Auf dem Nordteil der Museumsinsel steht der Berliner Dom, der zu den bedeutendsten protestantischen Kirchenbauten Deutschlands zählt. Im Zweiten Weltkrieg war er schwer beschädigt worden. Vor 20 Jahren konnte der Dom am 6. Juni 1993 wieder eingeweiht werden - doch waren die Arbeiten noch lange nicht beendet. Von 1975 bis 2005 verantwortete Rüdiger Hoth als Dombaumeister die Restaurierung der Kirche, er hatte jedoch im DDR-Regime gegen mehr als nur bauliche Rückschläge zu kämpfen.
SZ.de: Herr Hoth, Sie haben 30 Jahre Ihres Lebens dem Wiederaufbau des Berliner Doms gewidmet - die Hälfte der Zeit in einem Staat, der für Kirchen nicht viel übrig hatte. Wie konnten Sie da arbeiten?
Rüdiger Hoth: Es war ein Kampf gegen zwei Windmühlen. Die evangelische Kirche hatte mich als Bauexperten für die Restaurierung angestellt. Doch die Gemeinde selbst wusste eigentlich nicht, was sie mit dem riesigen Dom anfangen sollte, schließlich war sie nach der Teilung auf etwa 300 Mitglieder geschrumpft. Auf der anderen Seite stand die DDR, die so wenige christliche Symbole wie möglich erhalten wollte.
Wieso wurde der Dom dann überhaupt restauriert?
Gegenüber war der Palast der Republik errichtet worden, er sollte das Aushängeschild der DDR sein. Doch die Besucher fragten, was das denn für eine Ruine nebenan sei. Nur konnte die DDR die Restaurierung vor ihrem Volk eigentlich nicht verantworten: Wie sollte sie erklären, dass es in kleinere Kirchen hineinregnete, aber der Dom der Kaiser und Könige wieder hergerichtet wird? Also wäre aus dem Dom 1972 fast ein repräsentativer Konzertsaal geworden, um mit der Philharmonie in Westberlin mithalten zu können. In den Kuppelraum sollten Zwischendecken eingezogen werden.
Weshalb blieb der Dom doch eine Kirche?
Die Oberen der Bundesrepublik und DDR hatten sich da ein wenig angenähert. Der Handel war: Der Dom bleibt eine Kirche, wenn der Westen die Restaurierung bezahlt. Das ist so nirgends nachzulesen, aber ich war in diesen Jahren da ganz nah dran. Also zahlte Westdeutschland. Trotzdem sollte die christliche Symbolik verschwinden, ebenso alles, was auf adeligen Pomp hinwies. So wurde etwa die kaiserliche Unterfahrt einfach abgerissen und die Südseite neu gestaltet, das kostete 800.000 Mark. Die Restaurierung hätte nur 50.000 Mark gekostet. Völliger Schwachsinn!
Was haben Sie retten können?
Die Berliner Denkmalpflege war SED-nah und hatte in der Zielstellung formuliert, "vordergründige ideologische Details können entfernt werden". Am liebsten hätten sie alle Kreuze verschwinden lassen, und das in einer Kirche! Auch den Engelskranz am Fuß der Kuppel wollten sie nicht restaurieren, aber da haben wir uns durchgesetzt, der ist wichtig für den Dom. Doch die DDR mischte sich immer wieder ein. 1980 habe ich eine Ausstellung zum Wiederaufbau des Berliner Doms organisiert, mit Gästebüchern. Dort haben Besucher sehr deutlich geschrieben, dass sie nicht verstehen können, dass die DDR diese prächtige Kirche so lange hat verkommen lassen. Bald darauf bekam ich einen Anruf, ich müsse diese Seiten sofort rausreißen. Die Stasi war wohl auch unter den Besuchern.
Auch wenn man nicht gegen ein Regime arbeiten muss, gibt es bei Restaurierungsarbeiten immer wieder böse Überraschungen. Welche warteten im Dom auf Sie?
Die blieben zum Glück aus, denn die wesentlichen Unterlagen waren erhalten, so dass wir für den Wiederaufbau eine gute Grundlage hatten. Schwieriger war der Mangel an Material in der DDR. Da bin ich heute noch allen dankbar, die Tipps hatten, wer zum Beispiel Leuchterteile nachgießen konnte. So gab es immer einen Weg. Man musste aber erst die Kirchenleitung überzeugen.
Wie brachten Sie diese auf Ihre Seite?
Zum Beispiel bei der Restaurierung der Mosaiken in der Kuppel, von denen nur ein Original den Krieg überstanden hatte: Statt die Mosaiken wiederherzustellen, wollten einige in der Gemeinde auf moderne Künstler setzen. Also besuchten wir gemeinsam den Leiter der Denkmalpflege Dresden, Hans Nadler, der mehr Abstand zum Zentralkomitee hatte. Er zeigte uns die Arbeiten in der Semperoper und beschrieb, wie sie bis nach Wien gereist waren, um dort ein Dekorteil für die Oper zu kopieren. Da wir in Berlin ja sogar noch über den Schatz eines Originalmosaiks verfügten, sollte die Gemeinde die Kuppel doch wieder wie früher herrichten, regte Nadler an - mit Erfolg.
Sie haben 2005 die Arbeiten abgegeben und sind im Ruhestand. Was ist heute ihr Lieblingsplatz im Berliner Dom?
Da kann ich nicht nur einen einzigen Ort nennen. Aber wenn mir Besucher und Schülergruppen entgegenkommen, freue ich mich, dass ich für sie eine ganze Menge retten konnte. Dinge, die damals niemand interessiert haben, aber die die Menschen heute sehen wollen. In den Kuppelraum in der Predigtkirche kommen nicht nur an Konzerten, sondern auch jeden Sonntag mehr als 600 Besucher. Und das im ungläubigen Berlin!
Was wünschen Sie Ihrem Dom?
Dass die von der DDR abgerissene Denkmalskirche wieder aufgebaut wird und die Prunksarkophage der Hohenzollern wie früher würdig präsentiert werden. Das Fehlen der Denkmalskirche an der Nordseite ist ein Makel. Doch beim Thema Hohenzollern winken alle ab, während in Italien mit dem Erbe der Medici viel sorgsamer umgegangen wird. Im Rückblick hätten wir viel mehr um den Erhalt der Denkmalskirche kämpfen müssen.