Sprachlabor (284):Groteske Verwendung

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Das Model Doutzen Kroes während der Victoria's Secret Fashion Show am 2. Dezember 2014 in London. (Foto: AFP)

Der gehobene Sprachgebrauch passt nicht immer. Zum Beispiel bei diesem Satz aus einem Polizeibericht: "Dort hielt ihr der Mann Augen und Mund zu, riss sie zu Boden und wollte sie entkleiden." "Entkleiden" ist hier grotesk.

Von Hermann Unterstöger

DASS AUCH DIE UNTERWÄSCHE ihre Geheimnisse hat, wurde kürzlich in üppigem Rahmen geschildert. Eines der größten Geheimnisse war in dieser Erörterung der Satz: "Am Ende gilt, was einem die Großmutter schon als kleines Kind geraten hat." Unsere Leserin H. erstarb fast vor Respekt: eine Großmutter, die schon als kleines Kind in der Lingerie so zu Hause ist, dass sie Ratschläge geben kann! Hier haben wir wieder einen jener Fälle, bei denen man zwar weiß, was gemeint ist, bei denen es aber trotzdem mit der Kasuskongruenz hapert. Man muss indessen auch auf diesem Gebiet nicht päpstlicher als der Papst sein. James Joyce's Roman " A Portrait of the Artist as a Young Man" heißt auf Deutsch schließlich auch "Ein Porträt des Künstlers als junger Mann" und nicht "Ein Porträt des Künstlers als jungen Mannes". In unserem Fall hätte das kleine Kind, bezogen auf einem, im Dativ stehen müssen, aber die Version "was einem die Großmutter schon als kleinem Kind" ist stilistisch auch nicht das Gelbe vom Ei. Mögliche Lösung: "Was uns, als wir klein waren, schon die Großmutter geraten hat . . ."

(Foto: N/A)

DIE UNTERWÄSCHE, um noch kurz bei ihr zu verweilen, wird erst sichtbar, wenn man sich - ja was: auszieht, frei macht, entkleidet? Kommt drauf an. Greift man zu entkleiden, zeigt man an, dass man sich in jener Sphäre befindet, die Wörterbücher mit "geh." charakterisieren. Es ist der gehobene Sprachgebrauch, der bei diesem Satz aus dem Polizeibericht eindeutig nicht gegeben ist: "Dort hielt ihr der Mann Augen und Mund zu, riss sie zu Boden und wollte sie entkleiden." Unser Leser Dr. W., der gedacht hatte, "das Verb sei zusammen mit der Zofe ausgestorben", hält dessen Verwendung in dem Zusammenhang für "umso grotesker". In der Literatur hat entkleiden ja einen sehr prominenten Platz bekommen, nämlich in Thomas Manns "Felix Krull". Als dieser der Madame Houpflé aus ihrer Nerzjacke hilft, sagt sie in weiß Gott gehobenstem Ton: "Du entkleidest mich, kühner Knecht?"

© SZ vom 10.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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