stunden lang Paroli, ehe dem kämpferischen Ángel Di María in der 118. Minute nach zauberhafter Vorbereitung von Lionel Messi der Siegtreffer gelang.

Das Pressing der Schweizer und ihr flinker Xherdan Shaqiri behagten den Argentiniern nicht im Geringsten, Blerim Džemaili hätte kurz vor Schluss fast noch den Ausgleich geschafft und ein Elfmeterschießen erzwungen. Nun kann der zweimalige Weltmeister trotz enormer Schwächen weiterhin versuchen, die leichtere Hälfte dieser Endrunde zu nutzen.

Es hätte durchaus auch ganz anders kommen können, Argentiniens Trainer Alejandro Sabella war erleichtert: "Zu gewinnen ist das Wichtigste", sagte er, "es war ein wundervolles Spiel, der Gegner war stark. Ich kann meinen Spielern nur zum Weiterkommen gratulieren." Auch Hitzfeld schien von der Aufregung der Schlussphase noch ergriffen zu sein, als er sagte: "Die Mannschaft hat eine großartige Leistung geboten. In den letzten drei Minuten haben wir alles erlebt, was in einem Trainerleben alles möglich ist." Für den 65-Jährigen dürfte es das letzte Spiel der Karriere gewesen sein, tatsächlich aber beschäftigte Hitzfeld an diesem Tag vor allem ein Trauerfall. In der Nacht zuvor war sein älterer Bruder nach langer Krankheit in einer Basler Klinik verstorben. Die meisten der 63 000 Zuschauer wussten nichts davon, sie waren bei schönstem Wetter bester Stimmung - und mehrheitlich auf der Seite der rot gekleideten Schweizer, obwohl auf den Tribünen auch eine ganze Menge himmelblauweiß gestreifter Argentinier Flagge zeigten und wie gewohnt ausdauernd sangen.

Zerrissene Equipe

Die meisten Gäste aus dem Nachbarland hatten keine Eintrittskarten und vergnügten beziehungsweise ärgerten sich vor Bildschirmen, ohnehin ist São Paulo ein schwieriges Pflaster für argentinische Teams. Von den Rängen, auf denen auch König Pelé thronte, kamen oft gellende Pfiffe. Brasilien und Argentinien verbindet ja eine herzliche Hassliebe. Dennoch hatte Lionel Messi am Tag zuvor ein Trikot mit Widmung der Hausherren Corinthians bekommen und wollte an dieser Stelle gerne jene beiden Tore schießen, die ihm zur Summe von 400 Treffern in seiner Karriere noch fehlen.

Hitzfeld dagegen wollte "zeigen, wie man Messi stoppt", und das gelang anfangs sehr ordentlich. Meistens bekam es Argentiniens Alleinunterhalter mit zwei oder drei Schweizern gleichzeitig zu tun. Fabian Schär und Granit Xhaka nahmen ihn einmal in die Zange, er fiel hin, nachher revanchierte sich der Gefoulte mit einer Pirouette zwischen Valon Behrami und Ricardo Rodríguez.

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Vor das gegnerische Tor kamen die Südamerikaner vor der Pause kaum, abgesehen von Ansätzen einer verpassten Chance durch Gonzálo Higuáin und Ezequiel Lavezzi, der den verletzten Sergio Agüero ersetzte. Sabellas zerrissene Equipe tat sich so schwer wie in den drei Gruppenspielen, und die Schweiz entdeckte schnell ihre Räume. Sechste Minute, Xhaka trickste sich links durch und bediente Gökhan Inler, der weit über das Ziel hinaus zielte. 25. Minute, Shaqiri spielte sich rechts durch und passte auf Verteidiger Lichtsteiner, der aber nur Torwart Sergio Romero traf. Verblüfft war Josip Drmić vom 1. FC Nürnberg, als er plötzlich ungestört und in aussichtsreicher Reichweite die Kugel bekam, er trat sie Romero sanft in die Arme.

Im zweiten Teil ließ Drmić auf Zuspiel von Shaqiri die nächste Gelegenheit aus, nachdem Javier Mascherano verzweifelt am Tor vorbei geschossen hatte. Hitzfelds Schweiz stand hervorragend, und Sabellas Argentinien schien wie üblich auf einen Geniestreich Messis zu warten. Das argentinische Mittelfeld ist ja anders als das der Schweizer praktisch inexistent, die Mannschaft besteht aus einer wackligen Defensive und einer jederzeit zu fürchtenden Offensive.

Messi ließ sich mangels geeigneter Beihilfe manchmal zurückfallen, um seine Angriffe selbst vorzubereiten. Hitzfelds Blockade des Wunderkindes funktionierte, erst nach einer Stunde erhöhte Argentinien allmählich den Druck. Manndecker Marcos Rojo tauchte unverhofft am linken Strafraumeck auf, der Wolfsburger Diego Benaglio wehrte seinen Versuch ab und lenkte Higuaíns Kopfball über die Latte, ehe Messi volley abzog und zu hoch.

Man vertraue seinen Fähigkeiten vorne und kenne die Risiken hinten, hatte der Coach Sabella erläutert, beides wussten auch Hitzfeld und die Schweizer. Sie standen gut, die Argentinier kombinierten schlecht. Hitzfeld schickte den Freiburger Gelson Fernandes für Xhaka aufs Feld, Sabella beorderte Lavezzi zurück auf die Bank und kramte seine nächste Geheimwaffe hervor, den Konterstürmer Rodrigo Palacio von Inter Mailand.

Das gab erst auch Messi neuen Schwung, seinen Linksschuss in Minute 76 parierte der leuchtend gelbe Benaglio in letzter Not, sogar ein paar Soli gelangen. Ansonsten waren die vielen Schweizer auch Messi zu viel, einmal trat er wütend Valon Behrami um. Hitzfeld schickte Haris Seferovic auf den Rasen und vertraute auf etwaige Konter, während sich die Partie immer mehr zu einer Abfolge von Fouls und Fehlpässen entwickelte und vor einem überraschten bis gelangweilten Publikum in eine quälende Verlängerung mündete.

Argentinien drängte noch einfallsloser als zuletzt, es blieben Einzelaktionen. Di María kämpfte wenigstens und schoss - und ein gescheites Zuspiel von Messi verwertete er flach ins entfernte Eck, 1:0 nach 118 Minuten. Kurz darauf köpfte der eingewechselte Schweizer Blerim Džemaili den Ball an den Pfosten, von seinem Knie prallte die Kugel knapp vorbei. Ein bitteres Ende - denn ein Elfmeterschießen hätte die Schweiz allemal verdient gehabt.

© SZ vom 02.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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