Hamburg (dpa) - „Daten sind das neue Öl“, dieser Satz fällt immer wieder, wenn es um das Thema Big Data geht. Und in der Tat: Um den Kunden besser zu verstehen und konkurrenzfähig zu bleiben, setzen Unternehmen zunehmend auf das Sammeln, Verknüpfen und Auswerten mitunter persönlicher und sensibler Daten.
Doch was bedeutet das für den Verbraucher? Auf dem Hackerkongress „Chaos Communication Congress“ in Hamburg warnen Aktivisten vor einem massiven Ausspähen der „gläsernen Kunden“.
„Während wir immer transparenter werden, wird der Umgang der Unternehmen mit unseren Daten immer undurchsichtiger“, kritisiert der österreichische Datenexperte Wolfie Christl, der gemeinsam mit der Wiener Wissenschaftlerin Sarah Spiekermann im Oktober das Buch „Networks of Control“ zu dem Thema veröffentlicht hat.
„Via Smartphone oder Webbrowser kann ein konstanter Datenstrom über unser Leben oder unser Nutzungsverhalten an Dritte weitergegeben werden.“ Auf Basis solcher Informationen über unser Leben werde personalisierte Werbung angeboten. Es könnten aber auch diskriminierende Entscheidungen über Kunden gefällt werden, von der Kreditwürdigkeit bis hin zur Wartedauer in einer Hotline.
„Ein Großteil der Bürger versteht überhaupt nicht, welche Auswirkungen es hat, wenn er Daten hinterlässt - dass sie gespeichert und möglicherweise weiterverkauft werden“, sagt auch Netzaktivist Markus Beckedahl. Er fordert einen „klaren Schutz vor dem Erstellen eindeutiger Profile“. Und: Es müsse etwas getan werden „gegen die schwarzen Schafe, die in dem Big-Data-Goldrausch all unsere Daten anhäufen, um damit Geschäfte zu machen“.
Nach Ansicht vieler Experten sind Unternehmen, die datenbasiert arbeiten, besonders erfolgreich. Dabei muss es nicht immer um sensible Informationen gehen. Eine Anfang Dezember veröffentlichte Studie der Unternehmensberatung McKinsey kam zu dem Ergebnis, „dass das wirtschaftliche Potenzial durch die Nutzung großer Datenmengen noch lange nicht ausgeschöpft ist“. Demnach werden Lösungen auf Basis von Big Data derzeit von Unternehmen aktuell nur zu rund 30 Prozent realisiert.
„Weltweit verdoppelt sich die Menge verfügbarer Daten alle drei Jahre“, erklärte Analytics-Experte Peter Breuer von McKinsey anlässlich der Studie. Digitale Plattformen, vernetzte Sensoren und Milliarden von Smartphones generierten kontinuierlich neue Informationen. Gleichzeitig seien die Kosten für Datenspeicherung stetig gesunken und die Auswertungsmöglichkeiten durch immer leistungsfähigere Computer gewachsen. „Unternehmen, die Daten und Datenanalyse nutzen, um Probleme zu lösen, haben schon heute einen enormen Wettbewerbsvorteil. Sie gestalten ihre Prozesse effizienter und verstehen die Kunden besser.“ Firmen, die nicht aus der „digitalen Welt“ kommen, sollten diese Fähigkeiten schnell aufbauen, um nicht abgehängt zu werden, so Breuer.
Und der frühere Google-Manager Douglas Clark Merrill, dessen Firma ZestFinance.com auf Basis von Big Data Kreditwürdigkeit prüft, erklärte bereits vor einigen Jahren: Alle Daten sind Kreditdaten, wir wissen nur noch nicht, wie wir sie einsetzen werden.
In einer Studie von Datenexperte Christl werden konkrete Beispiele für die Nutzung von Big Data genannt: So konnte die US-Supermarktkette Target aus einer Analyse des Einkaufsverhaltens schwangere Frauen identifizieren und sogar deren Geburtstermine hochrechnen. Anhand von Facebook-Likes lässt sich mit hoher Zuverlässigkeit auf persönliche Eigenschaften wie Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, ethnische Zugehörigkeit, politische Einstellung, Beziehungsstatus oder Alkoholkonsum schließen.
Sogar die Tastatur gibt Informationen preis: Emotionen wie Zuversicht, Unschlüssigkeit, Nervosität oder Trauer liessen sich relativ zuverlässig aus der Analyse von Rhythmus und Dynamik des Tippens erkennen, heißt es.
Vergangene GPS-Standorte geben demnach Aufschluss über künftige Aufenthaltsorte. „Wenn die Bewegungsprofile von Bekannten einbezogen werden, sind diese Vorhersagen besonders zuverlässig“, erklärt Christl. Und: Aus einer Analyse der Verbindungen auf sozialen Netzwerken lasse sich nicht nur abschätzen, wer davon in einer romantischen Beziehung ist, sondern auch die Wahrscheinlichkeit einer Trennung innerhalb der nächsten zwei Monate.
Aber wie kann sich der Einzelne besser vor einem Ausspähen schützen? „Das ist kein persönliches Problem. Wir müssen in der Gesellschaft eine Lösung dafür finden“, erklärt Christl. „Das Vorgehen der Firmen muss nachvollziehbarer, die Algorithmen der Unternehmen müssen transparenter werden.“ Er setzt auf die Europäische Datenschutzgrundverordnung, die 2018 in Kraft tritt. „Ich hoffe, dass sich dann einiges verbessert. Aber ich fürchte, es wird nicht ausreichen.“ Und, ganz wichtig: Wir dürfen nicht zynisch werden und den Kopf in den Sand stecken.