Nachhaltiger Tourismus auf den Malediven:Wir basteln uns ein Riff

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Umweltschutz oder Greenwashing? Ein Korallenstock in den Malediven. (Foto: Four Seasons)

Für die Natur der Malediven wäre es am besten, wenn es gar keinen Tourismus gäbe. Unrealistisch - stattdessen können Tauchurlauber im Indischen Ozean neue Korallen ansiedeln. Das Ziel ist groß: die Inseln vor dem drohenden Untergang zu retten.

Von Erwin Pelkofer

Kann "KH 1421" die Malediven vor dem Untergang retten? Thomas Le Berre schleppt das Eisengerüst mit dem Namen einer Bestellnummer an den Strand von Kuda Huraa. Viel Zeit hat er nicht, nur ungefähr 40 Minuten lang können Acropora hyacinthus, Pocillopora, Acropora humilis und verwandte Arten, die er am Tag vorher aus dem Riff geholt hat, in der Sonne überleben. Mit einem Kabelbinder zurrt er die Korallenteile stramm an die Eisenkonstruktion, die wie eine Miniatur-Pyramide aussieht. "Da darf kein Millimeter Bewegungsfreiheit sein", erklärt Le Berre, "sonst verletzen sie sich durch den Wasserdruck und können nicht am Gerüst anwachsen".

Die Idee mit der Zwangsheirat von Korallen und Eisenkäfigen kam Thomas Le Berre im Jahr 2003. Da fragte ihn Armando Kraenzlin, der für den kanadischen Hotel-Konzern Four Seasons zwei neue Resorts erschließen sollte, um Hilfe. Die Strände der beiden Inseln Kuda Huraa und Landaa Giraavaru waren akut von Erosion betroffen, denn die Korallen davor existierten nicht mehr - eine Folge des großen Sterbens im Jahr 1998 nach dem Wetterphänomen El Niño, einer warmen Meeresströmung, und der daraus resultierenden Korallenbleiche.

Gut 40 der zwei Zentimeter langen Korallenäste montiert der Küstenbau-Ingenieur an der Pyramide. Dazu kommt ein weißes Namensschild, das die Spender ausweist. Am Vortag ließen Chris und Thomas aus London in Landaa Giraavaru "Zibu" auf das Schild eines anderen Gerüsts schreiben, nachdem sie, mit Handschuhen bewehrt, die scharfen Korallenfragmente auf dem Konstrukt fixiert hatten. 150 US-Dollar, rund 120 Euro, bezahlten sie für eine kleine Eisenpyramide mit Korallen, die großen kosten 500 Dollar. Dafür bekommen sie zwei Mal pro Jahr eine Mail aus dem Riff mit je vier Fotos von allen Seiten ihres Korallenstocks. Das Hotel verspricht, diesen Service mindestens fünf Jahre aufrechtzuerhalten. Dann ist der Käfig meist völlig zugewachsen und unter den Korallen verschwunden.

"Ein Tropfen in den Ozean": Auch aus diesen Minikorallen sollen einmal große werden. (Foto: Four Seasons)

Die beiden Inselgäste überschätzen den Wert ihrer Aktion nicht: "Wir sind Taucher und wollten der Natur etwas zurückgeben für diese wunderbaren Erlebnisse hier. Klar, es ist nur ein Tropfen in den Ozean, aber es ist immerhin einer."

Danach verhungerten die Korallen

Thomas Le Berre hat den Korallen-Rahmen mittlerweile komplett bestückt mit verschiedenen Korallenarten: langarmige, weil sie die Fische besonders stark anziehen, flach wachsende, weil sie die Wellen brechen, und blaue, weil sie die Schnorchler und Taucher am liebsten sehen.

Bis zum Jahr 1998 hat das Ökosystem auch ohne menschliche Eingriffe funktioniert. Doch dann erhöhte sich die Wassertemperatur in den Malediven durch die warme Meeresströmung El Niño auf mehr als 33 Grad. Normal sind 27 bis 31 Grad. Einen Monat lang konnten die Korallen diese Ausnahmesituation ertragen. In dieser Zeit stießen sie die Algen ab, die für ihre Färbung sorgen. Danach verhungerten die Korallen, zerbrachen und wurden an Land gespült. Auch im Jahr 2010 bleichten die Korallen aus, überlebten aber, da sich das Wasser nur für kurze Zeit erwärmt hatte.

Der 53-jährige Schweizer Armando Kraenzlin entspricht so gar nicht dem Klischee des alerten Touristikers, der maximalen Ertrag aus einem Reiseziel presst. Sein Ausbildungsprogramm für maledivische Lehrlinge ist weithin gerühmt, ebenso sein Engagement dafür, dass das Baa-Atoll von der Unesco im Jahr 2011 zum Biosphären-Reservat erklärt wurde. Der Erlös der Riff-Aufbau-Aktion geht an den Green Fund des Four Seasons. Mit dieser Geldquelle unterstützt das Unternehmen seit Jahren Umweltprojekte auf den Malediven.

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Thomas Le Berre hat sich mittlerweile in Malé, der Hauptstadt der Malediven, niedergelassen und entwickelt mit seiner Firma Seamarc Strategien, mit denen die tropischen Inseln den Folgen von Korallenbleiche und anderen Naturphänomenen begegnen können. Zwei Zweigstellen seines kleinen Unternehmens gibt es bereits: eine auf der Insel Fulhadhoo; dort bauen 25 maledivische Mitarbeiter die Korallen-Gerüste für das "Reefscaper"-Programm, so heißt die Aufforstungs-Aktion. Auf der unbewohnten Insel Innafushi experimentiert Le Berre mit 65 verschiedenen Korallenarten, die er wechselnden Wassersituationen aussetzt, um herauszubekommen, welche Konstellationen den Inseln noch besser helfen könnten.

Ist das Greenwashing, was die Hotelkette betreibt? Der französische Meeresbiologe Frederic Ducarme hat auf den Inseln geforscht, er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema mariner Öko-Tourismus, zuletzt auf der Insel Réunion im Indischen Ozean und in Kenia. Der Franzose, der in Lyon Doktorand an der Ecole Normale Supérieure ist, hat seit Juni 2014 die ausgebrachten Korallenrahmen unter Wasser gewogen und gemessen, wie schnell die Korallen wachsen. Das Ergebnis zeigt den Erfolg der "Reefscapers" in den beiden Four-Seasons-Resorts: "30 000 Kilogramm an lebenden Korallen wurden hier gepflanzt, das sind später einmal 30 Tonnen Sand", bilanziert der Franzose. Die Korallen-Äste auf den beiden Inseln Kuda Huraa und Landaa Giraavaru erweitern sich pro Jahr um sechs bis 30 Zentimeter.

(Foto: SZ Grafik)

Dass das Konzept aufgeht, scheint Ducarme selbst zu überraschen: "Sie werfen Eisen ins Wasser, eigentlich das Schlimmste, was es gibt, und es hilft auch noch", sagt Ducarme. Dabei hat er durchaus einen kritischen Blick auf die Aktion: "Für die Umwelt hier wäre es sicherlich am besten, wenn es gar keinen Tourismus gäbe. Tatsache ist aber, dass die Malediven ohne ihre Riffe untergehen würden, und zwar noch vor dem befürchteten Ansteigen des Meeresspiegels. Die Korallen-Riffe schützen die Eilande und produzieren Milliarden Tonnen Sand. Insofern ist ,Reefscapers' sinnvoll."

Ducarme bezieht sich dabei auf den amerikanischen Ökologen Michael Rosenzweig von der University of Arizona, der in seinem Buch "Win-Win Ecology" die These aufgestellt hat, dass Mensch und Natur zusammenleben können, ohne sich gegenseitig zu vernichten. Dem Vorwurf, dass sich Four Seasons mit derlei Aktionen einen grünen Anstrich gibt, begegnet Armando Kraenzlin mit Ironie: "Das wäre eine teure Farbe. Derzeit beschäftigen wir 15 Meeresbiologen in Vollzeit in insgesamt vier Projekten." Mittlerweile stehen knapp 3600 bewachsene Rahmen auf dem Meeresboden vor den beiden Inseln; dort bilden sie die neuen Riffe. "Reefscapers" ist damit eines der größten Riffprojekte weltweit. Four Seasons hat drei Mal so viele Korallenrahmen ausgebracht wie die anderen sieben Resorts in den Malediven, die Thomas Le Berre danach für diese Aktion gewinnen konnte.

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Und womöglich wird sich schon im kommenden Sommer zeigen, ob die Korallenbänke der nächsten Wassererwärmung standhalten. Vor der chilenischen Küste im Pazifik hat sich schon jetzt eine warme Meeresströmung gebildet, die, wenn sie bei den Malediven ankommt, die Ausmaße von "El Niño" erreichen könnte. Le Berre aber ist zuversichtlich: "Wir haben seit der Bleiche von 2010 die Zahl der verschiedenen Korallenarten erhöht, um die Biodiversität zu steigern." Dadurch, so hofft er, werden die Korallenriffe künftig widerstandsfähiger sein.

© SZ vom 16.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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