1. FC Nürnberg:Der zuverlässige Wahrsager

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Gut gebrüllt: Tim Handwerker (links) bejubelt seine Rettungsaktion in der 80. Minute mit Lino Tempelmann. (Foto: Daniel Löb/dpa)

Der Club besiegt den Hamburger SV im Spitzenspiel der zweiten Bundesliga 2:1 und schiebt sich auf Platz vier. Trainer Robert Klauß will nun "Euphorie zulassen" - aber keine Hysterie.

Von Gerhard Fischer

Fußballer sind ja große Jungs. Sie sagen gerne ihre Heldentaten voraus, und manchmal träumen sie sogar von tollen Toren. Als Thomas Häßler die Nationalelf 1989 gegen Wales zur WM schoss, sagte er hinterher, er habe den Treffer zuvor im Schlaf gesehen. "Ich habe geträumt, dass von links eine Flanke kommt, und ich mache das entscheidende Tor. Und genau so ist es passiert."

Tim Handwerker, Verteidiger beim 1. FC Nürnberg, schoss am Samstagabend das finale 2:1 gegen den Hamburger SV. Handwerker verriet hinterher, er habe beim Mittagessen zum Kollegen Taylan Duman gesagt, er werde heute ein Tor erzielen; und zwar mit rechts. Das ist deshalb spektakulär, weil Handwerker gewöhnlich mit links schießt und den rechten Fuß bloß zum Laufen nutzt. Der 1. FC Nürnberg hat damit sein drittes Spiel in Serie gewonnen, er hat Hamburg überholt und Rang vier in der Tabelle erobert. Natürlich gehört der Club nun zu den Aspiranten um den Aufstieg. "Wir wollen die Euphorie zulassen", sagte Trainer Robert Klauß nach dem Spiel, "aber sie muss von innen heraus kommen, aus der Mannschaft, nicht vom Umfeld." Das so genannte Umfeld ist in Nürnberg ja traditionell eher hysterisch.

1. FC Nürnberg gegen Hamburger SV, geballte Tradition. Da denkt man an Heiner Stuhlfauth und an Max Morlock, nach dem das Stadion benannt ist, an Uwe Seeler und an Manni Kaltz. Und Nürnberg gegen HSV, das sollte, zumindest in den Augen von Franken und Hanseaten, nicht länger ein Spiel in der zweiten Liga sein (freilich denken auch die Schalker und die Bremer so, und sogar die Hannoveraner und die Düsseldorfer).

Nürnberg wehrt sich mit Laufbereitschaft und Leidenschaft gegen die spielerische Dominanz der Hamburger

Es war am Samstag ein temporeiches, intensives, interessantes Fußballspiel. Fast jeder rackerte, fast jeder spielte konzentriert. Nürnberg hatte die erste Chance, als Rechtsverteidiger Kilian Fischer plötzlich auf Linksaußen auftauchte. Er überlief die HSV-Abwehr und passte zur Mitte, wo der Adressat Pascal Köpke den Ball knapp neben den Kasten bugsierte (11. Minute). Auf der anderen Seite schoss Giorgi Chakvetadze von halblinks vielversprechend aufs Tor, doch Asger Sörensen kratzte den Ball von der Linie (12.). Und weil es gerade so verdammt aufregend war, legten die Nürnberger noch einen drauf. Nürnberger - nicht ein Nürnberger, sondern der Nürnberger, der mit Vornamen Fabian heißt - schoss von halblinks, ein Hamburger blockte ab, der Ball landete bei Köpke, und der musste bloß noch abstauben (15.).

Die Hamburger reagierten cool. Sie kontrollierten das Spiel - zur Halbzeit hatten sie 71,8 Prozent Ballbesitz - und sie glichen sehr schnell aus. Handwerker war in der 25. Minute vom Heldenstatus und von Gegenspieler Bakery Jatta noch sehr weit entfernt, Jatta passte zur Mitte, wo Ludovit Reis, der vielleicht Ballfertigste von 20 versierten Feldspielern, mit rechts flach ins linke Eck schoss. Nürnberg wehrte sich mit hoher Laufbereitschaft und mit großer Leidenschaft gegen die spielerische Dominanz der Gäste. Eine Szene war dafür symptomatisch: Als Miro Muheim in der eigenen Hälfte den Ball führte, stürzten sich die drei Nürnberger Köpke, Duman und Mats Möller Daehli als eine Bande von Balldieben auf den Hamburger Linksverteidiger.

Auf den Rängen jubeln sie, als hätte Handwerker den Club zur WM geschossen

Der HSV, bei dem die so genannten Unterschiedsspieler Sonny Kittel und Robert Glatzel diesmal blass blieben, ließ nach der Pause etwas nach. Trainer Tim Walter meinte hernach, es habe etwas "die Frische im Kopf" gefehlt. Das Spiel war nun zerfahrener, es war hart umkämpft, es gab einige berechtigte und ein paar fragwürdige gelbe Karten - und es spielte sich Tim Handwerker in den Mittelpunkt. Seine zweitbeste Szene hatte Handwerker, als er Jatta an der eigenen Torauslinie erfolgreich bekämpfte (80.) und vor Freude darüber die rechte Hand zur Becker-Faust ballte. Seine beste Szene hatte er in der 85. Minute, als er - wie mittags angekündigt - mit dem rechten Fuß ein Fernschuss-Tor erzielte. Auf den Rängen jubelten sie, als hätte Handwerker den Club zur WM geschossen, na ja, wenigstens zum Aufstieg.

HSV-Torwart Heuer Fernandes stand eine halbe Stunde später vor den Fernsehkameras und musste die Frage beantworten, ob Handwerkers Schuss haltbar gewesen sei. Er sagte zunächst, dass der Rasen vor seinem Tor neu verlegt worden sei; der Ball sei deshalb nicht so hoch aufgesprungen, wie er erwartet hatte. Als man schon dachte, er würde die tief stehende Sonne (es war ein Flutlichtspiel) als Entschuldigung heran führen, meinte er doch noch ehrlich: "Ja, der war haltbar."

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