Sprachlabor (50):Drei Alternativen?

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger erklärt, warum es in der Sprache bunt und zwiespältig zugeht.

Hermann Unterstöger

DIE ALTERNATIVE leitet sich vom lateinischen alter (der eine beziehungsweise der andere von zweien) her. Sie ist also nichts anderes als, so der Brockhaus von 1882, "eine Lage, in welcher man genötigt ist, von zwei Fällen einen zu wählen". Als Herr H. kürzlich bei uns erfuhr, dass die Berliner Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer für die bekannt marode S-Bahn "drei Alternativen" prüfen wolle, überschlug er das im Kopf und kam - wie viel ist drei mal zwei? - auf sechs Möglichkeiten, von denen er aber nur drei erwähnt fand, noch dazu unter falscher Bezeichnung.

Die undatierte Aufnahme zeigt den Fremdsprachenunterricht im Sprachlabor einer Schule in Frankfurt am Main. (Foto: ag.dpa)

So klar diese Sache ist, so sehr eignet sie sich für zwei ergänzende Überlegungen. Die erste ist sprachbeobachtender Natur und dreht sich um die Frage, wie man es mit Wörtern halten soll, die im Lauf der Zeit einen Bedeutungswandel erfahren. Täter ist in aller Regel die Sprachgemeinschaft, die entweder, wie bei der Alternative, in ihrer Mehrheit die lateinische Wurzel nicht mehr kennt oder die in unbewusster Souveränität beschließt, dass eine Alternative auch mehr als zwei Möglichkeiten umfassen kann. Das endet damit, dass sich die Alternative irgendwann als Synonym für Möglichkeit oder Variante etabliert hat und in diesem Sinn gefahrlos verwendet werden darf.

Das sieht nun ganz danach aus, als sollte auf diese Weise der von Herr H. entdeckte Lapsus entschuldigt werden. Womit wir bei der zweiten Überlegung wären, einer Überlegung pro domo sozusagen. Dieser Tage kam Post von dem ebenso sprachsicheren wie strengen Leser G., einem Mann, der diese Kolumne der "Weichspülerei" zeiht, da sie die Gewissenserforschung mit "nivellierenden Kommentaren" begleite und letztlich "zur Ergötzung ohnehin Gleichgesinnter" geschrieben werde. Dass die Ergötzung Gleich- und auch Andersgesinnter ein gern verfolgter Nebenzweck des Sprachlabors ist, wird nicht bestritten. Keineswegs geht es jedoch darum, die Missgriffe des journalistischen Alltags klein- oder gar schönzureden. Wenn die begleitenden Erörterungen nivellieren, dann allenfalls in dem Sinn, dass es in der Sprache bunt und ambivalent zugeht und dass manches vermeintliche Stolpern auch ein Schritt in die richtige Richtung gewesen sein könnte.

© 23./24.1.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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