Reisebuch:Die ewige Neugier

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Was verbirgt sich dahinter? Eine Frage, auf die Linnhoff in seinem Buch viele Antworten gibt. Hier ein buddhistischer Tempel in Chiang Mai, wo der ehemalige Sportreporter wohnt. (Foto: SenLi /imago images/Imaginechina-Tuchon)

Der ehemalige Sportjournalist Bernd Linnhoff hat ein Buch über Thailand geschrieben, das mehr Erkenntnis bietet als viele Reiseführer.

Von David Pfeifer

Kauft heute noch jemand einen "Lonely Planet", bevor es auf Reisen geht? Oder bekommt man das alles schneller und aktueller im Internet? Nur gut, dass das Buch "Thailand unter der Haut" kein Reiseführer ist, sondern eine Einladung, das Land besser kennenzulernen, es vielleicht sogar zu begreifen, auch wenn man vielleicht nur kurz dort sein kann. Bernd Linnhoff, 75, der es verfasst hat, nimmt einen mit auf seine Reise, und ein paar Punkte sind der Nachahmung wert. So sind etwa die Orte und Inseln, die er besucht, durchaus diejenigen, die man gesehen haben sollte.

Sie nennt ihn "Mr. Ask", weil er so viele Fragen stellt zu ihrem Land

In erster Linie aber ist das Buch die Erzählung von Linnhoffs Aus- oder Einwanderung vor 14 Jahren, je nachdem, wo man es liest. Es zog ihn von Deutschland nach Thailand. Diesen Traum, vom Kalten ins Warme zu wechseln, nicht nur was das Wetter, sondern auch was die Freundlichkeit angeht, träumen ja viele Nordeuropäer, zumal wenn sie in das Alter kommen, in dem man sich langsam nicht mehr fragt, was man noch werden soll, sondern eher, wie man eigentlich leben will. Die wenigsten setzen den Traum um und können dann auch erklären, geschweige denn aufschreiben, was geschieht, wenn sie den Wechsel wirklich wagen. Und noch weniger sind tatsächlich so neugierig wie Linnhoff, den seine thailändische Lebensgefährtin, man erfährt es gegen Ende des Buches, "Mr. Ask" nennt. Er fragt und fragt, auch nach 14 Jahren noch.

Warum er in Thailand leben wollte, erzählt er in gleich zwei Kapiteln zu Anfang des Buches, es fühlt sich vermutlich schicksalhafter an, als es sich liest. Warum er aber blieb, nachdem er die Bürokratie, die Korruption, den politischen Stillstand und das Elend des Sex-Tourismus kennenlernte, ist die eigentlich spannende Erzählung. Und sie kann jeden bereichern, der sich im Thailand-Urlaub für mehr interessiert als Drinks am Pool und Partys in Patong. Dabei blickt Linnhoff auch auf die Schattenseiten des Landes. Doch er tut das stets neugierig und liebevoll. Auf Augenhöhe, wie die abgedroschene Formulierung heißt, nicht von oben herab, aus einem Deutschland, in dem alles geordneter erscheint. Es hat schon seine Gründe, wieso Linnhoff dort nicht mehr leben mag. Er liebt die Menschen, die Lichter und Gerüche Thailands, den Wahnsinn und die Weite, Bangkok genauso wie das ruhigere Chiang Mai, in dem er mittlerweile lebt. Dabei mag er auch manches nicht, beispielsweise scharfes Essen, was in Thailand schwierig sein kann.

Manch arme Familie schickt ihre Töchter ins Rotlichtviertel

Linnhoff erzählt häufig auch von der Ambivalenz, die er gegenüber seiner neuen Heimat empfindet. So berichtet er begeistert, wenn nicht blauäugig, von den Flirts, die ihm am Anfang in Thailand viel leichter fallen als in Deutschland. Aber er schont weder sich noch seine Leser mit der Erkenntnis, dass diese Affirmation oft eine wirtschaftliche Grundlage hat. Nicht der Mann ist attraktiv, sondern das Geld, das er bei sich führt. Über mehrere Seiten lässt Linnhoff eine Frau aus dem Rotlichtviertel zu Wort kommen, die ihre Geschichte erzählt, wie sie Tausenden Frauen des Landes widerfährt. Sie wurde nach Bangkok geschickt, wo sie mit ihrer Schönheit Geld verdienen sollte, um die Familie im armen Norden zu unterstützen. Wenn sie auf Heimatbesuch kommt, darf sie nicht erzählen, wie sie sich erniedrigen muss, damit die Eltern sich ein Haus leisten können - um der Familie die Schande zu ersparen. Es ist die stärkste Passage im Buch. Zu den schwächeren gehören die Schilderungen der deutschen Hobby-Fußballmannschaft in der Ferne, der der ehemalige Sportreporter Linnhoff angehört.

Vor allem aber besucht und befragt der Autor Einheimische, immer gut gelaunt und respektvoll. Einen deutschen Elefantenmann, einen thailändischen Kondom-Aktivisten, einen eingewanderten Pizza-Bäcker und viele mehr. Und diese erzählen, auch wenn es ihnen manchmal schwerfällt, geradeheraus zu sagen, warum etwas so ist, wie es ist in ihrem Land. Auch diesem Umstand widmet Linnhoff ein Kapitel, das die thailändische Mentalität für Kurzbesucher sehr verständlich entschlüsselt. Im Grunde also pflegt Linnhoff eine alte Journalisten-Tugend: Er investiert viel Zeit, Recherche und Neugier, um den Leserinnen und Lesern am Ende das Geschenk zu machen, dass sie sich die Arbeit nicht mehr machen müssen.

Bernd Linnhoff: Thailand unter der Haut. Nahaufnahmen aus einem fernen Land, Oliver Wurm Medien 2022, 240 Seiten, 14,90 Euro.

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