Tourismus:Schon wieder Vollbremsung

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Eigentlich überflüssiges Schild vor einem Becken ohne Wasser im Mineralbad Leuze in Stuttgart. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Die Corona-Pandemie stellt Reiseveranstalter und Hoteliers auf eine harte Probe. Dennoch könnte die Krise Innovationen beschleunigen.

Von Hans Gasser

Ein bisschen blauer Himmel war dann doch. Nachdem sich die Wolken des ersten Lockdowns einigermaßen verzogen hatten, schöpften Hoteliers, Campingplatzbetreiber und Reiseveranstalter zwischen Berchtesgaden und Zingst wieder Hoffnung. Sie wurde belohnt. Die Deutschen blieben im Sommer vermehrt im eigenen Land, das schon bisher mit etwa einem Drittel aller Urlaubsreisen das beliebteste Ziel war. In den Bergen und an den Ostseestränden ging es zu wie noch nie, manche Tagesausflugsziele wie der Walchensee wurden förmlich überrannt von Frischluft und Natur suchenden Städtern.

Doch all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Pandemie zur größten Krise im Tourismus geführt hat, die die Welt - und Deutschland - seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erlebt haben. Die Zahlen sprechen für sich: Vom Jahresbeginn bis zum 6. September zählte die Deutsche Flugsicherung (DFS) knapp 1,1 Millionen Flüge über Deutschland, das waren 54 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Die deutsche Reisewirtschaft, also Reiseveranstalter und Reisebüros, verzeichnen bis zum Jahresende einen Verlust von 28 Milliarden Euro, so beziffert es der Deutsche Reiseverband (DRV); das entspreche einem Umsatzverlust von 80 Prozent. Da ist der aktuelle, zweite Lockdown noch gar nicht eingerechnet.

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Trotz Kurzarbeit und Überbrückungsgeldern sind vor allem kleine und mittlere Veranstalter und Hoteliers der Verzweiflung nahe. Denn so sehr sie sich auch an alle Auflagen gehalten, Hygienekonzepte umgesetzt und dadurch kaum zum Wiederaufflammen der Pandemie beigetragen haben - jetzt stehen sie wieder bei Null. Ihr Geschäftsmodell, das darauf beruht, Menschen eine schöne Zeit in einem anderen Land oder zumindest in einem anderen Umfeld zu verkaufen, wird torpediert von ständig wechselnden Regeln, Geboten, Verboten und also einer großen Unsicherheit in der Planung und bei den Reisenden.

Und dennoch gebe es berechtigten Grund zur Hoffnung, sagt Ulf Sonntag, der bei der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) das Reiseverhalten der Deutschen analysiert. "Optimistisch stimmen zwei Dinge: Zum einen hat die Reisebranche, die ein etwas verstaubtes Image besitzt, schnell, flexibel und gemeinsam auf die Herausforderungen reagiert."

Die Reiselust der Deutschen ist ähnlich groß wie vor der Pandemie

Zum zweiten zeigten Umfragen der FUR, die jüngste vom September, dass die Reiselust in der Bevölkerung trotz allem ähnlich hoch wie vor Corona sei: Im Herbst und Winter wollen demnach 42 Prozent sicher verreisen, 31 Prozent sind noch nicht sicher. 53 Prozent gaben an, jetzt schon Lust auf Urlaub im nächsten Jahr zu haben. "Die Deutschen sind da pragmatisch: Sie machen alles, was wieder möglich und erlaubt ist - mit klarem Risikobewusstsein", sagt Sonntag. Das zeigte sich eindrücklich, als im Sommer plötzlich wieder erste Pauschalreisen nach Mallorca angeboten wurden: Sie waren in kürzester Zeit verkauft, die Nachfrage hielt bis zur Reisewarnung für die Balearen an.

Also alles wie gehabt, sobald die Bedrohung geringer wird? Oder führt die Krise auch zu Innovation und positiver Veränderung einer nicht unumstrittenen Branche?

Es gebe Anzeichen dafür, sagt Sonntag, vor allem beim Thema Nachhaltigkeit. "Mein Eindruck ist, dass viele Anbieter das jetzt nicht mehr zum Greenwashing nutzen, sondern dass sie es wirklich machen wollen." Die Kunden seien bereit, engagierten sich aber nicht von alleine, es brauche den Anschub durch Hoteliers und Veranstalter.

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So hat etwa der deutsche Studienreiseveranstalter Studiosus auf seiner Jahrespressekonferenz im Oktober zwei auf den ersten Blick gegensätzliche Dinge verkündet: Man verzeichne 2020 einen Umsatzverlust von 90 Prozent, hieß es. Und dann: Man werde künftig bei jeder Reise alle Treibhausgase, die vom Flug bis zum Hotel entstehen, durch Investitionen in Klimaschutzprojekte kompensieren. "Die Klimakrise ist nicht aus der Welt", sagt Studiosus-Sprecher Frano Ilic, die Menschen fragten in der Krise immer stärker nach dem Sinn und Zweck ihrer Reisen. "Deshalb werden sich nachhaltige Reiseangebote durchsetzen." Man muss hinzufügen: Sofern die kleinen und mittleren Veranstalter, die etwa im sozial und umweltmäßig nachhaltigen Verband "Forum Anders Reisen" zusammengeschlossen sind, die Krise überleben.

Ein weiteres Moment der Innovation durch die Krise sieht Forscher Sonntag bei der Digitalisierung: So habe die Online-Buchbarkeit etwa von Restaurants in Deutschland zugenommen, digitale Systeme zur Besucherlenkung kämen ebenfalls voran. So sei aus einer aus der Not geborenen Whatsapp-Gruppe von Strandkorbvermietern im Laufe des Sommers eine "Strandampel" entstanden, die potenziellen Besuchern zuverlässig die Belegung von Stränden in der Lübecker Bucht anzeige. "Solche Dinge werden bleiben und sich weiterentwickeln."

© SZ vom 06.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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