Jahreswechsel:Heynen über Ja-Sager: "Fehler in unserer Gesellschaft"

Bromberg (dpa) - Volleyball-Bundestrainer Vital Heynen hat in Polen nur kurz Bekanntschaft mit der WM-Bronzemedaille gemacht. "Meine Tochter hat sie mir abgenommen, ich habe sie nicht", erzählte der Belgier im Interview der Deutschen Presse-Agentur schmunzelnd.

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Bromberg (dpa) - Volleyball-Bundestrainer Vital Heynen hat in Polen nur kurz Bekanntschaft mit der WM-Bronzemedaille gemacht. "Meine Tochter hat sie mir abgenommen, ich habe sie nicht", erzählte der Belgier im Interview der Deutschen Presse-Agentur schmunzelnd.

Mit dem gebotenen Ernst sprach Heynen dann über Ja-Sager in unserer Gesellschaft, Monotonie und Doping.

Herr Heynen, Sie haben etwas Historisches geschafft und mit den deutschen Volleyballern erstmals seit 44 Jahren wieder eine WM-Medaille geholt. Sind sie sich darüber mittlerweile im Klaren?

Vital Heynen:Erst jetzt fange ich an, die WM zu verarbeiten. Man spürt wie viel Energie man da reingesteckt hat. Die WM hat viel mehr Kraft gekostet, als ich gedacht hatte. Die erste Woche nach der WM war ganz schwierig, weil man so einen Fokus auf das Turnier gelegt hatte. Man hat sieben, acht Monate darauf hingearbeitet. Man merkt dann erst, wie viel Energie die WM wirklich gekostet hat. Wir hatten schon im Januar gesagt, dass wir eine Medaille wollen, und damit haben wir uns natürlich selbst auch unter einen gewissen Druck gesetzt. Das brauchst du aber auch, um große Ziele zu erreichen.

Hat die Bronze-Medaille einen besonderen Platz bei Ihnen?

Heynen:Meine Tochter hat sie mir abgenommen, ich habe sie nicht (lacht). Die Kleine hat sie in Beschlag genommen, ich hatte die Medaille vielleicht mal zwei Minuten in Händen.

Hat sich durch die Medaille Ihr Ansehen, zum Beispiel auch bei ihrem Verein Transfer Bromberg, gesteigert?

Heynen:Absolut. Das spüre ich am meisten, wenn ich etwas sage. Denn dann habe ich immer recht (lacht). Du siehst teilweise in den Augen der Leute, dass sie denken, du seist im Unrecht. Aber sie haben Angst, Nein zu sagen. Das ist nicht schön, aber mit meinen Spielern mache ich da manchmal Späße. Ich spüre bei ihnen manchmal, dass sie sich nicht trauen, Widerworte zu leisten. Ich muss daher immer eine zweite Meinung hinzuziehen. Meine Frau gehört zu den wenigen Leuten, die da nicht mitmachen (lacht).

Nur Ja-Sager um sich herum zu haben, kann trügerisch sein.

Heynen:Das ist gefährlich. Ich lache ab und zu darüber, aber es ist nicht zu lachen. Das ist ein Fehler in unserer Gesellschaft, dass manche Leute die Klappe halten, nur weil sie jemandem gegenüberstehen, der etwas erreicht hat. Ich bin aber noch nicht am Ende, ich mache weiter meine Fehler. Manchmal muss ich regelrecht den Mund halten, weil die Spieler sonst meinen, ich hätte immer recht.

Befürchten Sie, dass auch im Nationalteam zu viele Spieler vorschnell zu allem Ja und Amen sagen?

Heynen:Ich habe absolut das Gefühl, dass genügend Spieler kein Problem damit haben mir zu sagen, was sie wollen und woran sie denken. Da gibt es eine große Offenheit.

Welche Ziele haben Sie für die kommende Saison mit Ihrem Team?

Heynen:Man sollte nicht zweimal das gleiche Ziel haben. Noch einmal Bronze kann nicht das Ziel sein. Die Mannschaft soll über das Ziel entscheiden. Wenn man Bronze bei einer WM geholt hat, kann man nicht das Ziel Bronze auf eine EM übertragen. Das ist nicht die Herausforderung, die ich hören will. Manchmal muss ich das Ziel forcieren, so wie jetzt bei der WM. Diesmal ist aber die Mannschaft an der Reihe. Sie weiß, dass die Ziele nicht zu niedrig sein dürfen.

Muss sich der erfolgreiche WM-Kader mit Blick auf Olympia in Rio de Janeiro 2016 verändern?

Heynen:Ich mag es nicht, mich zu wiederholen. Das gilt für jeden Bereich. Es wäre überraschend, wenn sich nicht etwas ändern würde. Wenn man WM-Bronze holt, muss man aber auch nicht alles ändern.

Wie hart trifft Sie die Ein-Jahres-Sperre gegen Mittelblocker Philipp Collin wegen Verstoßes gegen Anti-Doping-Regeln?

Heynen:Jeder weiß, dass er nichts falsch gemacht hat. Er war nur dreimal nicht an dem Platz, wo er hätte sein müssen. Er ist einfach schlecht organisiert. Wenn man doch sicher weiß, dass jemand bewusst nichts falsch gemacht hat, wozu muss es dann eine Sperre von einem Jahr geben? Warum nicht eine Sperre von sechs Wochen auf Bewährung? Jemanden ein Jahr aus dem Verkehr zu ziehen, ist eine viel zu schwere Strafe. Das ist schade für einen 24 Jahre alten Jungen. Es war sein Fehler, ich will ihn da nicht zu sehr in Schutz nehmen. Aber am Ende bleibt eine zu harte Strafe für jemanden, der nichts mit Doping zu tun hat. Diese Strafe wird ihm auch nicht helfen. Für jemanden, der schlecht organisiert ist und danach ein Jahr nirgendwo organisiert leben darf, macht das die Sache nur noch schlimmer.

Wie haben Sie auf die Änderung des Qualifikationsmodus für Olympia reagiert, wonach Europa als leistungsstärkster Kontinent deutlich weniger Startplätze als noch für London 2012 erhält?

Heynen:Für den Weltverband ist Europa nicht wichtig. Die Qualifikation für Rio im Januar 2016 wird daher wahnsinnig schwierig. Das hört sich vielleicht weit weg an, ist es aber nicht. Dafür braucht man ungefähr die gleiche Gruppe. Das muss unser Vorteil sein, dass eine Mannschaft mit demselben Trainer über zwei, drei Jahre zusammengearbeitet hat und jeder sich kennt. Das wird eine schöne Herausforderung werden.

ZUR PERSON: Vital Heynen (45) ist seit Februar 2012 Nationaltrainer, seit Dezember 2013 auch Vereinscoach bei Transfer Bromberg in Polen. Der Belgier feierte in diesem Jahr mit WM-Bronze den größten Erfolg seiner Trainerkarriere. Heynen ist verheiratet und hat drei Kinder.

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