Sprachlabor (8):Mythische Fötusse

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger über Ungeborene im Plural, Goethe und Schiller und den Mythos Mann.

Hermann Unterstöger

Da eine Krähe der anderen ja kein Auge aushackt, beantworten wir Fragen wie die unserer Trierer Leserin G., ob die SZ-Autoren "von allen guten Geistern verlassen" seien, oft sehr spontan mit: "Nein, natürlich nicht!'" Frau G. stieß sich an der Pluralbildung "Fötusse", schrieb uns "der Fötus, die Föten!" ins Stammbuch und riet uns, solche Fehler in Zukunft mit Hilfe des Korrekturprogramms zu vermeiden. Wenn das so leicht ginge! Das Korrekturprogramm denkt nicht daran, die Fötusse als Fehler anzuzeigen, geht in dieser Sache also konform mit dem Duden, der den Genitiv Fötusses ebenso wie den Plural Fötusse zulässt. Wenn aber Google den herrschenden Sprachgebrauch richtig abbildet, ist Föten der mehrheitlich anerkannte Plural, und daran wollen wir uns halten. Bei dem Plural Feten (vom Zwillingswort Fetus) fällt die Internetprobe noch überzeugender aus, was daran liegen mag, dass die Suchmaschine in ihrer Gier auch alle Feten, vulgo Feste, zusammenscharrt.

Die undatierte Aufnahme zeigt den Fremdsprachenunterricht im Sprachlabor einer Schule in Frankfurt am Main. (Foto: Foto: dpa)

Als ob die Katastrophen allein noch nicht genug wären! Wann immer etwas Furchtbares geschieht, kommt es auch zu dem Kollateralschaden, dass das Wort gedenken mit dem Dativ konstruiert wird, eine vergleichsweise läppische Sache, die trotzdem viele Leser gewaltig aufregt. "Köln gedenkt Opfern / des Archiv-Einsturzes", hieß eine zweizeilige Überschrift bei uns im Blatt, und das Argument, in der korrekten Version "der Opfer" hätte der Text nicht in die Zeitungsspalte gepasst, macht die Sache nicht besser. Opfern ist nun einmal kein Kurz-Genitiv, sondern eindeutig ein Dativ, und wenn es anders nicht geht, muss man eben "Köln ehrt Opfer" formulieren.

Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) titelte "Köln gedenkt Opfer usw.", was als Akkusativ aufgefasst wird, sich aber immerhin bei Goethe sichernd unterstellen kann, der angesichts von Schillers Totenkopf dichtete: "Die alte Zeit gedacht' ich, die ergraute." Für den Genitiv spricht außer dem Sprachgebrauch und der in diesem Fall sehr klaren Grammatikregeln auch Walther von der Vogelweide, der dem Papst folgendes hinrieb: "Daz er dâ seit, des solt er niemer hân gedâht." Das heißt: "Was er da sagt, sollte er nicht einmal gedacht haben" und kann, wenn man so will, als aktuelles Wort zur Aids/Kondom-Affäre durchgehen.

Im Feuilletion stand kürzlich die Rubrik "Mysthische Männlichkeit", die schon deswegen zum Lesen des Artikels reizte, weil man wissen wollte, ob die in Frage stehende Männlichkeit nun mystisch oder doch eher mythisch ist. Da im Text einmal von "Mythen der schwarzen Männlichkeit" die Rede ist, war wohl Letzteres gemeint.

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