Sprachlabor (285):Spätgotischer Stil

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Zwei Besucherinnen mit ihren schillernden Kopfbedeckungen beim Royal Ascot Pferderennen, Südengland. (Foto: REUTERS)

Ein Leser beschwert sich über die gehäufte Verwendung des Wortes "flamboyant" im Blatt. Und ein anderer hat sich die Rettung der Genitivendung -s vorgenommen.

Von Hermann Unterstöger

DASS DER "GEMEINE LESER" in der SZ mit Essays überhäuft werde, findet unser Leser St., doch was ihn daran besonders aufregt, ist der Umstand, dass in jedem dritten dieser Essays das Wort "flamboyant" auftauche. Das mit der Häufung ließe sich wahrscheinlich durch eine Statistik widerlegen, zumindest was die Menge der Essays angeht. Dass aber das Adjektiv flamboyant bei uns im Blatt eine gewisse Blüte erlebt, ist nicht abzustreiten. Diese Blüte könnte mit dem Ehrgeiz der Autoren zusammenhängen, ihre Texte irgendwie flamboyant zu machen, wobei das vage "irgendwie" schon darauf hinweist, dass man sich unter flamboyant weit mehr vorstellt als nur flammend, funkelnd, blitzend. Hier eine kleine Auswahl an Kombinationen mit flamboyant, allesamt aus der SZ: der flamboyante Lebensstil Middelhoffs, die flamboyante Stimme eines Opernsängers, Beckenbauer flamboyanter als Seeler, Gottschalk flamboyanter als Elstner, der flamboyante Zorn Hildebrandts, das neue Design von Mercedes wirkt flamboyant, schließlich noch "die ästhetisch flamboyante Reflexion des Individuums mit utopischem Potenzial in einem sozialen Gefüge". Hinzugefügt sei, und zwar sine ira et studio, dass der Stil der manierierten Spätgotik Flamboyantstil genannt wird.

(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

DIE RETTUNG der Genitivendung -s hat sich Leser H. vorgenommen, fatalerweise anhand des Vergissmeinnichts. Anlass ist ihm unser Titel "Die Rettung des Vergissmeinnicht", bei dem man in der Tat das Genitiv-s vermisst. Ungünstig ist das Beispiel insofern, als es sich bei Vergiss mein nicht um ein Satzwort handelt, um einen zum Wort geronnenen Satz, dem das deklinierbare Grundwort fehlt: Weder vergiss noch mein noch nicht lassen sich beugen. Daraus resultiert die Situation, dass man sich beim Genitiv das -s gewissermaßen ausleiht, beim Plural aber auf eine Endung verzichtet. Das heißt, Vergissmeinnicht e ist möglich, klingt jedoch seltsam: "Hier, mein Schatz, ein paar Vergissmeinnichte" - da wird der Schatz schnell abwinken.

© SZ vom 17.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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