Erstaunlicherweise haben aber gerade die historischen Häuser den Sturm am besten überstanden. Manche Besitzer nahmen den Sturm gar zum Anlass, ihre Anwesen nach Original-Bauplänen wiederherzustellen. Das White House Hotel etwa stand jahrzehntelang leer. Erst 2007 hat das hochherrschaftliche Gebäude mit seinen weißen Säulen und Balkonen wieder eröffnet, nun knüpft es an die Geschichte des ersten Luxushotels vor Ort an und bringt mit Palmen-Park, Swimmingpool und eigenem Badesteg einen Hauch von Riviera nach Biloxi.
Mit der alten Architektur scheint eine gewisse Beschaulichkeit einherzugehen. Eine Form von frommem Stoizismus, wie es sie nur im tiefen Süden gibt: "Von unserer Töpferei fanden wir nur noch ein paar bunte Scherben", erinnert sich Jim Anderson. "Aber jeder Mensch hat nun mal seine Aufgabe. Was blieb uns also übrig, als die Arbeit wieder aufzunehmen?" Der weißhaarige Mann dreht routiniert an einer Töpferscheibe. Aus dem Fenster der wiederaufgebauten Werkstatt geht der Blick auf den Hafen von Ocean Springs. Dass das verträumte, von Eichen-Alleen, hölzernen Cottages und bonbonfarbenen Boutiquen geprägte Küstenstädtchen als Refugium für Künstler und Bohemiens gilt, hat auch mit Andersons Familie zu tun. Alle sind sie Töpfer und Maler gewesen.
Ein ganzes Museum ist Jims exzentrischem, auf Bäumen lebendem Großonkel gewidmet: das Walter Anderson Museum. Dank seiner Hügellage blieb es wie der historische Kern von Ocean Springs vom Hochwasser verschont: Der Besuch lohnt sich schon wegen der Wandgemälde. "Man's harmony with nature" heißt das größte. "Viele Bürger wollten die angeblichen Schmierereien im ehemaligen Gemeindesaal am liebsten übertünchen lassen", sagt Jim, "bis die Stadt das Haus 1994 zum Museum erklärte. Katrina hat Pete letztlich recht gegeben. Wir müssen die Umwelt respektieren." Heute lockt das Haus Kunstliebhaber nach Ocean Springs - und neugierige Besucher in den Töpferladen von Pete Andersons Enkel.
Wie aber sieht es am einstigen Zentrum des Hurrikans aus? Dort, wo Katrina in Form einer bis zu neun Meter hohen Wasserwand auf das Festland traf? Wer die Meeresbucht nahe der Grenze zwischen Mississippi und Louisiana überquert, dem leuchten erst mal weiße Yachten und aus Naturstein gebaute Hafenmauern entgegen - erst seit 2007 hat Bay St. Louis, eine Kleinstadt mit 10 000 Einwohnern und traditionell die Sommerfrische für betuchte Einwohner von New Orleans, überhaupt einen eigenen Hafen.
Als Nächstes fallen einem diese merkwürdigen Bäume auf: Engelskulpturen. Aus abgestorbenen Eichenstümpfen heraus wachsen Tiere und Geistwesen. "Niemand hat das offiziell beauftragt", erklärt Sally Dicharry, Betreiberin des historischen Aunt Dot's Bed & Breakfast am Hafen. "Aber nach Katrina kamen hier einige Künstler mit der Motorsäge angereist, um dem Ganzen einen Sinn zu geben. Und uns ein paar Schutzengel zu hinterlassen." Im Geäst einer der Eichen hätten sich ihre Nachbarn eine Nacht lang festgeklammert, nachdem ihr Haus vom Sturm weggerissen wurde. "Da war Gottes Hand im Spiel!"
Es ist nicht die einzige Wiederauferstehungsgeschichte von Bay St. Louis. Quert man die Gleise hinter dem historischen Bahnhofsgebäude, hört man aus einer Halle gedämpfte Bluesmusik: "100 Men Hall - Mississippi Blues Trail" verkündet eine Bronzeplakette an dem weit ausladenden Holzschuppen. "Dieses Gebäude war nach Katrina so beschädigt, dass bereits der Abriss beschlossen war", erzählt Jesse Loya, der zusammen mit seiner Frau, der Bluessängerin Kerry Loya im ehemaligen Küchentrakt der Blueshall wohnt. "Aber wie kann man eine Bühne, in der schon Joe Tex, Little Richard, Etta James, B. B. King und James Brown gespielt haben, einfach verschwinden lassen? Solche Orte gibt es doch heute kaum noch."
Loya, selbst Gitarrist einer Bluesband, sperrt die großen Flügeltüren auf: Es riecht etwas modrig. Alte Konzert-Pappen schmücken eine Wand. Ansonsten wirken Tische, Stühle, Bar und Bühne wie anno 1894, als die örtliche afroamerikanische "100 Man Society" hier den ersten von vielen rauschenden Blues-Bällen feierte. Das aus Kalifornien stammende Ehepaar Loya kaufte die zuletzt für Bingo-Veranstaltungen genutzte Halle und richtete sie drei Jahre lang nach Originalvorlagen her. "Als wir die ersten Konzerte veranstalteten, blieb das Publikum aus - und wir waren verzweifelt." Das änderte sich erst 2011, als die Halle offiziell als "Living Blues Monument" ausgezeichnet wurde. Seitdem kommen Besucher aus aller Welt, tanzt man wieder den Blues in Bay St. Louis. "Der Blues hier war noch nie Trauermusik", erklärt Jesse Loya, "sondern die Feier des nackten Lebens gegen alle Widrigkeiten. Seit Katrina kennen wir das alle."
Anreise: Täglich von München nach New Orleans hin und zurück mit Air France, ab 770 Euro; www.airfrance.de
Unterkunft: White House Hotel, 1230 Beach Blvd, Biloxi, MS 39530, zwei Personen im DZ ab 130 Euro pro Nacht, www.whitehousebiloxi.com
Aunt Dot's Bed and Breakfast, 222 North Beach Blvd. Bay St. Louis, MS 39520, DZ für zwei Personen ab 55 Euro pro Nacht, www.auntdotsbandb.com
Weitere Auskünfte: Mississippi Gulf Coast Regional Convention & Visitors Bureau, www.gulfcoast.org, Ocean Springs: www.oceanspringschamber.com, Bay St. Louis: www.mswestcoast.org