Schwimm-WM:Ein Dopingfall bei den lautesten Kritikern

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Positiver Dopingtest: Shayna Jack, hier auf einem Foto von April 2018. (Foto: Manan Vatsyayana/afp)
  • Als der Chinese Sun Yang Gold gewinnt, protestiert der Australier Mack Horton deutlich gegen seinen Konkurrenten. Sun Yang hatte eine Dopingprobe mit dem Hammer zerstören lassen.
  • Nun gibt die Australierin Shayna Jack zu, vor der WM positiv getestet worden zu sein. Auf welche Substanz, ist bisher noch unbekannt.

Von Claudio Catuogno, Gwangju

Ein Wettkampftag noch, dann sind die Schwimm-Weltmeisterschaften in Südkorea Geschichte. Was die Deutschen angeht, lässt sich eine Bilanz schon ziehen: die atmosphärische. Ein halbes Jahr nach der Trennung vom umstrittenen Chefbundetrainer Henning Lambertz waren in Gwangju so gut wie keine Misstöne zu vernehmen. Regelmäßig bog irgendwo eine deutsche Schwimmerin oder ein deutscher Schwimmer um die Ecke und versicherte, das Rennen habe "mega Spaß" gemacht. Am Samstag etwa die erst 17-jährige Anna Elendt, die sich überraschend fürs Finale über 50 Meter Brust qualifiziert hatte. Wie auch Florian Wellbrock, 21, über 1500 Meter Freistil - er zählt am Sonntag zu den Medaillenfavoriten.

Aber wie immer in der Individualsportart Schwimmen gilt: Im Medaillenspiegel werden die Erfolge zwar den Nationen zugeschrieben, die Geschichten muss aber jeder selbst schreiben. Und nicht immer sind das die Geschichten, die man dem Sport zumuten will.

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Auf 59 Seiten beschreibt der Schwimm-Weltverband jene Nacht, in der Sun Yang eine Dopingprobe zerstören ließ - und spricht ihn frei. Die Fina veröffentlicht das Urteil nicht, doch der SZ liegt es vor. Eine Dokumentation.

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So wurde am Samstag bekannt, dass ausgerechnet das australische Team einen Dopingfall zu verzeichnen hat. Shayna Jack, 20, ist positiv getestet worden. Das ist auch deshalb brisant, weil es ja die Australier waren, die sich in der Debatte um den Chinesen Sun Yang (Stichwort: Dopingprobe mit einem Hammer zertrümmert) am deutlichsten positioniert hatten. Und nun also: Steine aus dem Glashaus?

Drei Geschichten über Athleten, die in den letzten WM-Tagen im Fokus standen. Shayna Jack, die heimlich abreisen musste, Marco Koch, der ein beachtliches Comeback gab - und Caeleb Dressel, der einfach immer und immer weiter gewinnt.

Shayna Jack

Shayna Jack ist nicht mehr da. Kurz vor dem ersten Rennen ist sie heimgeflogen nach Australien, und das einzige, was dazu bekanntgemacht wurde, waren "persönliche Gründe". Das kann man jetzt so oder so sehen. Denn ihr Fall betrifft auch andere: in erster Linie Mack Horton, den Silbergewinner über 400 Meter Freistil. Und das ebenfalls sehr persönlich.

Was sich hinter Jacks "persönlich Gründen" tatsächlich verbirgt, machte die Schwimmerin am Samstag in der australischen Zeitung The Sunday Telegraph öffentlich: eine positive A-Probe, abgegeben am 26. Juni im Trainingslager in Japan.

Die 20-jährige Freistilschwimmerin, die bei der WM in Gwangju für die Staffel vorgesehen war, beteuert ihre Unschuld: "Schwimmen war meine Leidenschaft, seit ich zehn war, und ich würde nie absichtlich eine verbotene Substanz einnehmen, weil das meinen Sport missachten und meine Karriere gefährden würde", sagte sie der Zeitung. "Mein Team und ich tun alles, um herauszufinden, wann und wie diese Substanz in Kontakt mit meinem Körper gelangt ist."

Shayna Jack stammt aus Brisbane und trainiert auch dort. Ihr Coach ist Dean Boxall, der auch Ariarne Titmus, 19, betreut, den neuen Star am australischen Schwimmhimmel: Vier Medaillen gewann Titmus in Gwangju, darunter Gold über 400 Meter Freistil.

Worauf wurde Shayna Jack positiv getestet? Das australische Schwimmteam bestätigte die auffällige Probe zwar am Samstag, machte aber keine Angaben zur Substanz. Vor allem davon dürfte am Ende abhängen, wie der Fall einzuschätzen ist. Mit manchen Mitteln kann ein Athlet ja zumindest theoretisch über verunreinigte Lebensmittel in Kontakt kommen - bei anderen ist das ausgeschlossen. Shayna Jack leidenschaftliches Dementi? Ihre Ratlosigkeit? Das hat man so schon von vielen Sportlern gehört.

Mehr Wirbel macht ohnehin die Frage, warum die australische Teamleitung das Versteckspiel mitgespielt hat. Am 14. Juli hatte Jack für die WM abgesagt, der Co-Trainer Michael Bohl erklärte ihren Zustand danach als "Mysterium". Und womöglich hätte auch Mack Horton am ersten WM-Abend manches anders gemacht, hätte er die Fallhöhe richtig einschätzen können. Horton hatte sich an die Spitze jener Athleten gesetzt, die gegen die Anwesenheit des Chinesen Sun Yang bei der WM protestieren. Während der Siegerehrung stand Horton hinter dem Podest, danach verweigerte er Sun Yang das gemeinsame Foto der Medaillengewinner.

Die Australier haben am Samstag vor allem um Verständnis geworben. Dafür etwa, dass bei ihnen die Regel gelte, jeden, gegen den irgendeine Art von Verdacht vorliege, sofort von allen Wettkämpfen zurückzuziehen. Das war auch ein Seitenhieb auf Sun Yang, der sich im September vor dem Sportgerichtshof Cas verantworten muss, weil er im vergangenen September eine Dopingprobe mit dem Hammer zerstören ließ. Zugleich könne man Namen aber immer erst nennen, wenn das Verfahren offiziell sei, schrieb der Chef von "Swimming Australia", Leigh Russell. Man habe das Team gar nicht informieren dürfen.

Nun war es Shane Jack selbst, die den Fall bestätigt hat. Einen schlechteren Zeitpunkt hätte es dafür nicht geben können.

Marco Koch

Marco Koch ist wieder da. Im stolzen Schwimmeralter von 29 Jahren. Koch, das haben viele schon vergessen, ist - vom Freiwasser abgesehen - der letzte deutsche Schwimm-Weltmeister. 2015 in Kasan gewann er Gold über 200 Meter Brust. Damals stand sein Erfolg unter anderem dafür, dass man nicht unbedingt sein heimisches Umfeld verlassen muss, um als Schwimmer zu reüssieren. Zu Hause in Darmstadt bildete er zusammen mit seinem Langzeit-Trainer Alexander Kreisel eine der sogenannten "Insellösungen", über die der Ex-Chefbundestrainer Henning Lambertz vor einigen Tagen aus der Ferne unkte, sie seien "Zufallsprodukte". Um das deutsche Schwimmen insgesamt "wieder konkurrenzfähig zu machen", brauche man jedoch "ein System, eine klare Idee". Also das, was Lambertz bei seinen Nachfolgern partout nicht erkennen will.

Zum anderen ließ sich Kochs Kasan-Gold aber auch damit erklären, dass man als Spitzenathlet, Insellösung hin oder her, oft von neuen Reizen profitiert. Koch hatte damals seine Ernährung umgestellt: "Vegan mit Fleisch" lautete sein persönliches Ernährungskonzept, das damals in keiner Marco-Koch-Geschichte gefehlt hat.

In den Jahren danach erschienen dann nicht mehr so viele Geschichten über Koch, und auch dabei spielte Henning Lambertz eine Rolle. Zunächst tat sich Koch schwer mit den neuen Vorgaben zum erweiterten Krafttraining, die Lambertz den Schwimmern vorschreiben wollte. Dennoch beteuerte Koch damals schon, er glaube an diese Strategie, es brauche halt etwas Zeit, sich umzustellen. Dann war Koch das prominenteste Opfer von Lambertz' Strategie, den Schwimmern mit extrem harten Qualifikationsnormen zuzusetzen: Koch verpasste die EM 2018 in Glasgow.

Aber nun, vier Jahre nach Kasan, ist Koch wieder zurück in der Weltspitze. Seine 2:07,60 Minuten reichten in Gwangju zwar nur zu Rang fünf. Aber er selbst war damit sogar schneller als 2015. Koch hat sich eben mal wieder auf neue Reize eingelassen. Er hat jetzt einen neuen Trainer: Henning Lambertz. Koch ist von Darmstadt nach Frankfurt gewechselt, Shila Sheth betreut ihn dort am Beckenrand - aber Lambertz schreibt die Trainingspläne.

Man kann sich vorstellen, wie groß die Genugtuung bei beiden sein muss. Lambertz, der im Hauptberuf inzwischen in Wuppertal Realschullehrer ist, hat wieder mal bewiesen, dass seine Methoden fruchten - als Trainer am Beckenrand. Und Koch sagt, er habe jetzt extrem viel Vorfreude auf das kommende Jahr. "Die schnellste Zeit seit Ewigkeiten! Wenn wir so weitermachen, wird es richtig gut."

Macht nicht viel Aufhebens um sich, fährt aber mit einer Türe Medaillen nach Hause: Caeleb Dressel. (Foto: Oli Scarff/afp)

Caeleb Dressel

Caeleb Dressel ist immer noch da. Nur merkt man das bei dem 22-Jährigen aus Green Cove Springs, Florida, nie so richtig. Mit sieben Goldmedaillen war Dressel schon der erfolgreichste Schwimmer bei der WM 2017 in Budapest. Aber entweder sind seine Rennen immer sehr schnell vorbei: Dressel dominiert die 50 und die 100 Meter jeweils in den Disziplinen Freistil und Schmetterling. Oder er gewinnt halt mal wieder Gold mit einer Staffel. Davon gibt es immer mehr im WM-Programm, neuerdings auch die 4x100-Meter-Freistil-Mixed-Staffel und die 4x100-Meter-Lagen-Mixed-Staffel mit je zwei Männern und zwei Frauen. Dressel ist logischerweise immer mit dabei, und dann kommt eben rasch mal wieder eine Tüte Medaillenübergepäck zusammen am Ende einer WM-Woche.

Dass Dressel trotzdem fast unter dem Radar schwimmt, hat wohl auch damit zu tun, dass er nicht viel Aufhebens um sich selbst macht. Am Freitag unterbot er in Gwangju im Halbfinale über 100 Meter Schmetterling in 49,50 Sekunden den zehn Jahre alten Weltrekord des einstigen Überschwimmers Michael Phelps. Aber solange das Gold noch nicht in der Tüte ist, bejubelt Dressel doch keinen Weltrekord! "Ich werde mich nicht in einem Halbfinale auf eine Leine setzen, das war noch nie mein Stil. Ich habe meiner Familie gewunken, das war alles, was ich wollte."

Wobei, diese 49,82 Sekunden, die Bestmarke von Phelps, die wollte Dressel natürlich auch unbedingt. Er kenne jede Zeit von Phelps, jeden Rennverlauf, hat er in Gwangju dem Swimming World Magazine erzählt, "es ist schon lustig, wie sich da jetzt der Kreis schließt."

Um auf ähnliche Weise im Fokus zu stehen wie Phelps, müsste Caeleb Dressel jetzt vielleicht mal betrunken Autofahren oder ein Haschpfeifchen rauchen oder mit viel Tamtam ankündigen, gegen einen weißen Hai zu schwimmen. Aber das ist nun mal nicht seine Art. Dressel hat dafür immer ein Stofftuch bei sich, das ihn an eine an Krebs verstorbene Lehrerin erinnert, die auch seine Mentorin war. Also eher das Gegenteil von exzentrisch.

Am Samstagabend, vorletzte Finalsession in Gwangju, ist Caeleb Dressel übrigens über 50 Meter Freistil, 100 Meter Schmetterling und mit der 400x100-Meter-Freistil-Mixed-Staffel an den Start gegangen. Ergebnis, was sonst: Gold, Gold und Gold.

An einem Abend allerdings, der noch eine andere Botschaft hatte: Dopingfälle gibt es nicht nur in China.

© SZ vom 28.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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