Abfahrts-Favoriten in Sotschi:Trauermusik für Bode Miller

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Bode Miller: Enttäuschung nach der Abfahrt (Foto: REUTERS)

Der Amerikaner Miller und der Norweger Aksel Lund Svindal hatten die besten Voraussetzungen auf einen Olympiasieg in der Abfahrt - doch dann gewinnt der Österreicher Matthias Mayer. Miller leidet öffentlichkeitswirksam und rechtfertigt sein Abschneiden mit "schlechter Sicht".

Von Carsten Eberts, Krasnaja Poljana

Als Bode Miller ins Ziel schoss, blinkte die Zahl sechs auf. 6! Nur Sechster! Nicht Erster! Der Amerikaner patschte die Hände auf den Helm, setzte sich in den Schnee, verharrte auf dem kalten Grund. Dann schob sich er ganz langsam am Publikum vorbei. Mucksmäuschenstill war es im Zielbereich, als der Favorit davon schlich.

Die Stille hielt sich einige Sekunden. Die Winterspiele in Sotschi hatten gerade ihr erstes kleines sportliches Drama erlebt. Der Trompeter aus dem Fanblock der Österreicher schaltete am schnellsten, er griff zu seinem Instrument und spielte eine Trauermusik. Sehr langsam. Und sehr traurig.

Auch Matthias Mayer schlug die Hände vors Gesicht, jedoch nicht aus Trauer, sondern aus Ungläubigkeit. Der junge Österreicher, gerade 23 Jahre alt, saß in der Leadersbox. Miller hatte ihn nicht verdrängen können. Akel Lund Svindal, der Norweger, kurz darauf auch nicht. Am Ende gewann Mayer tatsächlich, vor dem Italiener Christof Innerhofer (0,06 Sekunden zurück) und dem Norweger Kjetil Jansrud (0,10).

"Ein Wahnsinn", sagte der neue Olympiasieger. Mayer, Innerhofer, Jansrud. Wer vor dem Rennen eine angemessene Summe auf dieses Podium getippt hat, ist nun ein reicher Mensch.

Dabei hatte sich die Skiwelt ganz auf den Zweikampf zwischen Miller und Svindal konzentriert. Mit dem Unterschied, dass Svindal nur eine Nebenrolle spielte. Alles drehte sich um Miller, den Rückkehrer, der anderthalb Jahre verletzungsbedingt pausiert hatte, was für einen Skifahrer eine wirklich lange Zeit ist. Rechtzeitig zu Olympia schien er bereit für neue Großtaten. Zwei der drei Trainingseinheiten in Krasnaja Poljana hatte er gewonnen. Miller fühlte sich bereit, stark, unbezwingbar.

Doch dann diese Fahrt. Miller war im ersten Drittel rasanter unterwegs als der vor ihm gefahrene Mayer, wählte dann aber eine seltsame Linie. Machte ungezwungen Fehler. Im Mittelteil schien es sogar, als würde Miller aufrecht fahren, als lege er es gar nicht darauf an, den Luftwiderstand zu minimieren. Er landete weit weg von den Medaillenrängen, rutschte vom sechsten Platz sogar noch auf Rang acht.

Skifahrer Bode Miller
:Partylöwe aus dem Wohnmobil

Einmal hat Bode Miller bereits bei Olmypia Gold gewonnen, nun will er mehr: Sotschi ist das Ziel, auf das der US-Amerikaner seit Monaten hinarbeitet. Der Eigenbrödler und Exzentriker ist mittlerweile anders, wenn auch nicht normal. Seine Karriere in Bildern.

"Ich weiß gar nicht genau, was falsch lief", sagte Miller später. Er habe keine gute Sicht gehabt, erklärte er entschuldigend: "Wenn ich sehr gute Sicht habe, kann ich mein Bestes zeigen. Wenn nicht, dann nicht." Andere Fahrer hatten mit der Sicht jedoch keine Probleme. Die Stadionkamera fing Miller ein, wie er seine Ehefrau Morgan langsam und traurig küsste. Wenn schon keine Heldentat, dann wenigstens großes Drama.

Svindal, dem anderen großen Favoriten, erging es kaum besser - auch wenn er nicht so öffentlichkeitswirksam litt wie seine Kollege aus den White Mountains. Der Norweger wurde immerhin Vierter, was für einen Mann wie Svindal jedoch viel zu wenig ist. Dies sei "der schlimmste Platz", sagte Svindal, "ich konnte meinen Plan heute nicht verfolgen." Svindal musste in Jansrud sogar einem weniger hoch gewetteten Landsmann den Vortritt lassen. Wer hätte das gedacht.

Stattdessen also Matthias Mayer. Ihn ließ das Grinsen gar nicht mehr los. Noch auf dem Pressepodium griff er sich in die zerzausten Haare, wirkte wie einer, der noch nicht verstehen kann, was ihm gerade widerfahren ist. "Als der Bode hinter mir ins Ziel kam, hab ich zum ersten Mal an eine Medaille gedacht", sagte Mayer. "Richtig gecheckt", habe er erst bei der Siegerehrung, dass er nun Olympiasieger sei. Sein Fazit: "Es ist unglaublich."

Er wusste selbst nicht, wie das passieren konnte. Mayer gilt zwar als kommender Mann für die Speed-Disziplinen, jedoch eher im Super-G, wo er seine großen technischen Fähigkeiten besser ausfahren kann. Er hatte sich in den Wochen vor Olympia auch in der Abfahrt verbessert gezeigt, vor allem im Training. Seine beste Platzierung war ein fünfter Rang Ende Dezember in Bormio.

Aber Olympia-Gold? Damit konnte niemand rechnen. "Ich habe nur davon geträumt, jetzt ist es in Erfüllung gegangen", jubilierte Mayer. Seine Mutter rang im Zielbereich ebenfalls um Fassung: "Jetzt habe ich einen Abfahrts-Olympiasieger daheim. Was soll ich mit dem machen?"

Im ORF gestand Matthias Mayer, dass er ja eine Ahnung gehabt hätte, dass Miller an diesem Tag zu schlagen sei. "I bin mitm Bode heit Lift gfahren und hob gwusst, er is sehr nervös", erklärte er in breitestem Österreichisch. Er ist der erste Abfahrtssieger aus der Alpenrepublik bei Olympia seit Fritz Strobl 2002. In seiner Heimat ist heute ein Feiertag.

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