Sprachlabor (46):Der Lackmustest

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger äußert sich zu einem "sprachlich-säuerlichen Fehlgriff.

Hermann Unterstöger

DER BUNDESPRÄSIDENT ist kein Redaktionsmitglied der Süddeutschen Zeitung, weswegen auch sein Sprachgebaren in dieser Kolumne normalerweise nicht erörtert wird. Nun trifft es sich aber, dass sowohl Horst Köhler als auch ein Kollege ein umstrittenes Wort verwendeten, und so sei denn das Staatsoberhaupt heute kurz mit ins Boot genommen. Es geht um den "Lackmustest". Bei uns hieß es, die Steuerfrage sei "der Lackmustest für diese Koalition", und Köhler sagte, die Entwicklung der Hochschulen sei "ein Lackmustest dafür, wie ernst wir es wirklich meinen mit dem Ziel: der Zukunftsfähigkeit unseres Landes". Im ersten Fall sah unser Leser Dr. Sch. "naturwissenschaftliche Unkenntnis" walten, im zweiten Fall wandte sich Leser W. direkt an den Präsidenten, dem er einen "sprachlich-säuerlichen Fehlgriff" ankreidete und riet, sich von dieser "Ignorantenmetapher" fernzuhalten. Die Beliebtheit der Metapher lässt auf ziemlich viele Ignoranten schließen; ihnen allen sei mit Dr. Sch.'s Definition ausgeholfen, wonach der Lackmustest "darüber Aufschluss gibt, wie sauer oder alkalisch ein wässriges Medium reagiert".

Die undatierte Aufnahme zeigt den Fremdsprachenunterricht im Sprachlabor einer Schule in Frankfurt am Main. (Foto: ag.dpa)

Freilich, so recht die Naturwissenschaftler haben, so wenig scheren sich die Wörter darum. Aus dieser Lässigkeit heraus ist dem Lackmustest eine ähnliche Sprachkarriere gelungen wie dem Quantensprung, der ja im Alltag auch weit jenseits seiner eigentlichen Bedeutung verwendet wird: als Bild für einen gewaltigen Fortschritt. Weniger bekannt als diese beiden ist, in sachlicher wie sprachlicher Hinsicht, die Blaupause. Das Technik-Lexikon führt sie als "Lichtpause von transparenten Originalen, die ohne den Umweg über ein Negativ gewonnen wird". Unser Leser P. ist über die Stelle gestolpert, in der Rot-Rot-Grün als mögliche "Blaupause für die Bundesrepublik" in Erwägung gezogen wurde. Wenn, so P., damit "Vorbild" oder "Vorlage" gemeint sein sollte, wäre die Blaupause die schlechtestmögliche Metapher, da sie in der Realität ja das genaue Gegenteil ist, nämlich die Kopie eines Originals.

An Weihnachten schickt es sich, Gutes zu tun, und so sei denn an dieser Stelle allen Helfern und Zuträgern herzlich gedankt. Um das Maß der Güte vollzumachen, seien ferner alle Geistlichen eindringlich davor gewarnt, in den Festpredigten Weihnachten als Blaupause, Lackmustest oder gar Quantensprung zu bezeichnen

© 24./25./26./27.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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