Sprachlabor (7):Seitdem Genitiv?

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger über den Unterschied von "seit" und "seitdem" und des Genitivs Verwendung.

Hermann Unterstöger

Seit oder seitdem? Liebhaber der Sprache pflegen bei dieser Frage oft sehr rigoros Stellung zu beziehen, und zwar gegen die Gleichsetzung von seitdem mit seit als Konjunktion. Unser Leser Dr. D. ist so ein Liebhaber, und darum war ihm folgender Satz ein Ärgernis: "Seitdem es also so ist, dass ein Unternehmen auch bei Überschuldung keineswegs zwingend pleite ist, und seitdem der Staat mit ungeheueren Finanzmitteln maroden Unternehmen zur Seite springt, seitdem ist die Selbstreinigungskraft des marktwirtschaftlichen Systems außer Funktion gesetzt."

Die undatierte Aufnahme zeigt den Fremdsprachenunterricht im Sprachlabor einer Schule in Frankfurt am Main. (Foto: Foto: dpa)

Dr. D. findet, dass die beiden ersten seitdem (die Konjunktionen) durch seit hätten ersetzt werden können, dass das dritte (das Adverb) überflüssig ist und dass überhaupt das "Blähwort seitdem" unverdient Karriere gemacht habe. Wer dazu eine Grammatik befragt, kommt nicht weit, weil seit und seitdem darin meist paritätisch geführt werden, oft in der gleichsetzenden Version seit(dem).

Lassen wir also stattdessen die Dichter sprechen, stellvertretend für sie Friedrich Wilhelm Gotter, von dem folgende Zeilen überliefert sind: "Wie mir, seit ich Dich gefunden, / Lina, meine Zeit entschlüpft." Das stützt auf schönste Weise, was Adelung in seinem Grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart schreibt: "Das dem wird von der höhern Schreibart oft mit Nachdruck weggelassen." Es lebe, auch in der hochdeutschen Mundart, die höhere Schreibart.

Der Genitiv sieht schwerer aus, als er ist: das Glas, des Glases - keine große Sache, oder? Trotzdem scheint es eine Scheu zu geben, dieses -es anzuhängen, und so kam es in Joachim Kaisers Aufsatz über Dietrich Fischer-Dieskau zu der ebenso pompösen wie falschen Überschrift "Geheimnis des Geheimnis'".

Unsere Leserin Dr. W. hat den überflüssigen Apostroph gebührend bewundert und später auch festgestellt, wo er fehlte: gegen Ende des Textes bei "Brahms 'Deutschem Requiem'" bzw., um es genau zu sagen, weniger beim Requiem als bei Brahms, dessen Genitiv nicht Brahmses lautet, sondern Brahms'. Als sie vier Wochen später im Münchner Kulturteil las, dass man "einen Pfleger des kreativen Wildwuchs'" brauche, schrieb sie "Wie wahr!" drunter und schickte es an das Sprachlabor, die Zentralstelle für Geheimnisse und Wildwuchs aller Art.

© SZ vom 14.02.2009/brei - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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