Ski alpin:Schnörkellos schnell unterwegs

Lesezeit: 4 min

Die Elite im Blick: Emma Aicher wird im Nachtslalom in Flachau Neunte, es ist ihr bislang bestes Ergebnis im Weltcup. (Foto: Christophe Pallot/Zoom/Getty)

Emma Aicher, 19, hat sich auf den Weg in die Weltspitze gemacht: als Allrounderin, die vom Slalom bis zur Abfahrt alles beherrscht. Damit sticht sie nicht nur im deutschen Verband heraus.

Von Johannes Knuth, St. Anton

Irgendetwas liegt in dieser Lakonie, eine Kraft, die sich erst langsam erschließt. Wer sich in der Lakonie sonnt, in der Sprache und im Leben, der meidet den Überschwang, den Lärm, der klemmt sich hinter das, was nötig ist. Im alpinen Ski-Betrieb, in dem Fans die Fahrer wie Popstars verehren und manche zu solchen werden, ist das keine zu unterschätzende Eigenschaft, und man tritt der Skirennfahrerin Emma Aicher nicht zu nahe, wenn man ihr auch in dieser Hinsicht gewisse Fertigkeiten attestiert.

"Joa", sagt die 19-Jährige, wenn sie etwas begrüßt und wenn sie nicht einverstanden ist, so ganz lässt sich das nicht immer auseinanderhalten. Manchmal hat sie noch ein "Kann sein" oder ein "Vielleicht" parat, dann gilt eine Antwort auch mal als rund.

Ski Alpin
:Ganz nah dran an Mikaela Shiffrin

Beim Nachtslalom in Flachau zeigt das deutsche Team deutlich wie lange nicht, wozu es fähig ist. Der drittplatzierten Lena Dürr verdirbt wohl nur ein "Hakler" den ganz großen Erfolg.

Von Korbinian Eisenberger

Emma Aicher, 19, vom SC Mahlstetten, fährt am liebsten schnell, das Reden darüber überlässt sie anderen. Kira Weidle etwa, der WM-Zweiten in der Abfahrt, die seit diesem Winter von Aicher vermehrt Gesellschaft erhält und festgestellt hat: Die Teamkollegin schlägt auf Anhieb die halbe Weltspitze, hält sich mit Platz 15 in der Abfahrt und Rang 21 im Super-G aber nicht länger auf als nötig. "Sie will mehr. Die hat richtig Bock, da vorne reinzufahren. Mit so einer", sagt Weidle, "kann man dann auch ein bisschen anders arbeiten."

Das sticht heraus, schon allein weil in den vergangenen Jahren oft die Rede davon war, dass im Deutschen Skiverband (DSV) diese Talente nicht in Mannschaftsstärke aufschlagen: die Bock auf Weltspitze haben und ihr Tun mit Nachdruck verfolgen. Die als ihre Lieblingsdisziplin "Alles" angeben, die in den Slaloms in Zagreb und Flachau zuletzt Elfte und Neunte wurden, sich nebenbei in die Speed-Elite drängen. Und noch ist nicht ganz klar, was bemerkenswerter ist: dass es so weit gekommen ist oder dass Aicher nicht vorhat, an ihrer Ausrichtung etwas zu ändern.

Das Berufsprofil der Alpinen hat sich seit Langem grundlegend verändert. Die Alleskönner, die am Freitag den Slalom, am Samstag die Abfahrt und am Sonntag die Kombination aus beidem bestritten, galten bis zuletzt als rare Spezies. Zu stark sind diejenigen, die sich in ein, zwei Disziplinen knien, zu vollgepackt die Kalender. Manche Cheftrainer, die allen Rennen beiwohnen, stöhnten vor Jahren, dass ihnen allein die Reiserei die Energie raube. Und Aicher?

Schnell auf der Piste, schnelle Auffassungsgabe: Emma Aicher bei der Pistenbesichtigung in St. Anton, wo am Wochenende zwei Super-G-Rennen anstehen. (Foto: Patrick Steiner/Gepa/Imago)

Sie sitzt im Teamhotel in St. Anton, ihre blonden Strähnen fallen auf die kräftigen Schultern. Ihre Reiseroute hat sie in diesem Winter über Finnland, die USA und Kanada wieder nach Europa geführt, nach St. Moritz, Semmering, Zagreb, Flachau, St. Anton. Dort, am Arlberg, stehen an diesem Wochenende zwei Super-G an (Schnee und Wärme verhinderten die Trainingsläufe und die geplante Abfahrt, im Super-G am Samstag schied Aicher aus). Am Wochenende darauf sollen an selber Stelle die Junioren-Weltmeisterschaften stattfinden, dann schon bald die WM der Erwachsenen in Frankreich. "Joa", sagt Aicher, "körperlich merke ich noch nichts, vielleicht kommt's noch. Aber ich freue mich drauf. Das meiste habe ich ja noch vor mir."

Man kann das gewagt finden - oder zwingend, wenn das Pragmatische von jeher das Handeln lenkt. Aicher wuchs in Schweden auf, der Heimat der Mutter, nutzte einen Umzug in die Schweiz zum gewissenhaften Trainieren. Dann als die Eltern fanden, dass die Tochter in den Alpen grundsätzlich besser ausgebildet werden könnte, zogen sie weiter nach Deutschland, in die Heimat des Vaters. ("Wenn ich nicht Skirennfahrerin wäre, wäre ich wohl nicht hier", sagt Aicher.) Mittlerweile strebt sie das Abitur am Sportgymnasium in Berchtesgaden an, dort kennen sie sich aus mit vollgepackten Jungsportlerkarrieren. Man wolle die Füße am Boden halten, hatte DSV-Sportvorstand Wolfgang Maier schon vor zwei Jahren gesagt, zumal Aicher im rasanten Speed-Gewerbe vielleicht noch talentierter sei als im Slalom und Riesenslalom. Damals, zur WM in Cortina d'Ampezzo, zogen sie Aicher trotzdem ins Aufgebot, sie wollten das auch als Signal verstanden wissen; dass sich im Nachwuchs etwas bewege. Nach dem Team-Event baumelte dann eine Bronzemedaille um Aichers Hals. Im vergangenen Februar gewann sie mit dem Team sogar Silber, bei den Winterspielen in Peking.

Der Cheftrainer provoziert sie schon mal, im Spaß: Der Kinderskilauf sei jetzt vorbei

So steckt sie schon jetzt mitten in einer handelsüblichen Karriere, mit allen Chancen und Tücken. Als Aicher in den ersten Slaloms des Winters das Finale der besten 30 verpasste, war Andreas Puelacher, der neue Cheftrainer der DSV-Frauen, gleich gefragt: "Ich provoziere sie auch ein bisschen, natürlich im Spaß", sagt er: "Sie musste halt kapieren, dass der Kinderskilauf endgültig vorbei ist." Das tat sie offenkundig. Sie reiste zu den Speed-Rennen nach St. Moritz, "da habe ich eigentlich nichts von mir erwartet, da bin ich gefahren, weil's mir Spaß macht", sagt sie. Kurz darauf lief es auch wieder im Slalom.

Aicher knetet im Teamhotel in St. Anton jetzt ihre Kappe, darauf prangen die Wappentiere ihres neuen Sponsors: zwei rote Bullen. Der Konzern nutzt auch den Skisport aggressiv als Werbebühne, freundlich gesagt. Unbestritten ist: Auch für viele Alpinprofis lebt es sich mit Red Bull leichter als ohne. Mentaltrainer, Rhetoriktraining, ab und zu ein Privatjet, solche Zuwendungen kriegen nur die Besten oder die, die es mal werden sollen. Aicher gefällt der große "Support", grundsätzlich begrüßen sie das auch im DSV, auch wenn sie wissen, welche Erwartungen damit einhergehen. Nicht zuletzt die, die sich manche Athleten selbst aufladen.

Man spürt jedenfalls, dass nicht nur der Cheftrainer seine schützenden Flügel gerade weit ausgespannt hat. Kann sein, dass Aicher bald auch im Riesenslalom im Weltcup fährt, bei der WM auch in der Kombination startet. Kann sein, sagt Puelacher, dann man ihr Programm noch kürze. Vielleicht aber auch nicht. Sie freue sich jetzt jedenfalls erst mal auf die Junioren-WM, sagt Aicher, nicht nur weil sie dort im Vorjahr drei Silbermedaillen gewann, in Abfahrt, Slalom, Riesenslalom. "Es ist schon gut", sagt sie, "wieder Leute in seinem Alter zu treffen, die den gleichen Unsinn machen."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusNachruf auf Rosi Mittermaier
:Normal und gerade deshalb groß

Rosi Mittermaier war Doppel-Olympiasiegerin, einer der ersten Stars des alpinen Frauenrennsports, eine Legende weit über ihre Triumphe hinaus - und blieb letztlich immer nur einem treu: der Familie und sich selbst. Ein Nachruf.

Von Johannes Knuth

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: