American Football:Ein Nest für Events

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Konkurrenz in der Stadt: Der ELF-Klub Munich Ravens, hier in einem Ligaspiel gegen die Barcelona Dragons, nimmt dem GFL-Klub Munich Cowboys die Zuschauer weg. (Foto: Heike Feiner/Eibner/Imago)

Über 5000 Zuschauer im Schnitt, viele Rekorde: Die Munich Ravens ziehen nach dem ersten Jahr in der ELF ein positives Fazit - obwohl sie die Playoffs verpasst haben.

Von Christoph Leischwitz

Das offizielle Saisonziel war zwar nicht mehr zu erreichen, doch den Zuschauern war das völlig wurscht. Viele waren in Tracht zu diesem letzten Saisonspiel der Munich Ravens gekommen, gemäß dem Aufruf der Teamleitung, einen "Bavarican"-Spieltag abzuhalten, einen bayerisch-amerikanischen also. In den Schlusssekunden der Partie gegen die Barcelona Dragons schwappte sogar eine La Ola über die Tribünen des Unterhachinger Sportparks, die Spieler konnten sich von 5208 Besuchern feiern lassen. Einerseits für ein klares 55:0, andererseits für eine Premieren-Saison, in der man zwar die Playoffs knapp verpasste, aber eben auch mehr Siege als Niederlagen einfuhr, und vor allem: immer eine gute Show bot.

Cheftrainer John Shoop, 54, stand nach dem Spiel nahe der Mittellinie und zählte unter dem Applaus der Fans mehrere Namen auf. Markell Castle etwa. Der hat nun die meisten Yards eines Passempfängers in der gesamten European League of Football (ELF) gesammelt, 1580, und führt diese Statistik mit riesigem Vorsprung an. Sein Kompagnon Marvin Rutsch verzeichnet die meisten Fänge eines europäischen Spielers (76 in zwölf Spielen). Ballträger Tomiwa Oyewo hatte die 1000-Yard-Marke locker gebrochen. Am kommenden Wochenende beginnen übrigens die Playoffs, als Favoriten gelten Wien und Düsseldorf. Das Finale in Duisburg am 24. September ist schon fast ausverkauft, mehr als 30 000 Zuschauer werden erwartet.

Die Frage nach dem wertvollsten Spieler kann der Chef der Munich Ravens nicht beantworten. "Oh Mann, das ist so, als würden sie mich nach meinem Lieblingssohn fragen", sagt Shoop, der in der NFL schon als Quarterback Coach arbeitete. Und hob dann gleich noch einmal hervor, dass die gesamte Offensivlinie vor dem Quarterback aus Bayern komme. Dann hört sich der erfahrene Trainer fast schon ein wenig melancholisch an: "Das ist das letzte Mal, dass die Ravens 2023 zusammen sind. Nächstes Jahr wird das Team anders aussehen."

Die Ravens sind ohne Frage sehr gut gelandet in München, ihr Nest in Unterhaching ist zweifelsfrei besser für American Football geeignet als das ehrwürdige, aber schroffe Dantestadion, der Heimat des Traditionsteams Munich Cowboys in der deutschen Liga GFL. Zwar kann auch die ELF sportlich nicht annähernd mit dem großen Bruder NFL mithalten, aber das Drumherum ist für europäische Verhältnisse pompös. "Die Leute haben Lust auf dieses Eventthema. Dann werden wir mal gucken, dass wir ihnen nächstes Jahr noch ein bisschen mehr davon geben", sagt Ravens-Manager Sebastian Stolz.

Von einem 5000-Zuschauer-Schnitt habe man geträumt, jetzt habe man ihn tatsächlich erreicht. Auf die Frage, ob diese Einnahmen schon die Ausgaben decken, sagt Stolz schnell: "Nein, nein, nein. Davon brauchen wir im ersten Jahr gar nicht zu reden." Die ELF ist ein Millionengeschäft, und einige sind dabei schon auf der Strecke geblieben. Dass etwa die Leipzig Kings mitten in der Saison den Spielbetrieb einstellen mussten, weil ein Sponsor abgesprungen war, darf als Warnsignal gelten. Aber wohl nicht für die gesamte Liga. Denn schon jetzt zeigt sich: Einige Standorte sind schlicht besser geeignet für den Eventsport American Football als andere.

Bleibt die Frage, ob nicht auch ein Team wie die Ravens auf Dauer Identifikationsfiguren braucht

München zum Beispiel: Vom Fleck weg können sich die Ravens laut Stolz mit dem drittbesten Zuschauerschnitt in der 17er-Liga brüsten. Am Sonntag gegen Barcelona wagte man dann auch noch einen Schritt hin zu einer neuen Fankultur: Zwischen die football-typischen Gitarrenriffs und Beats in den vielen Pausen mischte sich auch Blasmusik, ein bisschen wirkte der Sonntag in der Heimat der bodenständigen Fußballer von der SpVgg Unterhaching wie ein Wiesn-Aufwärmprogramm. Viele junge Zuschauer waren gekommen, Familien mit kleinen Kindern, der eine oder andere trägt neben der Windel auch schon ein Ravens-T-Shirt. Offenkundig hat dieses Publikum nichts dagegen, mit einer Show gepampert zu werden, in der das Spiel mit dem Rahmenprogramm verschwimmt. "Es war immer Stimmung, egal wie das Wetter war oder wie das Spiel ausging. Das spricht dafür, dass Bayern generell Bock auf Football hat", schwärmt Manager Stolz.

Bleibt aber die Frage, ob nicht auch ein Team wie die Ravens auf Dauer Identifikationsfiguren braucht. Mit den wichtigsten Spielern, also wohl mit jenen, die übers Stadionmikro genannt wurden, wurden bereits Gespräche geführt. Doch wer bleibt, ist völlig offen - Zweijahresverträge sind in der ELF eher noch die Ausnahme. Stolz hofft, einen "harten Kern" halten zu können. Aber nicht einmal der Verbleib von Robert Werner, dem Münchner Kicker-Urgestein, ist sicher. Die Profi-Strukturen der Liga fordern ihren Tribut, Werners Familie lebt in Leipzig, für einige andere, erzählt der 35-Jährige, sei diese Ravens-Spielzeit möglicherweise ein Highlight vor dem Karriereende gewesen. Es sei schlicht "sensationell", wie das Publikum das Team angenommen habe. Er berichtet, wie sich mit der ELF das Trainingsniveau der deutschen Spieler verbessert habe.

Werner räumt gleichzeitig mit einem Klischee auf: "Wegen dem Geld macht das hier keiner, man will sich einfach mit den Besten messen." Die ELF habe diese Plattform nun ermöglicht. Was aber nicht heißt, dass man nicht mehr mit seinem ehemaligen Team mitfiebern kann. Werner ist nur einer von rund einem Dutzend Spielern, die die Munich Cowboys verlassen haben. Und diese empfangen am Samstag Ravensburg in einem wohl entscheidenden Spiel um den letzten Platz. "Das Letzte was ich will ist, dass man unter diesem neuen Team", also den Ravens, "so hart leidet, dass man gleich absteigt." Im Herzen sei er ein Cowboy. Aber eben einer, der weiterzog, um seinen Horizont zu erweitern.

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