Sprachlabor (12):Grimm, Eichendorff und Goethe

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger über den "stadteinwärtigen" Verkehr in München, flügelverleihende Tröpfchen und lange Plumeaus.

Hermann Unterstöger

Gäbe es für alles ein genaues Gegenstück, könnte man das Innenministerium in Analogie zum Auswärtigen Amt auch Einwärtiges Amt nennen. So einfach geht es in der Welt der Wörter indessen nicht zu. Schon bei Grimm steht geschrieben, dass einwärtig zwar dem auswärtig gegenüberstehen solle, dass es aber ungebräuchlich sei. Ein Blick in die Wörterbücher lehrt, dass es eine Menge Adverbien gibt, die mit dem Suffix -wärts gebildet werden: ab-, auf-, ein-, aus-, rück-, berg-, himmel- oder westwärts. Die wenigsten von ihnen taugen nach dem Muster von rückwärts/rückwärtig zur Adjektivierung, und insofern marschierte unsere Lokalteil, als er unlängst vom ,"stadteinwärtigen Verkehr'" schrieb, stramm fehlerwärts.

Die undatierte Aufnahme zeigt den Fremdsprachenunterricht im Sprachlabor einer Schule in Frankfurt am Main. (Foto: Foto: dpa)

Der Hierorts vermuteten Sammlung "Aua!" schickte Leser Z. einen Reisebericht aus der SZ, in dem das Lob der sächsischen Weißweine mit folgenden durchaus beschwingten Worten gesungen wurde: "Manche Tröpfchen kommen so federleicht daher, als verleihten sie Flügel." Vermutlich geht es einem nach dem Genuss dieser Tröpfchen wie dem Dichter Eichendorff weiland in der berühmten Mondnacht: "Und meine Seele spannte / weit ihre Flügel aus, / flog durch die stillen Lande, / als fliegte sie nach Haus."

Im Streiflicht ging es dieser Tage um die Dimension des Menschen, genauer gesagt um seine äußere Abmessung. Der Autor begann den Text, wie sich das gehört, mit den Kindern, die man gern mit dem Erwachsenwerden traktiere: "Dann müsst ihr euch auf die Hinterbeine stellen und euch nach der Decke strecken" und so Sachen. Offenkundig war damit gemeint, dass die Kleinen sich nach dem Plafond zu strecken hätten, also in die Höhe, während doch die Redensart "sich nach der Decke strecken" das Gegenteil zum Inhalt hat: Wenn die Bettdecke zu kurz ist, muss man sich darunter so einrichten, dass die Füße nicht hinausragen, sondern fein warm bleiben. Wie zu fast allem, gibt es auch hierzu ein Goethe-Zitat: "Wer sich nicht nach der Decke streckt, / dem bleiben die Füße unbedeckt." Wie es aussieht, ist unser Streiflichtmann in einem Haushalt aufgewachsen, wo man sich hinlänglich lange Plumeaus leisten konnte. Schön für ihn, auch wenn dies eine Einbuße an Lebenserfahrung bedeutet."

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