Australian Open:Siegen für Konstantin

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Ein Dankeschön an die Fans: Amanda Anisimova nach ihrem Zweitrundenerfolg gegen die Schweizer Olympiasiegerin Belinda Bencic. (Foto: Brandon Malone/AFP)

Amanda Anisimova galt als neuester Tennis-Stern - dann starb völlig überraschend ihr Vater. In Melbourne zeigt die junge Amerikanerin, dass sie die Trauer überwunden hat und überzeugt mit eindrucksvollem Tennis.

Von Gerald Kleffmann

Jetzt gegen Naomi Osaka? "Yeah", sagte Amanda Anisimova. "Ich wollte schon so lange gegen sie spielen." Wie ein Fan klang sie, als sie vom aggressiven Stil der Japanerin schwärmte. Und sie zog eine Parallele: Beide seien schüchtern. Was wohl stimmt. "Hin und wieder sagen wir Hi zueinander", berichtete Anisimova, "aber auf einer persönlichen Ebene habe ich noch nie mit ihr gesprochen." Sicher hätten sich die zwei einiges zu erzählen. Beide sind jung, Anisimova 20, Osaka 24 - und haben einiges durchgemacht.

Ihre Geschichten handeln davon, wie sich zwei junge Frauen verloren und dann wiederfanden, auf unterschiedlich kummervolle Arten. Osaka, hochtalentiert, hat sich längst zu einer global bekannten Persönlichkeit entwickelt. Auch aufgrund ihres politischen Engagements. Die viermalige Grand-Slam-Siegerin ist ein millionenschweres Werbegesicht, ein Star der Gegenwart.

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Anisimova ist noch längst nicht so weit. Aber sie ist übers Stadium, ein Geheimtipp zu sein, hinaus. 2019 stand sie im Halbfinale der French Open, das war die ganz große Bühne. Ein Star der Zukunft, so wurde sie charakterisiert. Alles war auf Ruhm programmiert. Ausbildung in der berühmten IMG Academy. Dass sich Max Eisenbud, der gewiefte Manager, der schon Maria Scharapowa zu sechs Grand-Slam-Trophäen und Sponsoren-Millionen führte, Anisimova angelte, passte ins Bild.

Dann starb ihr Vater. Einfach so. Mit 52. Herzinfarkt.

Inmitten des losrollenden Hypes um ihre Person musste ein Teenager, 17 Jahre alt, die ganze Härte des Lebens ertragen. In der Tennisweltrangliste fiel sie, gerade auf Platz 21 hochgearbeitet, fast aus den Top 100. Sie hatte erst gelernt, wie es sich anfühlt, in der Öffentlichkeit zu stehen, und nun hatte sie direkt schwer zu kämpfen. Weil es auch um die Bürde ging, die sie trug. Die sie immer noch trägt.

Nur Ashleigh Barty kann Amanda Anisimova 2019 in Paris stoppen

Anisimovas Weg ist einer, der öfter im Frauentennis vorkommt. Eine Familie träumt von der ruhmreichen Karriere ihrer Tochter, alles wird investiert. Die Anisimovas zogen extra für die beiden Kinder - auch die ältere Tochter Maria spielte Tennis - von Moskau nach New Jersey und dann nach Florida. Früh hatten sie mit Nick Bollettieri Kontakt, dem berühmten Trainer, der auch Andre Agassi prägte. Vater Konstantin war stets an Amandas Seite. Sie drosch auf die Bälle wie die junge Scharapowa. 2017 gewann sie die US Open der Juniorinnen, im Finale gegen Cori Gauff.

Anfang 2019 folgte ihr erster Profititel, in Bogota. Sie war die jüngste amerikanische Turniersiegerin seit 1999, als Serena Williams in Indian Wells triumphierte. Der Sportartikelhersteller Nike biss an, ein dicker Deal und ein Indiz für Hype: Sie galt als neuester Tennis-Stern. Und sie zeigte ihre Klasse. 2019 warf sie die frühere French-Open-Siegerin Simona Halep im Viertelfinale von Paris aus dem Turnier, scheiterte nur an der späteren Siegerin Ashleigh Barty. Eine Woche vor den US Open dann, am 19. August, starb ihr Vater Konstantin.

Ein Dankeschön an die Fans: Amanda Anisimova nach ihrem Zweitrundenerfolg gegen die Schweizer Olympiasiegerin Belinda Bencic. (Foto: Simon Baker/AP)

Anisimova zog sich zurück. Sie versuchte, mit der Trauer klarzukommen. "Das Einzige, das mir half, war, Tennis zu spielen und auf dem Platz zu sein", sagte sie der New York Times. "Das ist das, was mich glücklich macht, und ich weiß, es hätte ihn glücklich gemacht." Geweint hat sie viel. Vor allem als sie merkte, dass sie nicht einfach so wieder zurückkann. Nach ein paar missglückten Turnieren räumte sie ein: "Das war zu früh. Es war immer noch ziemlich schwer, ich hatte so viele Gefühle, die ich versuchte, in mir zu behalten."

So kann niemand seinen Beruf ausüben. Aber sie war nicht allein. Ihr damaliger Trainer Carlos Rodríguez war für sie da. Der Argentinier hatte einst die ehemalige Nummer eins Justine Henin betreut, die Belgierin hatte früh ihre Mutter verloren. Schwester Maria war Amanda Anisimova eine Stütze, genauso wie ihre Mutter Olga, bei der sie lebt. Die Eltern hatten sich kurz vor dem Schicksalsschlag getrennt.

Nun sind ein paar Jahre vergangen. Dass da immer noch eine Lücke ist, machte Anisimova nach ihrem Sieg vor den Australian Open deutlich. Auf Instagram hatte sie die Botschaft hinterlassen, an Konstantin gerichtet: "Ich vermisse dich. Ich würde mir wünschen, du könntest mir eine lustige Nachricht schicken, wie du's immer getan hast, wenn ich gewonnen habe. Aber ich weiß, du bist stolz auf mich."

Der renommierte Darren Cahill hilft ihr zurzeit als Trainer

Die nun 20-Jährige wirkt gefestigt, entschlossen, ihren Weg aufzunehmen. Sie ist immer noch jemand, in den große Erwartungen gesetzt werden. Für die Zeit in Melbourne wurde ihr Darren Cahill als Trainer zur Seite gestellt, der Australier ist eine der renommiertesten Kräfte im Tennis. Halep ist ihm heute noch dankbar, wie der 56-Jährige sie zu einem Champion geformt hatte.

Am Mittwoch bezwang Anisimova die Schweizer Olympiasiegerin Belinda Bencic 6:2, 7:5, sie ging blitzschnell auf die Bälle. Sie suchte die direkten Punkte. Bei der Pressekonferenz lächelte sie viel. Beantwortete höflich die Fragen. "Einfach wieder in der Lage zu sein, Spaß auf dem Platz zu haben, das ist das Wichtigste für mich", sagte sie. "Und keinen Schmerz oder was auch immer zu spüren, was mich belastet."

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