Es war ein ganz normaler Flug der Air Berlin von Palma de Mallorca nach München am 5. Mai - ganz normal bis kurz vor der Landung, als die Crew "Pan, Pan" funkt. Diese Dringlichkeitsmeldung kommt gleich nach der Notmeldung "Mayday" und bedeutet, das Flugzeug ist in Gefahr, aber nicht akut absturzgefährdet.
Der Grund für den Notruf waren allerdings weder Unwetter noch technische Defekte. Die Piloten waren schlicht zu müde zum Landen und baten darum, das dem Autopiloten überlassen zu dürfen. Der voll funktionstüchtige Autopilot übernahm, die Maschine setzte sicher auf, der Vorfall wird untersucht.
Nun werden kritische Stimmen laut, der Notruf sei eine politische Aktion im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen gewesen und keine Notwendigkeit. Piloten betonen hingegen, dass es nicht abwegig sei, wenn die Landebahn vor lauter Müdigkeit vor den Augen verschwimme. Ein solch gefährlicher Erschöpfungszustand wie bei der Air-Berlin-Crew könne bei jeder Fluggesellschaft vorkommen, sagt Jörg Handwerg von der Pilotenvereinigung Cockpit. Diese hat eine Umfrage veröffentlicht, nach der 36 Prozent der Flugkapitäne schon mal unfreiwillig an Bord eingenickt seien.
Brisant war der Vorfall in München nicht nur für die Passagiere des Fluges AB-9721. Es war offenbar das erste Mal, dass explizit wegen Übermüdung ein Notruf abgesetzt wurde, nachdem die Piloten zehn Stunden im Dienst waren, wie der NDR berichtet. Damit waren die Piloten noch im Rahmen der offiziell genehmigten Dienstzeit - die EASA (Europäische Agentur für Flugsicherheit) sieht 14 Stunden als Obergrenze bei Kurzflügen, bei Nachtflügen elf Stunden. In den USA hingegen wurde Anfang des Jahres wegen Unfällen nach Übermüdung die Grenze auf neun Stunden in der Nacht gesenkt.
Die Belastung ist hoch. Piloten leisten Schichtdienste, fliegen nachts und über die Zeitzonen hinweg, so dass sie oftmals gegen ihre innere Uhr arbeiten. Derzeit kämpfen sie wieder verstärkt für bessere Bedingungen. Denn die EASA will die Flugdienstzeiten in Europa zwar überarbeiten, aber nicht im Sinne der Piloten. "Uns geht es nicht um weniger Arbeitsstunden, sondern um eine andere Verteilung und damit um mehr Sicherheit. Dafür würden wir auch auf Freizeit daheim verzichten, wenn unsere Flugzeiten nicht mehr aus Kostengründen dicht auf dicht folgen", erklärt Handwerg. Er wirft der EASA vor, die wirtschaftlichen Interessen der Airlines höher zu bewerten als die Sicherheit von Besatzung und Passagieren.
Seit 2008 sind die Flugdienstzeiten in Europa einheitlich geregelt. Einzelne Staaten dürfen aber strengere Regelungen anwenden. Großbritannien hat diese Chance ergriffen und schreibt zum Beispiel vor, dass sich die Dienstdauer von Kurzstrecken-Piloten pro anstrengendem Start um eine Dreiviertelstunde verkürzt.
Für die Neuregelung der Flugdienstzeiten hatte die EASA 2009 eine Untersuchung durch Wissenschaftler in Auftrag gegeben. Dieser Moebus-Report sprach jedoch auch für kürzere und anders verteilte Dienstzeiten, das Fliegen gegen die innere Uhr müsse bei der Planung von Ruhezeiten berücksichtigt werden. Schließlich, so die Wissenschaftler, steige das Unfallrisiko bei einer Dienstzeit von zehn bis zwölf Stunden um das 1,7-fache, bei 13 Stunden und noch länger sogar auf das fünfeinhalbfache. Daher sollten die Crews bei Nachtflügen nicht länger als zehn Stunden aktiv sein, bei Tagflügen auf keinen Fall länger als 13 Stunden.
Doch die wissenschaftlichen Erkenntnisse flossen bislang nur geringfügig in den EASA-Entwurf zur Neuregelung der Flugdienste ein, kritisiert die Vereinigung Cockpit. Sie hat auch wenig Hoffnung, dass sich daran noch etwas ändert, bevor die EASA den Gesetzestext der EU-Kommission vorlegt. "Schließlich wurde unsere Kritik schon früher nicht berücksichtigt", sagt Handwerg. Daher sammelt Cockpit auf der Seite flugdienstzeiten.de weiterhin Unterstützerstimmen, knapp 43.000 haben sich bereits eingetragen.
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"Von außen mag es so wirken, als ob Piloten oft zu Hause wären. Was die Leute aber nicht sehen, ist die enorme Verdichtung und Länge der Arbeitszeit", betont Jörg Handwerg, der selbst Pilot ist. Auch das Fliegen an sich habe sich verändert: "Während eine Gesellschaft früher zweimal in der Woche nach Los Angeles geflogen ist und die Crew so automatisch lange Ruhephasen bis zum Rückflug hatte, starten nun zwei Maschinen am Tag nach L.A."
Zwar hätten die Piloten nach Schichtende zehn Stunden Ruhezeit, "aber die beginnt, wenn man das Flugzeug verlässt. Dann muss man zum Hotel kommen, noch was essen - und eventuell genau dann Schlaf finden, wenn es nach der inneren Uhr eigentlich Tag ist". Nach dieser wenig erholsamen Pause müssten die Piloten dann zurückfliegen, wenn für sie eigentlich Nacht wäre.
Um den Biorhythmus zu beachten, müsste die Airline mehr Crews mitschicken und hätte höhere Hotelkosten, "die Gesellschaften klagen da über zehn Prozent höhere Personalkosten pro Flug, das könnten sie aber durch einen 0,5 Prozent höheren Ticketpreis ausgleichen, das wären nur ein paar Euro". Passagiere, die am Flughafen 2,50 Euro für eine kleine Flasche Wasser zahlten, investierten diesen Betrag sicher auch in größere Sicherheit, ist Handwerg überzeugt.
Zwar gelten bei den großen deutschen Airlines derzeit oft bessere Bedingungen als europaweit gesetzlich vorgesehen. So sind etwa statt zehn Stunden Ruhezeit vom Verlassen des Flugzeugs bis eine Stunde vor dem nächsten Abflug insgesamt zwölf Stunden vorgesehen, aber nur aufgrund des Tarifvertrags. "Der sorgt derzeit noch für mehr Flugsicherheit als das Gesetz", erklärt Handwerg.
Er fürchtet, dass die Arbeitgeber die Verträge anpassen wollen, weil kleinere oder neue Gesellschaften außerhalb des Tarifs zwar im Rahmen des Gesetzes fliegen, wegen der schlechteren Bedingungen für die Crews aber günstiger sind. "Wenn da etwas Unvorhergesehenes passiert, das volle Konzentration von übermüdeten Piloten erfordert, dann möchte ich da nicht drinsitzen", sagt der Gewerkschafter. Und hofft auf die Politiker, dass diese die Neufassung des Flugdienstzeitengesetzes so nicht akzeptieren.