Graz:Abgrazen im Bauer Play

Lesezeit: 6 Min.

Die Zeiten der heiligen Trinkerei sind vorbei: In den Grazer Bars sind die Exzesse der einstigen Avantgarde längst Kulturgeschichte.

Helmut Schödel

Wodka braucht man, roten Curaçao, Lime Juice und Zitronensaft. Wenn man wüsste, wieviel von allem, müsste man nur noch rühren und hätte einen bei den Staatsmeisterschaften der "Österreichischen Barkeeper-Union" 1993 preisgekörnten Cocktail zubereitet. Diese rote Mischung aus Feuerwasser und Fruchtsaft heißt "Das Lächeln des WolfiB." und ist eine von Herrn Manfreds Kreationen.

Grazer Kunsthaus: Die Einheimischen nennen es "Friendly Alien" (Foto: Foto: dpa)

Herr Manfred ist ein schlanker Mann mit lichtem Haupthaar und vornehmer Blässe. Die Vermutung, er trage sogar im Bett einen schwarzen Anzug, ist nicht ganz unberechtigt, und gerade wurde er von Gault Millau und Schlumberger zum "Barmann des Jahres 2002" gekürt.

Seit 20 Jahren ist Herr Manfred Chef in der Ernst-Fuchs-Bar, die zum Grazer Traditionshotel "Erzherzog Johann" gehört, und hat seinen Stammgästen zuliebe bisher allen Abwerbungsversuchen getrotzt. Denn die "Ernst-Fuchs-Bar" - kleine Theke, davor die Lounge - besucht man nicht, weil sie der berühmte Künstler Fuchs gestaltet hat, sondern weil der Barkeeper Manfred heißt.

Für das Jahr 2003, in dem Graz Kulturhauptstadt Europas ist, hat er einen eigenen "Kulturcocktail" erfunden, in den Farben der Kulturhauptstadt-Werbung blau und grün. Sieht aus wie Gift, ein Schierlingsbecher mit Zuckerrand, der eine gewisse Alkoholtoleranz voraussetzt.

Buchstaben verbiegen

Eines Tages, als der Grazer Dramatiker Wolfgang Bauer wieder die "Fuchs-Bar" besuchte, um zur Erinnerung an seine Aufenthalte im "Raffle's"- Hotel einen Singapur Sling zu trinken, hatte Herr Manfred gerade einen neuen Cocktail fertig und Bauer ein neues Stück: "Das Lächeln des Brian de Palma".

Der Cocktail hieß von nun an "Das Lächeln des WolfiB.", und wer sich drei-, viermal ein "Lächeln" bestellt, lächelt dann selber eine ganze Nacht durch, eine dieser Grazer Nächte, die in den sechziger und siebziger Jahren berühmt und berüchtigt waren.

"Amazing Grace, amusing Graz" hieß es damals, als die Hauptstadt der Steiermark noch lange nicht Kulturhauptstadt war, sondern ein weithin bekanntes Krähwinkel der Avantgarde; als man im "forum stadtpark" die Buchstaben verbog, um die Literatur neu zu erfinden; als bei den berühmten Literatur-Symposien des Grazer Avantgarde-Festivals "steirischer herbst" den Granden der Dichtkunst die Bleistifte so locker saßen wie Billy the Kid der Colt.

Im Grunde war diese Fixierung der Grazer auf das Avantgardistische eine Reaktion auf den Semmering. Zwischen Graz und Wien und eigentlich den Rest der Welt schiebt sich wie ein Riegel ein Bergkamm: Der Schicksalsberg der Grazer ist der Semmering. Sie leben dahinter und beschlossen dann, in der Kunst voraus zu sein. Tagsüber war man "avant", und wenn dann die Nacht auf Graz fiel, dann war man "après", dann begannen die Grazer Nächte.

Zum Geistesleben gehörten das Nachtleben und die Grazer Frauen. Der Semmering schob sich auch vor die Emanzipationsbewegung wie ein Riegel, was die sich kraftgenialisch gebärdende Grazer Männergesellschaft nicht genug loben konnte.

Grazer Surrealismus

Damals vermutlich entstand das Lächeln des Wolfgang Bauer, der Ende der sechziger Jahre mit seinem Stück "Magic Afternoon" einen Welterfolg gelandet hatte und dann unter dem Einfluss geistiger Getränke mit Stücken wie "Ein fröhlicher Morgen beim Friseur" einen speziellen Grazer Surrealismus entwickelte: Nachtgespenster im Dialog.

- Herr Bauer, wo würden Sie denn einen Besucher der Kulturhauptstadt am Abend hinschicken?

- I geh ja kaum noch aus. Des kann man nur eine begrenzte Zeit lang aushalten. Waast? Des is ja...

- Jetzt geht Ihr Sohn aus, der Jack? Der malt.

- Naa, ned in Graz. I kauf ihm jetzt aa kaane Bilder mehr ab. I hab lang genug bezahlt. Jetzt...

- Jetzt gibt's viele Lokale von damals nicht mehr.

- Die "Haring-Bar"...

- Wo der junge Bauer mit Ionesco saß...

- Ganz anders!

- Graz ist wieder spießiger geworden?

- Graz is ned spießig. I würd eher sagen: stumpf.

- Für das Kulturhauptstadt-Jahr hat man dem Grazer Wahrzeichen, dem Glockenturm, einen schwarzen Schatten gebaut.

- Ich nehm's als Faktum. Manchmal wirft der schwarze Schatten aan Schatten auf den Uhrturm.

- Nix is bliebn?

- No ja, des "Theater Café", zum Beispiel. Des is bliebn. Äußerlich hat sich nix verändert. Eröffnet 1885 um zwölf Uhr mittags.

Damals wurde in der Grazer Tagespost eine Kaffehaus- Eröffnung angekündigt. Der Cafetier Heinrich Aufschläger beeilte sich, dem P. T. Publikum zur Kenntnis zu geben, dass man von nun an in der Mandellstraße Nummer 11 prompt und reell bedient wird, Billard spielen kann und eine reichhaltige Auswahl von Journalen und belletristischen Schriften erwarten darf.

Blick auf den Grazer Hauptplatz mit dem Schlossberg im Hintergrund (Foto: Foto: dpa)

Plüsch und Nikotinpatina

In den zwanziger Jahren hieß das Café "Taverne", leistete sich einen Pianisten und in den Silvesternächten ein Unterhaltungsprogramm. 1933, noch lange vor der Volkserhebung, wurde es in "Café München" umgetauft. Später hatte hier der Gauleiter seinen Stammtisch. Nach 1945 war deshalb ein neuer Name gefragt. Seither heißt es "Theater Café". Die heutige Einrichtung stammt aus jener Zeit: roter Plüsch, Lämpchen, Spiegel, Flügel, Nikotinpatina.

- Herr Bauer, das "Theater Café" hat sich schon damals in ein Nachtlokal verwandelt?

- Anlaufbar bis vier Uhr morgens. Unser Nachtleben war ja ein Herumziehen auf kleinem Raum: Färberplatz, Mehlplatz, Hauptplatz. Zum Schluss trafen sich alle im "Theater Café". Also kaane Messerstecher, Trunkene schon, aber kaa Unterwelt. "Theater Café" - das war das klassische Ausklingen einer längeren Nacht.

- Das gemütliche Ende der Exzesse einer Männergesellschaft.

- Wir waren ja schon vor Mitternacht ziemlich weggetreten.

- Durch die klassische Grazer Sauferei?

- Alle heiligen Zeiten hat man auch Haschisch geraucht, aber relativ verächtlich. Des war ja eine Trinkkultur. Der Schriftsteller Gunter Falk hat gleich zehn Bier bestellt, und a anderer an halben Liter Schnaps.

- Und da gab es natürlich auch Frauen.

- Man hat sich dann hilflos vom "Theater Café" heimbegleiten lassen - a legitimer Trick. Es wurde halt eine Ausgelassenheit kultiviert, auch unter Zuhilfenahme Wiener Freunde.

- Und Sie waren der Anführer.

- Im "Theater Café" waren ja alle da. Bei prominenten Anlässen sogar der Günter Grass. Immer schon der Konstantin Wecker, der H.C. Artmann oder Urs Widmer. Aus Basel kam Jürg Laederach, aus New York Walter Abish. Als der Widmer bei seinem ersten Graz-Besuch ins "Theater Café" kam und seine Reisetasche aufm Flügel abgstellt hat, hat ihm die damalige Chefin a Watschn gebn. Des erzählt er immer noch.

- Aber Sie waren der Star.

- Da hat der Pianist...

- Es gab einen Pianisten?

- Den Herrn Alvin. Der is jetzt scho 87 und lebt mit seiner Gattin in einem Grazer Seniorenheim. Er hat alles gespielt: Gershwin, My Way, Albumblatt für Elise. I hab dann die Tür immer ganz langsam aufgemacht und geschaut, ob er mich sieht. Weil, dann hat er sein klassisches Programm unterbrochen und meinen Lieblings-Gershwin gspielt.

- Das Nachtleben damals - das war ein Bauer Play.

- I hab zwaa Nummern ghabt: vom Barhocker fallen lassen war die aane. Aber im "Theater Café" hab ich nur die zweite gemacht: mitm Stuhl umfallen und in eine Rolle rückwärts übergehen. Der Herr Alvin war wütend und hat dann vorsorglich Reißnägel gstreut. Zum Schluss hat man dann noch a Eierspeis verzehrt, mit Grammln oder Würstln - die Spezialität vom "Theater Café" bis heute.

Grazer Gegenbewegung

Wolfi Bauer ist gerade von der Kazianergasse an den Opernring umgezogen, in ein Haus mit Aufzug. Der Tribut an die Jahre. Jetzt geht er mittags gern ins "Asia", gleich beim Färberplatz. "Des war der erste Chines in Graz, der Herr Li", sagt Herr Bauer.

Und der junge Grazer Schriftsteller Martin G. Wanko sagt: "Die besoffene Partie hat ihr Ende gefunden. Heute ruft man sich mal an. Mit dem Zusammensein ist es vorbei. Für Graz ist das eine Gegenbewegung."

Aber wer heute Graz besucht, sollte Herrn Manfred und das "Theater Café", in dem es jetzt vor Mitternacht meistens Kleinkunst gibt, nicht versäumen. Es ist ein Stück Kulturgeschichte. Auch wenn es jetzt in Graz jede Menge neuer Cafés gibt, die auch in München stehen könnten, alles in patinafreiem Großstadt-Design.

Auch wenn jetzt in der Stahlmuschel, die für das Kulturhauptstadt-Jahr als Insel in die Mur, den Graz-Fluss, gebaut wurde, ein supertolles Space-Café eröffnet hat, alles in blau.

Pause mit den Außerirdischen

Als hätte ein defektes Ufo wassern müssen. Wolfi Bauer hat schon immer, angeregt von seinen Getränken, behauptet, dass Außerirdische die Steiermark ansteuern. Wie alles, so nahm er auch das Unergründliche als Faktum. Heute sagt er: "Die Außerirdischen waren intensiv spürbar. Aber jetzt ist irgendwie Pause."

Graz ist Kulturhauptstadt 2003, nicht im Universum, sondern in Europa, und im "Glöckl" am Glockenspielplatz kann man sich ein Hauptgericht "Kulturhauptstadt" bestellen und erhält für knapp acht Euro ein Riesenkürbiskernschnitzel mit Erdäpfelsalat.

Selbst Beilagen tragen die Namen von Schriftstellern, eine heißt "Gert Jonke", eigentlich ein sensibler, der Musik verpflichter Autor. Umso überraschender, dass man dem Gast, der "Gert Jonke" ordert, eine Portion Sauerkraut vor die Nase stellt für 2,20 Euro. So vergeht der Ruhm der Welt.

© SZ vom 8.4.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: