Sprachlabor (267):Der Weg zum Profi

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Blähwörter kommen leider auch in unserer Zeitung häufig vor: "Erwartungshaltung" etwa. Da möchte man den Kollegen doch direkt einmal wieder einen Blick in Wolf Schneiders "Deutsch für Profis" empfehlen.

Von Hermann Unterstöger

WENN DER HANDWERKER sein Angebot mit "In Erwartung Ihres Auftrags verbleibe ich" beschließt, ist das zwar immer noch gespreizt genug, aber er könnte ja auch "In Erwartungshaltung" schreiben und damit vollends in der Welt der Blähwörter versinken. Unsere Leserin Dr. Sch. geißelt Formulierungen wie "Die Erwartungshaltung des Publikums war groß", weil ja nicht die Haltung des Publikums groß gewesen sei, sondern dessen Erwartungen. Es mag nützlich sein, aus diesem Anlass wieder einmal an Wolf Schneiders "Deutsch für Profis" zu erinnern, worin einigen Imponiervokabeln auf einleuchtende und dabei überaus amüsante Weise die Luft herausgelassen wurde. Die Motivationsstrukturen verwandelten sich zum Grund, die Rücksichtnahme zur Rücksicht und die vorrangigen Erfordernisse zum Dringendsten. Dass dies beherzigt würde, war Schneiders Erwartung, vielleicht sogar seine Erwartungshaltung.

"WEIL ICH SCHON DABEI BIN", fährt Frau Dr. Sch. fort, bleibt aber nicht bei der Erwartungshaltung. Vielmehr dreht sie zum "kleinsten gemeinsamen Nenner" ab: Wieso dieser stets im Sinn von Minimallösung gebraucht werde, wo er doch in der Mathematik die optimale Lösung sei. Dazu einige Spekulationen. Zum einen könnte sich der metaphorisch verwendete Nenner so weit von seiner Heimat entfernt haben, dass deren Regeln für ihn keine Bedeutung mehr haben. Zum anderen wäre zu fragen, ob besagter Nenner in der Mathematik einer Wertung unterliegt. Will man ⁴⁄₆, ¾ und ⁴⁄₅ zusammenzählen, nimmt man als Hauptnenner das Sechzigstel, das aber weder gut noch schlecht ist, sondern richtig. Zum Dritten soll es den kleinsten gemeinsamen Nenner in der Mathematik gar nicht geben, sondern nur das kleinste gemeinsame Vielfache (kgV), das sich den Rang einer Metapher freilich erst erarbeiten muss.

(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

ES GIBT SCHLIMMERE SPRACHSÜNDEN als die, den letzten oder vorigen Sonntag als "vergangenen Sonntag" zu bezeichnen. Unsere Leserin Dr. B. ruft trotzdem "Verflixt und zugenäht!", weil alle Sonntage, die gewesen sind, in der Tat vergangen sind. Dagegen lässt sich vorbringen, dass auch bei der Benennung von Zeitvorgängen die rasche Verständlichkeit wichtiger ist als die sachliche Präzision. Wie verhält es sich übrigens mit dem "kommenden Sonntag"? Sind nicht alle Sonntage außer den vergangenen kommende? Ja, verflixt und . . .

© SZ vom 13.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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