Toulouse:Im bunten Süden

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Lichterfeste gibt es viele in Frankreich. Toulouse hat in diesem Winter ein besonders exotisches zu bieten.

Von Stephanie Albinger, Toulouse

Ein Pain au Chocolat bitte! Was man dann für gewöhnlich in französischen Boulangerien bekommt, ist ein absolutes Traditionsgebäck. Doch wehe dem, der in Toulouse ein solches bestellt. Denn das Pain au Chocolat heißt hier Chocolatine. Auch wenn bei deren Anblick kein Unterschied ins Auge fällt, beschwören die Toulousains die Einzigartigkeit in der Rezeptur - und bestehen geradezu auf diese sprachliche Differenzierung. Schon der Jazz-Sänger Claude Nougaro beschrieb in seinem berühmten Chanson "Toulouse" die Besonderheiten der Hauptstadt der französischen Region Okzitanien. Und ihre Bewohner bemühen sich bis heute, all ihre ehrwürdigen Traditionen fortleben zu lassen. Dazu gehören Feste wie auch altes Handwerk - und natürlich die südfranzösische Gelassenheit. Die sicherlich auch den mehr als 2000 Sonnenstunden im Jahr zuzuschreiben ist.

Einen kleinen Ausreißer aus ihrer sonst so streng kultivierten Traditionsbeflissenheit leisten sich die Toulouser in diesem Jahr. Im Wintergrau ist momentan der Parc du Ritouret im Vorort Blagnac hell erleuchtet. Hier findet gerade das "Festival des Lanternes" statt: 2500 Laternen, zu Drachen, Pandas, Blüten geordnet, ebenfalls traditionelle Motive, allerdings ein Import aus China.

Lichterfeste an sich gehören zwar zu Frankreich wie die Chocolatine zu Toulouse. Das bekannteste findet jedes Jahr in Lyon statt. Aber dieses hier ist anders. Die Idee dazu hatte der Organisator Patrice Gausserand, ehemaliger Bürgermeister der nahegelegenen Stadt Gaillac, auf einer Reise in die chinesische Stadt Zigong, wo es diese Art Fest bereits seit einiger Zeit gibt. Gausserand handelte kurzerhand Verträge aus und importierte das Fest nach Frankreich.

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Anfang Dezember öffnete das Toulouser Laternenfest zum ersten Mal - und zieht trotz derzeit landesweit verschärfter Corona-Maßnahmen Tausende Touristen an. Die wandern nun durch das erleuchtete Parkgelände und fotografieren besonders gern die großen Drachen auf dem See, während leise chinesische Musik aus den Lautsprechern dudelt.

Eine heile Welt abseits von Corona? Nein, die Maßnahmen seien strikt, betont Organisator Patrice Gausserand: "Wenn man keinen Pass Sanitaire oder ein gültiges Testergebnis vorzeigen kann, kommt man hier nicht rein." Zudem herrsche Maskenpflicht auf dem gesamten Außengelände. Die Anwohner scheinen nicht besorgt zu sein wegen der zahlreichen Besucher aus aller Welt. Was sie aber nervt, ist, dass die vielen Besucher ihnen die Parkplätze rauben. Alltag trifft auf touristischen Kommerz. Und der zählt in Tagen wie diesen mehr denn je: Nach Angaben des örtlichen Touristenbüros kamen 2020 rund 2,5 Millionen weniger Besucher in die südfranzösische Stadt als im Vorjahr. In diesem Jahr war die Tendenz zwar wieder leicht steigend, aber weniger Touristen bedeuten nach wie vor: weniger Geld. Mehr Besucher, das bedeutet auch: mehr Einnahmen für die Stadt. Jeden Tag ab Einbruch der Dunkelheit ist das Festgelände offen. Man fühlt sich wie in einer anderen - und in jedem Fall hell erleuchteten - Welt.

Begibt man sich von Blagnac wieder nach Toulouse, genauer in den Stadtteil Minimes, kann man dort auf Annette Hardouin treffen, die ein echtes okzitanisches Traditionshandwerk beherrscht: "Ich mache blau. Diesen Satz kennen Sie doch sicher?", fragt die gelernte Modedesignerin über die Ränder ihrer bunt marmorierten Brille hinweg. Denn "Blaumachen" hat seinen Ursprung in ihrem Handwerk, der Pastellfärberei, einer alten okzitanischen Tradition. "Heute wird das Pigment in Ammoniak oder Fruchtsäure gelöst. Früher behalf man sich mit Männerurin, wofür die Spender abends zuvor in Bars zusammenhockten und tranken - und am nächsten Tag blau machten", erklärt die gebürtige Bielefelderin. Sie ist Maître Teinturier, hat also einen Meister in Färbekunst.

Annette und Yves Hardouin betreiben seit 2007 ihr eigenes Pastellfärbeatelier im Toulouser Stadtteil Minimes. (Foto: Chiffaudel)

Vor 15 Jahren eröffnete sie mit ihrem Mann Yves, einem gelernten Schnittmacher, in der südfranzösischen Stadt ihre Boutique - und ließ dafür Paris und ihren gemeinsamen Laden zurück. "Wir wollten aus dem grauen Paris raus, wir wollten den blauen Himmel und das blaue Meer sehen", erzählt sie. Die Farbe Blau sollte ihr Leben von nun an prägen. Sie zogen ins Umland von Toulouse, raus aufs Land, weit weg von der hektischen Metropole Paris mit seiner von Südfranzosen so verhassten Grisaille, dem ewigen Grau der französischen Hauptstadt. "Wir lernten zufällig eine Familie kennen, die Pastellpflanzen auf ihrem Grund hatte und das Handwerk der Färbekunst noch beherrschte, das war Liebe auf den ersten Blick."

Seit 2007 hat das Paar sein eigenes Atelier im Toulouser Stadtteil Minimes. Dort bieten die beiden Wahl-Toulouser Färbeworkshops an, fertigen ihre eigenen Kleidungsstücke und kultivieren eigene Pflanzen. Diese ähneln auf den ersten Blick einem Salatkopf, Färberwaid nennt man Pastell im deutschen Sprachgebrauch auch.

Das "blaue Gold" hat der Region Okzitanien im Süden des Landes vor allem zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert zu großem Reichtum verholfen. Blau war nicht zuletzt auch die Farbe der Könige, für nur zwei Kilogramm des blauen Pigmentes benötigt man eine Tonne der leichtgewichtigen Pflanzenblätter. Teppichweber, Kleidermacher und Maler nutzen das teure Pigment für ihre Kunst. Annette Hardouin und ihr Mann sind zwei der wenigen, die dieses Handwerk noch beherrschen. "Unser Leben ist blau geworden. Aber ich trage auch noch andere Farben", sagt sie, lacht, und streicht sich mit ihren rot lackierten Fingernägeln die blaue Schürze glatt.

Die roten Backsteinbauten prägen das Toulouser Stadtbild. (Foto: Antoine Collas /Antoine Collas)

Rot ist Toulouse natürlich auch, nicht umsonst ist die Stadt als die "ville rose" bekannt, die rosarote Stadt. Ihren Namen verdankt sie den vielen Backsteinbauten, die vor allem auf einen Grund zurückzuführen sind: Ziegel waren nicht so teuer wie anderer Stein. Alle Gebäude der Stadt, in denen weißer Stein verbaut ist, gehören entweder der Kirche oder anderen ehemaligen finanzstarken Institutionen. Da Ziegel als provinziell und hinterwäldlerisch galten, behalfen sich die Toulouser mit einem Trick: Sie verdeckten die weiterhin mit roten Ziegelsteinen erbauten Gebäude mit weißem Putz. Und noch eine weitere Besonderheit lässt sich an den Häuserfassaden erkennen. Die Straßennamen sind auf zwei Sprachen geschrieben, auf Französisch natürlich - und auf Okzitantisch. Die Sprache wurde vor einigen Jahrzehnten noch als unschickes Patois, als unliebsamer Dialekt abgestempelt. Mittlerweile versucht die Region, Okzitanisch zu fördern, sogar in den Schulen kann man sie belegen. Auch im angrenzenden Nachbarland Spanien wird diese alte Sprache noch gesprochen.

Auch der Marché Victor Hugo im Toulouser Stadtzentrum ist ein Touristenmagnet - und der Arbeitsort von Loïc Garcia. Seit 1961 betreibt seine Familie einen Stand mit Wurstspezialitäten in der seit 1896 existierenden bekannten Markthalle. In dritter Generation führt Loïc das 30 Mann starke Unternehmen gemeinsam mit seinem Cousin Fabien. "Er weiß, was gut schmeckt, ich weiß, was es kostet", sagt der 30-jährige Betriebswirt und lacht. Soll heißen: Er kümmert sich um die Finanzen. Sein ein Jahr älterer Cousin ist Metzger und für die Produktion der Wurstwaren zuständig.

Der 30-jährige Loïc Garcia führt das Traditionsunternehmen in dritter Generation. (Foto: Stephanie Albinger)

Die Rezepte sind alle Familienerbe. Sein aus Spanien stammender Großvater gründete mit seiner Frau das Unternehmen, sein Vater und sein Onkel übernahmen es später. "Wir führen das weiter, was unsere Väter uns vorgelebt haben", erzählt Loïc Garcia. Schon als kleiner Junge war er an Markttagen im Stand, bot den Kunden mit seinem sicher damals schon charmanten Lächeln feingeschnittenen Schinken oder andere Delikatessen zum Probieren an. Für sein Studium an einer Wirtschaftsschule ging er nach Marseille, reiste viel, bis nach Asien - und zuletzt gemeinsam mit Fabien nach Lateinamerika, eine letzte Pause, bevor sie gemeinsam vor drei Jahren ins Unternehmen einstiegen. Ihre Eindrücke aus fremden Ländern wirkten sich auch auf die Familienrezepte aus. "In Argentinien gibt es eine Wurst mit Rosinen und Nüssen, das haben wir in unser Sortiment aufgenommen", erklärt Loïc Garcia.

Die Leidenschaft für seine Arbeit merkt man ihm an, wenn man ihn eine Zeitlang an seinem Stand beobachtet: Viele seiner Kunden kennt er persönlich, wechselt mit allen ein Wort, reißt Witze, läuft hinter seinem Tresen ununterbrochen von einer Ecke in die andere, lacht, erklärt, verkauft. Was ihn an seiner Arbeit so fasziniere? "Unser Handwerk ist so ein französisches Ding, ich finde es genial, dass wir die Möglichkeit haben, unsere Traditionen fortleben zu lassen. Ich lebe mein Metier durch und durch", sagt der junge Unternehmer.

Dreht man sich an seinem Stand einmal um die eigene Achse, wirkt es, als wäre man in einen Topf voller Gerüche gefallen. Da riecht es nach Geräuchertem, nach Fisch, nach frischgebackenem Brot und kurz danach nach fein duftenden Süßspeisen. Pastellfarbene Macarons stehen hier einem Sortiment Innereien gegenüber, unweit der Wurstspezialitäten der Familie Garcia warten Baguettes in unzähligen Varianten auf ihren Verkauf. Und auch die Pains au Chocolat sind hier nicht weit. Pardon, die Chocolatines natürlich!

Laternenfest: bis 1. Februar 2022, täglich von 18 bis 23 Uhr, festivaldeslanternes-blagnac.com, Tagesticket zwischen 13 und 16 Euro.

Weitere Informationen: toulouse-tourismus.de

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