Namibia:Fern der Herde

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In der Region um den Khaudum-Nationalpark gibt es eine Elefantenpopulation von bis zu 300.000 Tieren. (Foto: Dominik Prantl)

Der Khaudum Nationalpark ist selbst für namibische Verhältnisse abgelegen und wild. Wer sich darauf einlässt, lernt die afrikanische Natur verstehen.

Von Dominik Prantl

Das Drama ereignet sich am zweiten Tag im Khaudum-Nationalpark. Dem Fahrer entfährt ein "Fuck!", als er den kleinen Elefanten sieht. Das noch tapsige Tier steht in einer der von Menschenhand angelegten Betonfassungen, über die das Wasser in die darunterliegenden, künstlichen Tümpel fließt. Es gibt kein Entkommen, die Wände reichen bis über die Ohren, die Mutter entfernt sich samt Herde immer weiter. Ein klarer Fall für eine Rettungsaktion.

Zuerst gilt es, jenen Elefantenbullen zu vertreiben, der daneben genüsslich einen Hektoliter säuft. Nun steht "einen Elefantenbullen vertreiben" auf der Tu-das-bloß-nicht-Skala des Afrikareisenden beinahe auf einer Stufe mit "eine Schwarze Mamba fangen". Zum Glück trollt sich der an Krawall uninteressierte Kerl mit einem verächtlichen Wackeln des Hinterns. Also hinein in das Betongeviert, Abschleppseil um das Elefantenkalb - es heißt nun Toni - und die ganze Reisegruppe zieht. In Freiheit reicht Toni einem nicht einmal bis zur Hüfte; nun möchte er als Blitzadoptierter zu den zweibeinigen Helfern in den Geländewagen steigen. Die wichtigste aller Fragen: Wo ist seine Herde? Dabei ist schon die Fahrt in den Khaudum-Nationalpark ein abenteuerlicher Ritt gewesen, von der Hauptstadt Windhuk an den Zäunen des zentralnamibischen Farmlands entlang, um nach einer Nacht jenseits von Grootfontein schließlich rechts abzubiegen auf eine Schotterpiste. Auf der geht es bis nach Tsumkwe, einer schäbigen Streusiedlung mit Tankstelle, an der jeder Khaudum-Reisende noch einmal haltmacht. In dem kleinen Laden neben den Zapfsäulen gibt es zwar keine Cola, aber zwei mit Bier gefüllte Kühlschränke. Logisch, draußen an den Tischen unter den Bäumen sitzen die Einheimischen gerade auch nicht bei einer Coke zusammen. Es ist halb zwölf. Vormittags.

Buschmannland. So wird die Region Tsumkwe noch immer häufig genannt, entgegen allen politischen Kurskorrekturen und modernen Sprachregelungen. Gilt der Ausdruck vielen doch als Relikt der rassistischen Homeland-Politik seitens der einstigen Mandatsmacht Südafrika, die jeder Ethnie eine Ecke in diesem riesigen Land zuwies und die goldene Mitte hauptsächlich für die Weißen reservierte. Mit einem Namibier lässt sich freilich ausführlich darüber diskutieren, ob die kolonial geprägte Bezeichnung Buschmann so viel diskriminierender ist als der heute übliche Begriff San, wo der doch von viehhaltenden Völkern als Beleidigung genutzt wurde.

Die Menschen hier bezeichnen sich jedenfalls nach ihrer Untergruppe als Ju/'Hoansi. Einer von ihnen ist Tychi N!aia; auf seinem T-Shirt steht Korean Culture Camp. Manchmal, wenn Touristen durch seinen kleinen Ort Deŧua auf dem Weg von Tsumkwe in den Khaudum fahren, legen sie einen Stopp ein. Er erzählt dann, wie es früher war, als die San Pfeilgift aus Käferlarven gewannen, um damit auf die Jagd zu gehen, und gegen den Durst zwischendurch Wasser aus Pflanzenknollen pressten. Sie waren die ersten in diesem Land. Heute bilden sie das Schlusslicht in der nationalen Hierarchie der Ethnien, ihre Heimat ist weiterhin die Peripherie. Immerhin beziehen die Alten vom Staat eine Rente von 1200 Namibischen Dollar, etwa 75 Euro. Die Wurzeln der hier reichlich wachsenden Teufelskralle, die so ziemlich gegen alle Wehwehchen von der Arthrose bis zu Blähungen helfen soll, bringen 48 Dollar, also drei Euro. Pro Kilo und getrocknet. Laut Tychi N!aia kommt zudem alle drei Monate ein 20-Kilo-Sack Hirse vom Staat. Und, ja, die sieben Rinder, die vorhin anscheinend herrenlos im Buschland grasten, wurden von der EU gezahlt. Sehr langsam führt der unwegsamer werdende Weg immer weiter weg vom trockenen Kern und der noch trockeneren Küste des Landes, wo die großen Touristenherden den klassischen Routen folgen. Im Gebiet des Khaudum präsentiert sich Namibia, das zu Recht als wild und ursprünglich gilt, von seiner wildesten und ursprünglichsten Seite. Ohne Vierradantrieb und Offroad-Erfahrung geht bald nichts mehr. Gängige Reiseführer raten Individualreisenden, in Gruppen mit mindestens zwei Autos, genügend Wasser und Sprit und eher nicht während der Regenzeit in den Park zu fahren. Wobei das Fahren auf den tiefen Sandpisten häufig einem beständigen Wippen gleicht.

Meist nur noch zur Demonstration für Touristen gehen südlich des Khaudum-Nationalparks die Ju/'Hoansi, sogenannte Buschmänner, auf die Jagd. (Foto: Dominik Prantl)

Wer 25 Kilometer pro Stunde schafft, ist gut. Oder irre. Im Khaudum einen serengetischen Tierreichtum zu erwarten, wäre zudem in etwa so, wie in einer Oper auf ein E-Gitarrensolo zu hoffen. Gerade im Norden des Parks beschränkt meist dichter Miombowald die Sicht. Zwischen den oft von Elefanten bevölkerten Wasserlöchern wird daher jeder Schlangenadler und jedes Gnu mit einer Gier bestaunt, die man sich im Überangebot des Etosha-Nationalparks, einer der Hauptattraktionen des Landes, bald abgewöhnt. Dafür, das wird sehr schnell klar, hat man die Tiere ganz für sich allein. An der mithilfe der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) renovierten und erst 2017 eröffneten Rezeption des Nationalpark-Besucherzentrums ist für diesen Tag noch kein einziger Eintrag im Gästebuch vermerkt. Dabei ist schon später Nachmittag. Überhaupt kamen hier in der vergangenen Woche nur fünf Autos vorbei, im gesamten Jahr 2018 waren es rund 2500 Besucher. Manch ein afrikanischer Nationalpark hat das am Tag. Am Sikereti-Camp im Süden des Parks, wo es weder Zäune noch sanitäre Anlagen gibt, steht kein weiteres Zelt. Dafür schaut nachts der Honigdachs vorbei und überprüft in gewohnter Furchtlosigkeit ziemlich lautstark die Mülltonne.

Viele Besucher gibt es nicht im Khaudum-Park. Im Camp stehen nur wenige Zelte. (Foto: Dominik Prantl)

In den ersten zwei Geländewagen, die uns am Vormittag begegnen, sitzen keine Touristen, sondern Wissenschaftler. Unser Fahrer kennt sie, natürlich. Namibia mag ein großes Land sein, in der Wildnis scheint trotzdem jeder jeden zu kennen. Mit einem von ihnen, dem Piet, hat er mal Nashörner gefangen, um diese umzusiedeln. Was man halt so macht, wenn man im Busch aufwächst. Heute geht es darum, einen Afrikanischen Wildhund mit einem Sender auszustatten; und zwar aus jenem Rudel, das sich am Wasserloch gerade noch die Pferdeantilope schmecken lässt. Der Bestand des Afrikanischen Wildhunds gilt als stark gefährdet, im Khaudum sieht man ihn noch relativ oft. Er ist so etwas wie das Symboltier des Nationalparks.

Toilettenhaus mit Aussicht auf das darunter liegende Flussbett. Manches hier wurde mit deutschen Hilfsgeldern bezahlt. (Foto: Dominik Prantl)

Während die einen nur wenig später das betäubte Tier mit einem Halsband für die nächsten zehn Monate ausstatten, erklärt Piet Beytell, Wissenschaftler für Naturschutz am Ministerium für Umwelt und Tourismus, was es mit der Aktion auf sich hat. "Es geht darum, die grenzüberschreitenden Wanderungen der Tiere im Auge zu behalten. Also, wohin gehen die Hunde?" So habe man etwas weiter im Norden Namibias feststellen können, dass einzelne Rudel oder auch nur ein Teil eines Rudels bis nach Sambia und Zentralangola zogen. "Es ist wichtig zu zeigen, dass diese Tiere keinem einzelnen Land gehören", sagt Beytell.

Die Afrikanischen Wildhunde sind sehr selten in Afrika - hier fressen sie gerade eine Pferdeantilope. (Foto: Dominik Prantl)

Denn trotz seiner Abgelegenheit ist der Khaudum kein isolierter Lebensraum. Er funktioniert nur als Teil eines viel größeren Ökosystems, für das seit 2011 mit der Kavango-Zambezi Transfrontier Conservation Area, kurz Kaza, ein vertraglicher Rahmen geschaffen wurde. Kaza erstreckt sich als größtes Schutzgebiet Afrikas auf einer Fläche eineinhalbmal so groß wie Deutschland über fünf Staaten. Über die KfW hat das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bislang 35,5 Millionen Euro für das Schutzgebiet-Projekt zugesagt. Nirgendwo leben und migrieren mehr Elefanten auf der Welt, 250 000 bis 300 000 sollen es sein. Auf der Kaza-Webseite steht: "Tourismus ohne Grenzen." Noch aber ist Kaza vor allem auch eine Vision, ein grober Fleckenteppich aus Staatenstücken und aus Stämmen, aus Reservaten, Nationalparks und jeder Menge Communal Conservancies. Letztere sind eine namibische Besonderheit. Mehr als 80 solcher "Gemeindeschutzgebiete" gibt es heute, vor allem an den Rändern des Landes, die den Staat nach der Unabhängigkeit 1990 vor einige Aufgaben stellten. Nachhaltiger Tourismus und Trophäenjagd bilden in den Communal Conservancies inzwischen jene Formel, auf die man sich geeinigt hat - und sie scheint vielerorts zu funktionieren. Denn der Tourismus generiert nicht nur Arbeitsplätze. An jeder Lodge, an jedem Zeltplatz und an jedem bezahlten Abschuss ist die Bevölkerung in den Conservancies beteiligt, manchmal direkt über Umsatz oder über verteiltes Wildfleisch, manchmal indirekt über den Bau von Schulen oder Krankenstationen. Weil das Wild damit einen Wert erhält, wird zudem der Schutz der Tiere plötzlich wichtig. Und doch stellt sich manchmal die Frage, wie sich das große Puzzle zusammenfügen lässt, wenn schon die kleinen Teile nicht recht ineinandergreifen. Neben dem Khaudum-Camp, das nicht nur einen verboten guten Blick über das weitläufige, gerade trockene Flussbett bietet, sondern nach einer Generalüberholung auch das schönste Toilettenhäuschen südlich der Sahara, steht beispielsweise die Khaudum- Lodge. Zwölf Millionen namibische Dollar wurden bereits in die Lodge investiert - sieben Millionen von einem Investor aus der Stadt, fünf Millionen von der örtlichen Conservancy. Nach Schätzungen fehlen aber weitere fünf Millionen. Wann diese Wohlstandsinsel in dieser Weite eröffnet, und mit ihr die Landebahn, ist noch ungewiss. Ju/'Hoansi, Kaza, Conservancies; alles vergessen. Am Abend, bevor es über offenem Feuer gebratenes Huhn gibt, geht es noch einmal zurück zum Wasserloch; trotz der wippenden Fahrt von zwei Stunden. Der kleine Toni steht noch immer allein im Tümpel, von seiner Herde ist nichts zu sehen. Bald kommt die Dunkelheit, und mit ihr kommen die Raubtiere. Auf der gesamten Rückfahrt ins Camp spricht niemand ein Wort.

© SZ vom 28.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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