Sprachlabor (279):Respekt vor den Kranken

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Zwei Schülerinnen schauen in einem Duden etwas nach. (Foto: ag.dpa)

Leser R. geht es dieses Mal um die Frage, ob man zur Metapher jeden Begriff heranziehen darf. Aus seiner Sicht verbietet sich das zum Beispiel bei "schizophren".

Von Hermann Unterstöger

MAN MUSS, schreibt Leser R., nicht alles gutheißen, was im Duden steht, und er bezieht diese Regel speziell auf die im Duden enthaltene "bildungssprachliche" Erläuterung zu dem Begriff schizophren als "in sich widersprüchlich, in hohem Grade inkonsequent" und als "verrückt, absurd". Es geht Herrn R. um die Frage, ob man zur Metapher, die ja den löblichen Zweck hat, unsere Sprache anschaulicher zu machen und semantische Lücken zu füllen, jeden beliebigen Begriff heranziehen darf oder ob es da Grenzen gibt, die der Anstand setzt. Im Fall des Wortes schizophren ist das die Empathie mit den von der Schizophrenie betroffenen Menschen. Schlichtes Einfühlungsvermögen sollte uns davon abhalten, Krankheit und Leiden als Stilmittel zu verwenden, sagt Herr R. und nennt stellvertretend die als Analogien gern verwendeten Wörter verrückt, Wahnsinn, Eiterbeule und Krebsgeschwür, dazu das wohl auf Schulhöfen beheimatete Du Schizo. Wie soll man sich verhalten, wo doch andererseits ein Alexander Mitscherlich die Trabantenstädte als "krebsartige Tochtergeschwülste" bezeichnet? Nach einer sehr praktischen Abwägung müsste man aus Respekt vor den vielen Krebskranken von dem metaphorisch gebrauchten Adjektiv/Adverb krebsartig abraten, wohingegen das nah verwandte pestartig - fast notorisch bei der pestartigen Ausbreitung bestimmter Unarten - wegen der historischen Ferne der Krankheit freigegeben werden könnte. Das Krankheitsbild der Schizophrenie ist so vielfältig, dass es sich nicht auf den allzu simplen Nenner gespalten reduzieren lässt. Schon aus diesem Grund geht es nicht an, etwas Absurdes oder Dämliches als schizophren zu bezeichnen, Bildungssprachlichkeit hin oder her.

(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

IN EINER REZENSION hieß es, dass Fachleute den "Exodus" Nordkoreas vorhergesagt hätten, ein Vorgang, der Leser W. zufolge Exitus heißt. Das stimmt, doch muss es erlaubt sein, sich auszumalen, wie anders die Welt aussähe, wenn dieses Land seine Sachen packte und einfach wegginge.

© SZ vom 06.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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