Sprachlabor (5):Expertise und Kaltes Chaos

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger über vermeidbare Anglizismen und den Unterschied zwischen "oberirdisch" und "überirdisch".

Hermann Unterstöger

Was die Anglizismen betrifft, so reicht es bei uns in der SZ gemeinhin weder zu tiefer Liebe noch zu blindem Hass. Wir schauen uns vielmehr die neuen Gäste mit wohlwollender Skepsis an, und wenn sie über ein Weilchen nach gutem Gästebrauch wieder verschwinden, sind wir auch nicht beleidigt.

Die undatierte Aufnahme zeigt den Fremdsprachenunterricht im Sprachlabor einer Schule in Frankfurt am Main. (Foto: Foto: dpa)

Wenn sie aber bleiben? Nun, dann bedarf es eines zweiten kritischen Blicks, und den hat unsere Leserin Th. für uns getan. Ihr Auge fiel auf das Wort "Expertise", und zwar in einem Artikel über die Frage, wie viel CO2 im Hause Google bei Suchanfragen freigesetzt wird.

Der Satz lautete: "Fachleute bescheinigen dem Konzern sogar große Expertise", und Frau Th. ist der Ansicht, dass hier ohne Not das englische expertise (Fachwissen) zu Tische geladen wurde. Man kann ihr nicht widersprechen.

"Kaltes Chaos" registrierte unser Londoner Korrespondent unlängst und kabelte das auch brav durch, nicht ohne das bei solchen Berichten wichtige Detail, dass die U-Bahnen den Betrieb mehr oder minder eingestellt hatten, "weil Schnee auf den überirdischen Streckenabschnitten die Gleisanlagen zugedeckt hatte".

Unser Leser F. sieht hier (und nicht nur hier, sondern vielerorts) "oberirdisch" mit "überirdisch" verwechselt und fordert, dieser "Seuche" Einhalt zu tun. So gern wir dem folgen, so wenig wollen wir verschweigen, dass die Suche nach Rechtfertigungsgründen einiges an den Tag gebracht hat, das die Vertauschung von "ober-" und "überirdisch'" etwas weniger schlimm erscheinen lässt.

Der große Duden zum Beispiel nennt für "überirdisch" an erster Stelle die Bedeutung "der Erde entrückt", an zweiter aber auch die Bedeutung "oberirdisch" im Sinn von: über dem Erdboden.

Im Grimm'schen Wörterbuch wird die Erklärung "über der erde befindlich" sogar als erste genannt, unter anderem mit einem Beleg von Novalis: "die an unterirdischen und überirdischen schätzen reichsten gegenden." Erst danach kommt die heute übliche Bedeutung "über das irdische erhaben".

Sie kann sich unter anderem auf ein Zitat Justus Georg Schottels stützen, das allen Sprachfreunden gefallen muss. Demnach steckt in den Sprachen "ein weit anders und ein gantz überirrdisches verborgen, welches nicht unseren leib, sondern die seele einnimmt".

© SZ vom 21.02.2009/brei - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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