Städtereisende wollen vieles erleben, am besten aber Orte entdecken, die nicht in jedem Reiseführer oder jeder App zu finden sind. Wer könnte besser durch die Stadt führen als jemand, der dort wohnt oder zumindest eine ganze Weile gelebt hat? Süddeutsche.de hat Korrespondenten in deutschen Metropolen gebeten, "ihre" Stadt anhand eines Fragebogens zu präsentieren. Roman Deininger zeigt Ihnen, in welcher Ecke viel von dem zu finden ist, was Stuttgart ausmacht, welche nächtliche Überraschung man in der ordnungsliebenden Schwabenmetropole erleben kann und wie einfach Sie sich auf der Stelle integrieren können.
Was macht Stuttgart als Stadt aus?
Die Wahrheit ist: Wenn man am Hauptbahnhof aus dem Zug steigt und in die zentrale Königstraße läuft, wird man sich nicht augenblicklich in die Stadt verlieben. Die Königstraße ist zwar, wie Ihnen jeder Stuttgarter gerne versichern wird, die längste Fußgängerzone der Welt. Aber sie ist auch ziemlich nah dran am gängigen Klischee der grau-biederen Großstadt. Umso schöner ist es dann, das Stuttgart hinter dem Klischee für sich zu entdecken: die vielen grünen Ecken, die tollen Kulturstätten, die architektonischen Überraschungen, überhaupt diese sympathische Mischung aus Weltläufigkeit und Provinz. Stuttgart, das versichern wir Ihnen jetzt, ist eine unterschätzte Stadt. Wenn der wunderbar weite Schlossplatz zufällig statt in Stuttgart in München läge, würde jeder Münchner darauf bestehen, er sei der schönste Platz der Welt.
Diese Sehenswürdigkeiten dürfen Sie nicht verpassen:
Darf man hier wirklich einen Zoo empfehlen? Ja, die Wilhelma ist schließlich auch ein botanischer Garten und eine exotisch anmutende Schlossanlage. Ein kleines Paradies. Momentan pilgern die Stuttgarter zum Seelöwenbaby-Gucken in die Wilhelma, es gibt gleich drei: Jea, Nele und Rija. Wer mit Seelöwen nichts anfangen kann, sollte sich die Museumsmeile an der Konrad-Adenauer-Straße entlang treiben lassen. Kann nur sein, dass er dann gleich in der Staatsgalerie den ganzen Tag festhängt. Was aber auch irgendwie schade wäre, weil das Haus der Geschichte bemerkenswert ist.
Was ist noch sehenswerter - doch nur wenige Urlauber wissen davon?
Manche behaupten, dass man Stuttgart und den Stuttgartern im Mineralbad Leuze am Nähesten kommt. Am Besten wochentags in der Früh, wenn schwäbische Originale im Kaltbadebecken ihre Härte beweisen. Jedes schwäbische Original wird Ihnen gerne versichern, dass Stuttgart das zweitgrößte Mineralwasservorkommen in Europa hat. Durch die Panoramascheiben des Leuze sieht man auf den Neckar und die Weinberge. Sollte Ihnen das alles nicht reichen, ist auch das übliche Wellness-Larifari im Angebot.
Dieses Viertel sollte man unbedingt besuchen:
Das Heusteigviertel, am Hang südlich des Zentrums. Eine schöner Spaziergang, der viel zeigt, was Stuttgart ausmacht: prächtige Gründerzeithäuser, grün umrankte "Stäffeles" (das sind Treppen), kleine Läden, Galerien und Cafés wie die Jugendstil- Espressobar Herbertz. Am Ende könnten Sie noch ein Stück den Bopser (das ist ein Hügel) rauflaufen, in den Weißenburgpark einbiegen und sich am Teehaus, einem pittoresken Pavillon mit Gartenwirtschaft, wieder auf den Abstieg vorbereiten.
Den schönsten Blick haben Sie ...
... eigentlich vom Fernsehturm, klar. Dem Ersten der Welt, wie Ihnen jeder Stuttgarter gerne versichern wird, 1956 eröffnet. Am Horizont sieht man den Schwarzwald und die Schwäbische Alb. Von der Karlshöhe sieht man vor allem die Stadt selbst; dafür kann man sie aus der Innenstadt zu Fuß in einer Viertelstunde erreichen. Und sich oben im Biergarten " Tschechen und Söhne" zur Belohnung für den Aufstieg etwas zu trinken gönnen. Überhaupt ist es ein echter Vorteil der Talkessel-Lage, dass man von sehr vielen Orten sehr schön auf Stuttgart runterschauen kann.
Das können Sie sich in Stuttgart sparen:
Wenn Sie nicht unbedingt ein Musical sehen wollen, ist das SI-Centrum draußen in Möhringen kein ganz so großes Erlebnis, wie es der Beiname "Erlebniscenter" verheißt.
Hier finden Sie Roman Deiningers Empfehlungen für Essen und Trinken, für den kleinen Hunger zwischendurch und für Ihren Weg durch die Stadt.
So kommen Sie am besten durch die Stadt:
Zu Fuß.
Damit sollten Sie unbedingt fahren:
Standseilbahn und Zacke! Die Seilbahn verkehrt mit historischen Holzwagen vom Südheimer Platz hinauf zum Waldfriedhof. Die Einheimischen nennen sie deshalb auch "Erbschleichexpress". Auf dem schattigen Friedhof kann man dann auch gleich Theodor Heuss und Robert Bosch seine Aufwartung machen. Die Zacke klettert vom Marienplatz nach Degerloch - es ist, wie Ihnen jeder Stuttgarter gerne versichern wird, die letzte Zahnradbahn im Linienbetrieb in einer deutschen Großstadt.
Steigen Sie bloß nicht...
... aufs Rad. Leider. Beim Verkehr ist Stuttgart an vielen Stellen ein bisschen zu sehr die Daimler-Porsche-Stadt. Es sei denn, Sie rollen diskret (oder aus Überzeugung) hinter einer Anti-Stuttgart-21-Fahrraddemo her, das ist sicher. Polizei fährt vorneweg und am Schluss. Übrigens: Auto sollten Sie in der Autostadt eigentlich auch nicht fahren. Diese Idee haben einfach zu viele.
Wenn Sie hungrig sind, probieren Sie ...
Da dürfen wir auf das Äffle und das Pferdle verweisen, die wunderbaren Zeichentrickfiguren des SWR. "Was isch groß?", fragt das Äffle. "A Elefant", sagt das Pferdle. "Was isch größer?", fragt das Äffle. "Stuagerd", sagt das Pferdle (das heißt Stuttgart). "Was isch denn überhaupt as Größte?", fragt das Äffle. Und das Pferdle sagt: "Linse mit Spätzle und Saitewürschtle." Das schwäbische Nationalgericht. Eine Saitenwurst ist einfach eine Wiener - Saite heißt so etwas wie "dünner Darm", was Sie aber nicht vom Probieren abhalten sollte. Und noch Essig drauf.
Das schönste Café:
Das Grand Café Planie am Karlsplatz kommt einem großen klassischen Kaffeehaus nicht nur namentlich am nächsten. Reiche Auswahl an Torten und Kuchen. Etwas intimer und alternativer: Die Academie der schönsten Künste in der Charlottenstraße, so etwas wie eine Galerie mit Tischen. Gut für Frühstück.
Das beste Restaurant:
Da muss was echt Schwäbisches her. Also eines der urigen Weinlokale im Bohnenviertel: die Weinstube Fröhlich in der Leonhardtstraße oder das Weinhaus Stetter in der Rosenstraße. Wenn Ihnen unverständlicherweise gerade nicht nach einem Zwiebelrostbraten ist, können Sie sich auch einfach ein paar Kleinigkeiten an den 40 Ständen der Markthalle an der Stiftskirche kaufen. Völlig zurecht wird Ihnen jeder Stuttgarter gerne versichern, dass es die schönste Markthalle in ganz Deutschland ist.
Der Imbiss für unterwegs:
Vielleicht verschlägt es Sie mal in den Stadtteil Uhlbach, der eigentlich ein Weindorf ist - das kann passieren, weil es nicht weit von hier die klassizistische Grabkapelle des Hauses Württemberg zu besichtigen gibt. Wenn Sie also in Uhlbach sind, dann schauen Sie beim Hasenwirt vorbei und holen Sie sich eine "Handy-Maultasche" in einer kleinen Papiertüte zum Mitnehmen. Okay, auch im Zeitalter der Handy-Maultasche gilt: Wenn Sie die Zeit haben, setzen Sie sich lieber beim Hasenwirt in die Gastgarten. In der Innenstadt hat Udo Snack in der Calwer Straße sehr gute und günstige Burger.
Wo der Abend im Nachtleben von Stuttgart beginnt, wie es weitergeht und wo Sie den Sonnenaufgang am Schönsten erleben.
Typisch für das Nachtleben in Stuttgart ist ...
.. der Palast der Republik (Friedrichstraße 27) nicht weit vom Schlossplatz. Weil man so was in der ordnungsliebenden Schwabenmetropole eben gar nicht erwartet: Hunderte Menschen sitzen an einem lauen Sommerabend mit ihrem Bier am Boden. Der Palast ist übrigens mehr so ein Klohäuschen.
Hier beginnt der Abend:
Im Palast natürlich. Oder halt: vor dem Palast. Oder vor dem Waranga. Auf keinen Fall: im Waranga. Treffpunkt der Bussi-Bussi-Schwaben, denen man entgehen kann, wenn man sich mit seinem Getränk auf die Stufen neben dem Kunstmuseum setzt und auf den Schlossplatz herunterschaut. Wenn der Schlossplatz zufällig statt in Stuttgart in München läge... Sie wissen schon.
Dann ziehen Sie weiter ...
... ins Beja in der Reinsburgstraße 102. Kann man sich als portugiesisches Wirtshaus vorstellen, in dem man bei Wein und Tapas rumsitzt oder rumsteht. Das Beja liegt im Stuttgarter Westen, der - ein klein bisschen übermütig - als Szeneviertel gehandelt wird.
Hier wollen alle rein:
In die vielen Clubs auf der Theodor-Heuss-Straße, die Stuttgarter Szenekundige liebevoll "die Theo Heuss" nennen.
Dabei ist es hier viel besser:
... im Café Weiß (Geißstraße 16). Samttapeten, rustikale Holzmöbel, Kronleuchter, Jukebox. Weiße Gummitiere und Drachenchips für jeden, Ritter-Sport für Frauen. Über manche Lokale sagt man ja, dass da der Professor neben dem Bandarbeiter sitzt - stimmt hier mal. Liegt direkt am Hans-im-Glück-Brunnen, dem einzigen Fleck des Zentrums, bei dem man glauben könnte, es gebe so etwas wie eine Altstadt.
Dies ist der beste Platz für den Sonnenaufgang:
Leuchten Sie mit dem Handy doch nochmal den Weg auf die Karlshöhe aus.
Mit diesem Satz kommen Sie in Stuttgart gut an:
"Ich nehme die Kutteln, bitte! Gleich die doppelte Portion." Kutteln ist der in Streifen geschnittene Vormagen toter Tiere, den die Schwaben mit saurer Trollingersoße und großer Begeisterung verzehren. Wenn man das auch kann, ohne angewidert vom Stuhl zu fallen, gilt man sofort als integriert.
Darüber spricht man in der Stadt:
Über den VfB und Stuttgart 21. Beide Themen können nach Dafürhalten aller Stuttgarter nur mit großer Leidenschaft diskutiert werden - oder gar nicht. Wenn ein Stuttgarter beim Thema VfB nicht anspringt, reagieren Sie schnell und sagen: "Der geilste Club in Stuttgart sind ja eigentlich die Kickers."
Vorsicht, Fettnäpfchen! Sagen Sie bloß nicht:
"Ich steh' ja eher auf BMW." Wenn Sie selbst keinen Daimler ("Mercedes" sagt man in Stuttgart nicht) oder keinen Porsche fahren, erzählen Sie den Einheimischen von ihrem Onkel, der einen fährt. Notfalls denken Sie sich den Onkel aus. Ja, es ist eine Lüge, aber sie machen viele Menschen glücklich.
Roman Deininger ist in Ingolstadt aufgewachsen und hat in München, Wien und New Orleans Politik, Amerikanistik und Theater studiert. Neben dem Studium schrieb er frei vor allem für den Ingolstädter Donaukurier . Nach dem Volontariat bei der SZ war er Gastredakteur beim Philadelphia Inquirer . 2009 ging er als SZ-Korrespondent für Franken nach Nürnberg, 2011 dann nach Baden-Württemberg.