Stadt Spa in Belgien:Wo Wellness herkommt

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Viele berühmte Persönlichkeiten gingen schon über das Pflaster im historischen Zentrum von Spa. (Foto: Martin/Le Figaro Magazine/laif)

Die belgische Stadt Spa mit ihren 300 Thermalquellen war namensgebend für den Wellness-Trend. Nun möchte sie endlich selbst mehr davon profitieren - und Weltkulturerbe werden.

Von Tom Noga

Wo alles begann, steht ein sechseckiger Pavillon, das Dach in Form einer Kuppel, gestützt auf eine verzierte Stahlkonstruktion, wie sie typisch ist für die Architektur des späten 19. Jahrhunderts. Drinnen ein Kunstwerk: fünf Eisenstelen, rostrot, asymmetrisch ineinander gefügt. "Das ist der Pouhon Pierre le Grand", sagt Gaetan Plein. "Pouhon" ist ein wallonisches Wort für Mineralquelle. Und Pierre le Grand ist Peter der Große, der russische Zar an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert.

Gaetan Plein nimmt einen Pappbecher aus einem Spender und lässt Wasser hinein laufen. Es schmeckt in der Tat nach Eisen. Sehr stark sogar. Und nach Schwefel. "Sehr gesund", weiß Gaetan. "Ich trinke anderthalb bis zwei Liter pro Tag.

Und ich bin topfit. Mit 62." Gaetan Plein ist Künstler, Stadtführer. Und vor allem: Spadois - geboren zwar in Lüttich, aber aufgewachsen und seit seiner Kindheit wohnhaft in Spa, dem legendärsten aller Kurorte Europas. Spa liegt in der Wallonie, dem französischsprachigen Teil Belgiens, eine halbe Stunde von der deutschen Grenze entfernt, malerisch umgeben von den bewaldeten Hügeln des Hohen Venn.

Die Quellen von Spa waren womöglich schon im Altertum bekannt. Plinius der Ältere, ein römischer Gelehrter, der zur Zeit Jesus Christi lebte, erwähnte in einer seiner Schriften ein berühmtes gallisches Wasser, das nach Eisen schmeckt, den Körper reinigt und fiebrige Krankheiten kuriert. Während des englischen Bürgerkriegs lebte König Charles II. hier im Exil. Aber erst mit Peter dem Großen begann die Geschichte Spas als Kurort.

Der russische Zar war Ende des 17. Jahrhunderts im Rahmen der Großen Gesandtschaft durch Europa gereist, um sein Land mit Hilfe westlicher Techniken umfassend zu modernisieren. Auf einer zweiten Reise im Jahr 1717, nun mit dem Ziel, Russland ins europäische Staatensystem einzubinden, kam er nach Spa. Auf Rat seines Arztes, sagt Gaetan Plein. "Er war Mitte 40, für damalige Verhältnisse ein alter Mann, und litt unter Fieberanfällen. Spa war damals eine einfache Stadt, mit Häusern aus Stroh, alles andere als herrschaftlich. Peter der Große blieb beinahe fünf Wochen, eine lange Zeit."

300 mineralhaltige Quellen gibt es im Umland von Spa, sieben in der Stadt selbst. Frühe Kurgäste wanderten von einer zur anderen, tranken das Wasser und übernachteten in einfachen Herbergen. Seinen Namen verdankt Spa den Quellen, darin sind sich Sprachforscher einig. Damit endet der Konsens aber auch. Manche sagen, Spa sei ein Akronym für den lateinischen Spruch "sana per aquam" - gesund durch Wasser. Andere leiten den Namen vom lateinischen Wort für spritzen oder dem germanischen für spucken ab. Fest steht: Über Kurgäste aus Großbritannien hat der Begriff Spa Eingang in die englische Sprache gefunden: als Begriff für eine Wellness-Einrichtung.

Männerbaden in Spa im Jahr 1916. Das Bild stammt aus der Monatszeitschrift Réalités. (Foto: Réalités Spa)

Das Zentrum von Spa bildet das alte Kurbad, ein wuchtiger Sandsteinbau aus dem Jahr 1880, mit toskanischen Säulen und Abbildern römischer Götter. Daneben das Casino, eines der ältesten der Welt, erbaut im Jahr 1763. Gegenüber der Parc de Sept Heures. Er wird zur Zeit umgebaut, darunter entsteht ein Parkhaus. Früher pflegten sich die Bobelins um 19 Uhr im Park zu treffen, um in den Wandelgängen von Pavillon zu Pavillon zu flanieren. Wie Pouhon ist auch Bobelin ein wallonisches Wort; es leitet sich von trinken ab und bezeichnet Kurgäste.

Seine Blütezeit erlebte Spa wie viele Kurorte im 19. Jahrhundert. Gaetan Plein nennt sie "l'époque merveilleuse", die wunderbare Zeit. Komponisten wie Jacques Offenbach und Giacomo Meyerbeer kurten hier, ebenso Schriftsteller wie Alexandre Dumas und Victor Hugo. Außerdem Banker und jede Menge gekrönte Häupter. Auf einem neun Meter breiten Fresko sind sie alle abgebildet. Es trägt den Namen "Le Livre d'Or" und hängt im Pouhon Pierre le Grand. "Im Alltagsleben waren viele Besucher erbitterte Gegner", erzählt Gaetan Plein, "aber nicht hier. In Spa herrscht eine Regel: über Moral, Politik oder Religion wird nicht gesprochen."

Im Ersten Weltkrieg war Spa wie viele Kurorte zuerst Lazarett-Stadt. In den letzten Kriegsmonaten befand sich hier das Große Hauptquartier des deutschen Heeres. Wilhelm II., der letzte deutsche Kaiser, lebte in einem Schloss außerhalb der Stadt. Und ging nach der Ausrufung der Republik von Spa aus ins niederländische Exil.

Im Parc de Sept Heures sprudeln zwei Quellen, weniger eisenhaltig als der Pouhon Pierre Le Grand, "aber nicht minder gesund". Sagt Gaetan Plein und nimmt einen Schluck. Hinter den Quellen sind zwei gläserne Aufzüge, die auf einen Hügel führen. Kurgäste in weißen Bademänteln steigen ein. "Normal", findet Gaetan Plein, "manche Gäste gehen sogar im Bademantel spazieren."

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Die Aufzüge verbinden das Zentrum von Spa mit der neuen Therme aus Glas und Beton, die über dem Ort liegt. Oben wartet Séverine Philippin. Sie leitet die Therme. Vor 20, 30 Jahren hätte sie den Titel Kurdirektor getragen. Damals erlebte Spa wie viele Kurorte in Deutschland auch eine zweite Blüte. Die Krankenkassen genehmigten ihren Versicherten freigebig Auszeiten vom Arbeitsalltag - in Form von Kuren. Spa wurde zum Heilbad für die Massen, mit 10 000 Gästen im Jahr, die zwei, drei, manchmal vier Wochen blieben. Bis die Krankenkassen in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts den Geldhahn zudrehten.

"Damit musste sich die Art des Thermalbadens ändern", sagt Séverine Philippin. "Wir bieten immer noch dieselben Anwendungen wie vor 150 Jahren an, in den Kupferwannen von damals. Aber wir haben unser Angebot erweitert, um Schönheitsbehandlungen und Massagen. Um Dinge, die Menschen verlangen, die Behandlungen aus der eigenen Tasche zahlen müssen." Philippin führt durchs Thermalbad. Vorbei an Becken und Whirlpools, die unterschiedliche Temperaturen aufweisen und einen je eigenen Gehalt an Mineralien.

Das neue Bad in Spa ist lichtdurchflutet und modern, mit grandiosem Blick über die Stadt. Die Architektur wirkt allerdings austauschbar. (Foto: Wallonie Tourisme)

Das Bad ist lichtdurchflutet und modern, mit grandiosem Blick über Spa. Und wirkt doch austauschbar, es könnte überall in Europa stehen. "Aber es ist ein Erfolg", beharrt Séverine Philippin. Es zieht pro Jahr mehr als 190 000 Badegäste an, überwiegend Tagesbesucher.

Nur fünf Prozent der Touristen übernachten in Spa, selten länger als von einem Tag auf den anderen. "Das ist einerseits schade", sagt Séverine Philippin. "Andererseits hat die Therme Spa gerettet." 17 Millionen Euro hat sich die Stadt den Bau kosten lassen. Viel Geld für eine Stadt mit etwas mehr als 10 000 Einwohnern. Die Bevölkerung lief Sturm gegen die Investition. Séverine Philippin schüttelt den Kopf: "Die Menschen in Spa sind sehr konservativ. Sie wollen zwar, dass Besucher kommen, aber nicht zu viele. Am liebsten wäre ihnen, wenn Spa eine ruhige Kleinstadt bliebe. Aber dem Tourismus verdanken wir unsere Dynamik, die vielen Restaurants, die vielen Events, die Jobs. Andere Städte unserer Größe kämpfen ums Überleben, sie leiden unter Bevölkerungsschwund."

Spas Altstadt ist geprägt von dreistöckigen Backsteinbauten mit hölzernen Kassetten-Fenstern und schmiedeeisernen Balkonen. Die meisten waren einmal Hotels. Am Eingang jeweils eine Tafel mit berühmten Gästen. Auf einer stehen Giacomo Casanova und der Komponist Franz Liszt. Seltsam. Auf dem Fresko "Le Livre d'Or" fehlen sie. Gaetan Plein lacht: "Aus moralischen Gründen. Casanova war bekanntlich ein Frauenheld. In Spa hatte er ein kleines Problem mit einem Dienstmädchen. Und Franz Liszt war ein Séducteur, er hatte ein zu großes Interesse an jungen Damen. Sagt man."

Zum Rathaus führt eine knarzende Holztreppe hinauf, in den ersten Stock, dann in den zweiten. Auf den Treppenabsätzen Möbel von einst: eine Chaiselongue, ein samtbezogenes Sofa, fein gedrechselte Stühle. Nicht aus-, sondern abgestellt, als wüsste man nicht, wohin damit.

In einem stickigen Büro unterm Dach sitzt Anne Pirard. Sie ist Stadträtin. Und als solche zuständig für die Anerkennung Spas als Unesco-Weltkulturerbe. Die Idee, sich um diese Auszeichnung zu bewerben, kam im Jahr 2006 aus der Bürgerschaft. Als die Stadt die Federführung übernahm, stellte man fest, dass auch andere Kurbäder daran arbeiten, als Weltkulturerbe anerkannt zu werden. "Die Bürgermeister trafen sich und beschlossen, das Projekt gemeinsam zu verfolgen."

Seit es die neue Therme gibt, kommen mehr Besucher in die Stadt. Nun möchte Spa Weltkulturerbe werden. (Foto: Jean-Paul Remy/WBTourisme)

Daraus ist ein Verbund von elf Kurbädern entstanden: "The Great Spas of Europe". Mit dabei sind unter anderem Baden-Baden, Vichy in Frankreich und Karlsbad in der Tschechischen Republik. Die Bewerbung ist im März eingereicht worden. Im Herbst waren Inspekteure der Unesco in Spa; im Januar soll eine Entscheidung fallen. Wenn es keine Beanstandungen gibt, könnte im Sommer 2020 die Anerkennung erfolgen. Für Spa wäre das ein neuer Anfang. "Weltkulturerbe zu sein, bringt zwar kein Geld", sagt Anne Pirard. "Im Gegenteil, wir müssen Geld zum Erhalt und zur Restaurierung historischer Gebäude aufbringen. Aber wir hoffen, damit nicht nur Besucher anzulocken, sondern auch Investoren. Wir wollen Spa weiterentwickeln, auch für unsere Bürger, damit sie wieder stolz auf ihre Stadt sind."

Gaetan Plein hat diesen Stolz. Und einen Traum: dass die wunderbare Zeit wieder auflebt, "l'époque merveilleuse". Dass die Berühmtheiten und der Geldadel unserer Zeit nach Spa finden. Und dass Spa so etwas wird wie "ein kleines Monaco". "Das mag vermessen klingen, aber warum sollten wir das nicht schaffen?"

© SZ vom 28.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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