Ende der Reise:Leihski in Lahti

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Etwa hundert Kilometer nördlich von Helsinki liegt die Stadt Lahti. Sie hat rund 120 000 Einwohner und ist von der EU zur "Grünen Hauptstadt" dieses Jahres gekürt worden. (Foto: Jürgen Feichter/imago/Eibner Europa/Expa)

Finnland hat ein attraktives Modell entwickelt, das nachhaltigen Wintersport in Zeiten von Corona ermöglicht.

Von Stefan Fischer

Es gibt Menschen, die würden derzeit barfuß durch das Karwendelgebirge laufen, wenn das der einzige Weg wäre, legal in die Tiroler Skigebiete gelangen zu können. So groß ist die Sehnsucht nach Wintersport bei etlichen von uns. Aktuell bleiben hierzulande aber nur kleine Fluchten: ein Tagesausflug hier zum Langlaufen, einer dort zum Rodeln. Oder, wenn man die Grenzen des Wohnorts nicht verlassen möchte, ein paar Runden Schlittschuhlaufen auf einem zugefrorenen Kanal oder Weiher. So lange, bis einen die Polizei vom Eis verscheucht, weil ein paar andere Menschen ebenfalls anwesend sind.

Nun hat es ganz gewiss auch mit den klimatischen Bedingungen in Finnland zu tun, was aber als Ausrede für uns Mitteleuropäer nicht dienen soll - schließlich hat es unlängst sogar in Madrid mächtig geschneit. Insofern: Das Erträumte mit dem Pragmatischen zu verbinden, darin sind uns die Finnen definitiv deutlich voraus. Einmal mehr, möchte man sagen: wie bereits bei der Qualität des Schulsystems oder der Heavy-Metal-Bands. Sowie, insbesondere: im Einfach-mal-die-Klappe-Halten, wenn man gerade nichts zu sagen hat.

Etwa hundert Kilometer nördlich von Helsinki liegt die Stadt Lahti. Sie hat rund 120 000 Einwohner, für Außenstehende scheint ihr einziger Daseinszweck zu sein, unentwegt Nordische Skiweltmeisterschaften auszurichten. Sie ist vor allem aber von der EU zur "Grünen Hauptstadt" dieses Jahres gekürt worden. Lahti hat in den vergangenen drei Jahrzehnten die Treibhausgasemissionen signifikant gesenkt, ist Vorreiter in Sachen Kreislaufwirtschaft und strebt an, in vier Jahren die erste kohlenstoffneutrale Großstadt des Landes zu sein.

In diese Strategie passt, dass es neuerdings in Lahti an etlichen Straßenecken Leihski gibt. So wie es in anderen Städten Leihautos und Leihräder und Leihscooter gibt. Also nicht, um hinaus in die finnischen Wälder zu rennen, aus purem Vergnügen an der frischen Luft und am Verausgaben. Sondern um in der Mittagspause schnell seine Einkäufe zu erledigen, seinen Müll zu einer Wertstoffinsel zu bringen oder sonst etwas Nützliches zu tun. Der Langlaufski nicht als Wintersportgerät, sondern als Fortbewegungs- und Transportmittel. Der Drang nach Wintersport lässt sich auf diese Weise im Übrigen wie nebenher befriedigen.

Daraus sollte sich doch bestimmt ein Modell entwickeln lassen, das einerseits coronatauglich ist, andererseits auch darüber hinaus tragfähig bleibt. Stichwort: Nachhaltigkeit.

Zugegeben: Zum Alpinskifahren braucht es Berge. Aber sonst? Eis- und langlaufen, rodeln und mit Schneeschuhen wandern kann man auch in der Stadt. Endlich ist Schluss mit dem Entsalzen der Straßen, das ohnehin nur eine versteckte Subvention der Automobil- und Fahrradindustrie ist, weil man den Gefährten beim Rosten zusehen kann, wenn sie mit Streusalz in Berührung kommen. Räumfahrzeuge können den Schnee genauso gut gleichmäßig verteilen wie ihn beiseite schieben, dazu werden noch ein paar Straßen vereist, damit garantiert niemand einbricht ins Eis und sich die Schlittschuhläufer auch nicht drängen auf den wenigen Natureisflächen. Schneekanonen und anderes Equipment lassen sich günstig erwerben aus den Konkursmassen pleitegegangener Skigebiete.

Niemand muss mehr ins Umland fahren, muss Autobahnen und Alpendörfer verstopfen. Wiederum wird Städtetourismus in Mitteleuropa auch winters attraktiv, was zu Entzerrungen der Urlauberströme führt und das Overtourismus-Problem löst. Wer nach Finnland schaut, der erkennt: Eigentlich ist alles ganz einfach.

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