SV Darmstadt 98:Der Klub steigt ab, die Fans applaudieren

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Torsten Lieberknecht und seine Spieler versuchten vieles, um in der Liga zu bleiben, doch am Ende war es zu wenig. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Nur drei Siege, zwischendurch 22 Spiele ohne Erfolg: Darmstadt 98 verpasst den Klassenerhalt in aller Deutlichkeit. Die Beteiligten müssen anerkennen, dass der Niedergang keine himmelschreiende Ungerechtigkeit ist.

Von Christoph Ruf

Das Bild, das Rüdiger Fritsch heranzog, um den nicht völlig unerwarteten Abstieg des SV Darmstadt 98 zu kommentieren, war gut. So gut, dass er es sich möglicherweise schon Wochen vorher zurechtgelegt hatte. Es sei "wie mit der 102-jährigen Oma, wo man weiß, irgendwann ist es so weit, und dann ist es so weit. Dann ist man trotzdem sehr, sehr traurig", befand der Lilien-Präsident. Ihm sei klar gewesen, dass sein Verein nicht am letzten Spieltag absteigt. Sondern schon vorher.

So ist es am Sonntag gekommen nach diesem 0:1 gegen Heidenheim, das perfekt zu den 30 Ligaspielen zuvor passte. Lange, sehr lange hatte es nämlich danach ausgesehen, als bestünde zumindest die theoretische Chance, die Abstiegsentscheidung noch mal vertagen zu können. Dann schlug Matej Maglica in der 90. Minute im eigenen Strafraum über den Ball und Nikola Dovedan schoss den Heidenheimer Siegtreffer, mit dem wiederum der Mitaufsteiger von der Ostalb den Klassenerhalt nahezu sicher geschafft hat.

Darmstadts Bilanz ist trist: 17 Punkte haben die Lilien nach 31 Spielen geholt, drei Saisonsiege (gegen Bremen, Augsburg und Köln) erwirtschaftet, zwischenzeitlich war man 22 Spiele sieglos geblieben. Wenn man mit so einer Bilanz absteigt, ist das keine himmelschreiende Ungerechtigkeit, wenngleich Fürth (18/2022) und Schalke (16/2021) am Saisonende ähnlich schlecht dastanden.

In Darmstadt steht "der Klub komplett zusammen", sagt Trainer Lieberknecht

Umso bemerkenswerter, wie schnell sich das Stadion auch am Sonntag wieder berappelte und der Mannschaft applaudierte. Überhaupt hat das Darmstädter Publikum eine Saison lang auf alberne Rituale zur Frustverarbeitung verzichtet. Nur einmal, nach dem (wirklich indiskutablen) 0:6 gegen Augsburg, meinte ein Ultra-Fürst, minutenlang vor der Mannschaft herumbrüllen zu müssen - er wurde mit "Halt die Fresse"-Rufen in seine Schranken gewiesen. Auch Trainer Torsten Lieberknecht betonte am Sonntag, dass er einen Klub erlebe, "der komplett zusammensteht".

Das Publikum steht zur Mannschaft. Hier Fabian Nürnberger, der mit den Fans abklatscht. (Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Und es stimmt ja, irgendwie sind die Lilien trotz aller Rückschläge bei sich geblieben: Trotz des Pechs mit Schiedsrichterentscheidungen, von dem sie vielleicht überproportional viel abbekamen. Trotz mancher Fußballregel, von der nicht nur Lieberknecht behauptet, sie könne nicht von Menschen erdacht worden sein, die einen Elfmeter auch mal selbst geschossen haben.

In Darmstadt erinnerten sie sich jedenfalls auch Ende April noch mit Grauen an den 24. Februar in Bremen, als Tim Skarke vor dem Torschuss zum vermeintlichen Siegtreffer den Ball aus grob geschätzt 43,2 Zentimetern an den Arm bekam, der angelegter nicht hätte sein können. Doch, so haben es einst kluge Menschen beschlossen, bei einer Torentstehung zählt jede Berührung als Handspiel. Für die Darmstädter, für die wiederum jeder Punkt zählte, gab es deshalb derer einen statt drei. "Das wäre natürlich ein absoluter Gamechanger gewesen, das hätte totalen Auftrieb gegeben", erinnerte sich Lieberknecht.

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Selbst bei Bremens dezent emotionalisiertem Trainer Ole Werner ("Diese Regel ist nicht geil") hatte man damals den Eindruck, dass ihm die Darmstädter leidtaten. Wie überhaupt viele Kollegen von Lieberknecht - Heidenheims Frank Schmidt am Sonntag, Freiburgs Christian Streich zwei Wochen zuvor - zuletzt ausdrücklich die Arbeit des Darmstädter Coaches lobten. Dessen Team hatte mit seinem Mini-Etat im Grunde schon zu Saisonbeginn keine Chance - und trotzdem in fast jedem Spiel ans Unmögliche geglaubt.

Darmstadt war in dieser Spielzeit oft genug ein Punchingball. Auch der pendelt sich nach härtesten Schlägen irgendwann wieder in die Ausgangsposition zurück. Und es war auch keine Ausrede, dass immer wieder wichtige Spieler über Wochen mit Verletzungen ausfielen. Letztlich fehlte nicht nur bundesligataugliches Personal - es fehlten auch finanzielle Mittel. Dieses Risiko war man gewusst eingegangen, als man vor Saisonbeginn festlegte, lieber Alles-oder-Nichts zu spielen, als umständlich Schulden anzuhäufen.

Darmstadt hatte sich vor der Saison kaum verstärkt, im Winter nur dezent nachgelegt und stattdessen auf die Entwicklungspotenziale der Aufstiegsmannschaft gesetzt - was sich bei einigen Profis als Fehleinschätzung erwies. Dafür wird man jetzt allerdings mit einem dicken Plus aus der Spielzeit gehen. Und mit demselben Trainer, mit dem man im vergangenen Sommer aufgestiegen ist: Lieberknechts Vertrag wurde im vergangenen Sommer bis 2027 verlängert, ligaunabhängig.

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