American Football:Ohne Dame zum Erfolg

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Der Quarterback war einmal die wichtigste Figur im American Football. Nun wird zeitweise auf ihn verzichtet - mit Erfolg, wie die gerade beginnende Saison zeigen dürfte.

Jürgen Schmieder

Andy Reid saß neben einem verurteilten Verbrecher und lächelte schelmisch. Das lag nicht etwa daran, dass verurteilte Verbrecher in der nordamerikanischen Football-Liga NFL noch häufiger vorkommen als Comebacks von Brett Favre und die Trainer immer lächeln müssen, wenn mal wieder einer neben ihnen sitzt. Der Trainer der Philadelphia Eagles stellte vielmehr den Spielmacher Michael Vick als Zugang vor: "Mit ihm haben wir eine weitere Waffe für unsere Offensive", sagte Reid. Vielleicht grinste er auch, weil er glaubte, einen tollen Scherz gemacht zu haben, indem er den mehrfachen Hundemörder Vick als Waffe bezeichnete.

Donovan McNabb ist bei den Eagles gesetzt - doch bei der Wildcat-Offensive wird wohl auf ihn verzichtet. (Foto: Foto: rtr)

Manch einer wunderte sich über die Verpflichtung, haben die Eagles doch mit Donovan McNabb bereits einen der besten Quarterbacks der Liga unter Vertrag - und doch ergibt sie Sinn, weil Vick den Ball nicht nur werfen, sondern auch formidabel damit laufen kann. Er ist damit prädestiniert für eine Formation, die in der vergangenen von den Miami Dolphins eingeführt wurde und nun von zahlreichen anderen Mannschaften kopiert und perfektioniert wird. "Vick ist der Inbegriff der Wildcat-Offensive, schließlich ist er einer der schnellsten Spieler der Liga", sagt Reid.

Bei der Wildcat-Formation verzichtet die Offensive auf einen Quarterback, der Ball wird beim Anwurf direkt an einen Laufspieler weitergegeben, der ohne Verzögerung versucht, möglichst viele Yards zu erlaufen. Die Vorteile dabei: Jeder einzelne Spielzug beginnt mit den gleichen Bewegungen, so dass die Defensivspieler meist zu spät erkennen, was der Gegner vorhat. Zum anderen befindet sich durch den Verzicht auf den Spielmacher ein Akteur mehr auf dem Feld, der den Weg für den Läufer freiblocken kann - bei gewöhnlichen Laufspielzügen steht der Quarterback nach der Ballübergabe weit vom Spielgeschehen, so dass es zu einer Zehn-gegen-elf-Situation kommt.

"Der Überraschungseffekt und der zusätzliche Blocker sind die entscheidenden Faktoren für den Erfolg von Wildcat", sagt Dan Henning. Er hatte die Formation im Jahr 2006 mit den Carolina Panthers eingeführt und in der vergangenen Saison bei den Miami Dolphins etabliert. "Es gibt zahlreiche Varianten, die Wildcat-Formation ist kein starres System, sondern überaus vielseitig", sagt Henning.

Die Dolphins etwa stellten in der vergangenen Saison ihren eher unbeweglichen Quarterback Chad Pennington oftmals an die Seitenlinie, der Ball ging direkt zu Running Back Ronnie Brown. Der lief entweder gleich los, übergab den Ball an den zweiten Laufspieler Ricky Williams - oder reichte ihn zu Pennington, der in die Mitte geeilt war, um doch zu passen. In den elf Spielen nach der Einführung erzielten die Dolphins mehr als sieben Yards Raumgewinn pro Wildcat-Spielzug, beim Spiel gegen die New England Patriots gelangen der Mannschaft damit fünf Touchdowns. Miami, im Jahr zuvor mit einer Bilanz von 1:15 noch die erfolgloseste Mannschaft der NFL, erreichte die Playoffs.

Der Erfolg der Dolphins mit der neuen Formation sorgte dafür, dass zahlreiche Mannschaften sie für die nun beginnende Saison in ihr Repertoire aufgenommen haben, darunter die Super-Bowl-Kandidaten New England Patriots und Philadelphia Eagles. "Wir haben eine weitere Option, aber was noch wichtiger ist: Wir geben unseren Gegnern eine zusätzliche Denkaufgabe", sagt Philadelphis Trainer Reid.

Die Defensivstrategen waren in der Spielpause tatsächlich vor allem damit beschäftigt, eine sinnvolle Verteidigung gegen den taktischen Kniff zu entwickeln. "Es erfordert viel Gehirnschmalz und intensives Training, um effektiv dagegen zu verteidigen.", sagt Dean Pees, Chef der Defensive bei den Patriots. Dadurch bliebe weniger Zeit, andere Defensiv-Strategien zu entwickeln.

Trotz des Erfolgs der Miami Dolphins in der vergangenen Saison gibt es auch Sekptiker, die der Wildcat-Formation eine kurze Halbwertszeit prophezeien und lästern, dass nur Vereine mit schwachem Quarterback darauf vertrauen würden. "Der Überraschungseffekt aus dem letzten Jahr ist dahin", sagt Sean Payton, Trainer der New Orleans Saints. "Wenn mein Quarterback gut genug ist, warum sollte ich ihm dann den Ball verweigern?"

American Football wird gerne als Rasenschach bezeichnet, weil es neben Athletik vor allem darum geht, Spielzüge vorherzusehen und den Gegner durch geschickte Varianten zu verblüffen. Nur käme beim Schach kaum jemand auf die Idee, die Dame zu opfern, um einen zusätzlichen Läufer aufs Brett zu schicken. Die letzten drei Endspiele wurden nicht durch die Wildcat-Offensive gewonnen, sondern durch formidable Pässe des Quarterbacks auf einen Receiver. Zwei der drei vergangenen Super-Bowl-Gewinner, die Pittsburgh Steelers und die Indianapolis Colts, haben deshalb angekündigt, auf dieFormation verzichten zu wollen. Beide Vereine haben verurteilte Verbrecher im Kader und jeweils einen formidablen Quarterback. Aber keinen Michael Vick.

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