Trendsportart Freeriden:Meister der großen Sprünge

Lesezeit: 3 min

Freeriden findet eine immer größer werdende Anhängerschar. Die Industrie richtet sich darauf ein und bietet die passende Ausrüstung an.

Thomas Becker

Den ersten Ispo-Stau erlebte der Besucher gleich in der Halle A1. Zwischen Snowboards und knatschbunten Klamotten stand eine stark geschminkte, dafür aber umso spärlicher bekleidete Bademodenschönheit am Stand und schrieb Autogramme. Wer sich nicht gerade brennend für ihr Geschriebenes interessierte, wollte zumindest ein paar Blicke auf den neuen Bikini-Trend werfen, und so bildete sich flott ein veritabler Rückstau.

Freeriden - das Gefühl von Freiheit und Abenteuer steckt schon im Namen. (Foto: Foto: Silvretta-Montafon)

Davon abgesehen zog es jedoch die meisten Interessenten in die Halle A3. Diese hieß heuer erstmals Freeride-Halle - ein letzter Beweis für den stärksten Trend des Winters: Freeriden. Das Gefühl von Freiheit und Abenteuer steckt schon im Namen. Und wer möchte das nicht: frei sein und wilde Ritte veranstalten?

Freeriden ist nicht wirklich neu, keine grundlegende Innovation wie einst Snowboarden oder Windsurfen. Früher hieß Freeriden Varianten- oder Off-Piste- oder auch Extremskifahren, und wenn man es ganz genau nimmt, waren schon die ersten Brettlrutscher Freerider: Skifahrer abseits präparierter, glatt gebügelter Pisten. Seit ein paar Jahren gehen immer mehr Wintersportler ins sogenannte Backcountry, fliehen vor dem ameisengleichen Getümmel, raus aus dem blaurotschwarzen Diktat, rein in die Freiheit, die Individualität jenseits des abgesteckten Bereichs.

Drang zur Freiheit

Doch auch so einigen Problemen und Gefahren begegnet man dort: Stichworte Naturschutz und Lawinengefahr. Nach starken Schneefällen sind die Zeitungen voll mit den immer gleichen Meldungen über verschüttete Skifahrer und Snowboarder, die abseits der Pisten Lawinen oder Schneebretter ausgelöst haben. Und dennoch ist der Drang zur Freiheit nicht nur ungebrochen, er wird sogar immer größer.

Das Freeriden ist auf dem Weg, zu einer Massenbewegung zu werden, vergleichbar mit seinem Outdoor-Bruder, dem Tourengehen. Am Hausberg in Garmisch-Partenkirchen marschieren jeden Dienstag- und Donnerstagabend mehrere Hundert Tourengeher die Piste hinauf, um oben im Restaurant "Drehmöser" zünftig Party zu feiern und in der Nacht wieder fröhlich talwärts zu carven - was den örtlichen Pistenchef jedoch nur mäßig begeistert. Auch das Freeriden hat sich zum Jedermann-Sport entwickelt, nicht zuletzt wegen der ständig verbesserten und auf die neuen Bedürfnisse zugeschnittene Ausrüstung.

Ging man früher zum Beispiel mit den herkömmlichen Pistenskiern auf Tiefschneejagd, so stehen heute die Regale der Sportgeschäfte voll mit extrabreiten Rockern, Freeride- und All-Mountain-Skiern, die mit den noch vor 15 Jahren üblichen Slalom- oder Riesenslalom-Latten nichts mehr gemein haben. Doch selbst die überbreiten, eher an Wasserski erinnernden sogenannten Rocker kann man mittlerweile auch mit Genuss auf eisigen Pisten fahren.

Befeuert wird die Begeisterung für die freie Fahrt durch die spektakulären Bilder der Extremskifahrer und -snowboarder: kleine, bunte Punkte inmitten eines riesigen, brutal steilen Bergmassivs, umgeben von Tiefschnee und jeder Menge Felsen, die die Frauen und Männer entweder elegant umkurven oder als Sprungschanze nutzen, gerne auch mal für Rückwärtssalti mit zum Teil bedenklich hohem Luftstand. Was nach gesundheitsgefährdendem Wahnsinn aussieht, hat durchaus Methode. Die weltbesten Athleten sind zwar sehr coole Kerle, aber keine Verrückten, sondern sehr auf ihr körperliches Wohl bedacht.

Keine Sicht, kein Wettkampf

Zum Teil stundenlang studieren sie die avisierte Strecke, das Face genannte Gesicht des Bergs, steigen mit Ski oder Board auf dem Rücken zum Start hinauf - und haben dann ihre Route exakt im Kopf. Höchste Punktzahlen verteilen die Punktrichter, wenn die Route gut gewählt wird und die Sprünge sicher gestanden werden - kein Platz für Hasardeure. Zudem findet ein Wettkampf nur bei perfekten Bedingungen statt. Sind diese nicht gegeben oder ist die Sicht nicht ausreichend, wird abgesagt - so geschehen Ende Januar im Kaukasus nahe Sotschi, wo die Freeride World Tour Station machte. Eine Woche später in Chamonix sah es besser aus, und schon gingen die spektakulären Bilder und Videos wieder um die Welt.

Seit einigen Jahren schon kürt die Freeride World Tour auf vier Stopps ihre besten Skifahrer und Snowboarder; eine ähnliche Wettkampfserie findet in Nordamerika statt. Die wenigen Startplätze sind begehrt: Bei den Qualifikationswettbewerben treten zuweilen mehr als hundert Freerider gegeneinander an. Einer der ersten Wettbewerbe war "Xtrem Verbier", wo die Sportler das wohl anspruchsvollste Stück der Schweizer Berge unter die Bretter nehmen: Bec des Rosses.

Nicht nur die Coverboys

Freerider geben mittlerweile nicht nur die Coverboys für Sponsoren-Kampagnen ab (der Schwede Kaj Zackrisson ist das Gesicht der neuen Swatch-Kollektion), sie sind auch Imageträger so mancher Skigebiete: Neben Chamonix und Verbier gelten Andermatt oder der Arlberg, aber auch ansonsten eher unbekannte Orte wie La Grave und Alagna als Treffpunkte der bunten Draufgängerschar. In Deutschland lockt das Dammkar bei Mittenwald mit unpräparierten Hängen und einer per Internet bestellbaren Nachricht im Falle von Neuschnee - dann gibt es Powder-Alarm. An Verschüttetensuchgerät, Schaufel und Lawinensonde muss man allerdings schon selbst denken.

© SZ vom 18.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: